Wundersame Auferstehung
Retro-Revival und ein "spezieller" Sound: Die Kassette ist zurück
13.10.2023, 13:07 UhrIm Jahr 1979 brachte Sony den ersten Walkman auf den Markt. Das Unternehmen aus Japan revolutionierte damit die Art und Weise, auf die Menschen Musik konsumieren, für immer. Schließlich war das Gerät die erste tragbare Wiedergabemöglichkeit für Tonträger - die eigene Musik konnte fortan nicht nur an der heimischen Stereoanlage, sondern auch auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkaufen oder beim Joggen gehört werden.
44 Jahre später wirkt die einst bahnbrechende Erfindung sperrig und unpraktisch - schließlich kann man seine Lieblingssongs mittlerweile via Spotify, YouTube und Co. ganz bequem auf dem Smartphone hören. Umso verwunderlicher, dass der Tonträger, der den Walkman einst zum Kassenschlager machte, mittlerweile wieder auf dem Vormarsch ist: Seit einiger Zeit nämlich erfreut sich die Musikkassette wieder steigender Beliebtheit.
Verkaufszahlen steigen - Nostalgie als Zeitgeist?
Ein Blick auf die Verkaufszahlen untermauert diesen Trend eindrucksvoll: Aus dem BPI-Report des Jahres 2022 geht hervor, dass alleine in Großbritannien über 200.000 Kassetten verkauft wurden - also fünfzigmal so viele wie zehn Jahre zuvor, als gerade einmal 4000 Stück über die Tische der Musikläden gingen. Der Verkaufsschlager Nummer eins war das Album "The Car" der britischen Band Arctic Monkeys. Kenner des Werkes dürfte das kaum wundern: Ein nostalgischer Sound verlangt schließlich nach einem nostalgischen Tonträger.
In der Tat ist der Retro-Hype, den die Band "Arctic Monkeys" verkörpern und der sich auch in Mode und Popkultur niederschlägt, einer der Gründe für die Renaissance der Kassette. Verkaufsfördernd haben sich beispielsweise die "Auftritte" des Mediums in der Netflix-Serie "Stranger Things", einer Hommage an die 1980er Jahre, oder im Kino-Hit "Guardians of the Galaxy" ausgewirkt.
Für viele Menschen ist die Kassette seitdem zum Objekt der Begierde geworden, und das nicht zwangsläufig des Musikhörens wegen. Zumindest gemäß der Beobachtung eines Label-Bosses, der von der "Tagesschau" zum Boom um einen anderen Tonträger befragt wurde, der seit ein paar Jahren wieder im Kommen ist: die Schallplatte.
Spezieller Klang: Mehr als ein Retro-Trend
Denn rund die Hälfte aller Schallplattenkäufer habe gar keinen Plattenspieler zu Hause. Vielmehr würden die Vinylscheiben gekauft, weil sie als Dekorationsgegenstand beliebt seien. Nun sind Schallplatten aber auch aufgrund ihres ganz eigenen Klanges und ihrer herausragenden Tonqualität begehrt: Wie die "Handelszeitung" weiß, werden beispielweise bei mp3-Formaten Frequenzbereiche ausgespart, um Daten zu sparen. So bleiben nur zehn Prozent des ursprünglichen Klangspektrums erhalten. Die Schallplatte ist also nicht nur eine Modeerscheinung, sie kann Musikliebhaber tatsächlich durch ihren brillanten Sound überzeugen.
Und die Kassette, die nicht gerade für ihren berauschenden Klang bekannt ist? Ist sie ein reines Modephänomen? Nicht ganz. Sie kann in puncto Soundqualität zwar nicht mit der Schallplatte mithalten, doch gerade das macht sie - zumindest für manche Musikfans - attraktiv: Christofer Jost, Professor am Institut für Medienkulturwissenschaft der Universität Freiburg, äußert gegenüber der "Tagesschau" die Vermutung, dass die Käufer sich ganz bewusst für den "nicht perfekten" Sound der Kassette entscheiden.
So kommt es, dass die Kassette bei Hörern bestimmter Genres äußerst beliebt ist, zum Beispiel in der Lo-Fi ("Low Fidelity") - Szene: Denn diese Art von Musik definiert sich durch einen "schmutzigen" Sound - es rauscht, kratzt und knistert, zumindest beschreibt "Gear News" so den typischen Lo-Fi Sound. Ein Sound, für den die Kassette geradezu prädestiniert ist.
Bewusster Genuss im Vordergrund
Die Gründe für das Comeback der Kassette sind also vielfältig. Eines hat der Tonträger auf jeden Fall mit der Schallplatte gemein: Man kann nicht einfach von Song zu Song springen, sondern ist gewissermaßen gezwungen, ein Album vollständig durchzuhören: Bewusster Musikgenuss also als Gegenentwurf zu Streaming-Playlists, in denen nur einzelne, ausgewählte Songs der jeweiligen Künstler auftauchen und die sich dadurch auszeichnen, dass sich Hit an Hit und Hook an Hook reihen. Von der prädigitalen Weise, Musik zu hören, profitiert das Konzept des Albums als Gesamtkunstwerk - und mit ihm auch die Kassette.
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