Virologe im Interview

Streeck zu Drohungen gegen Wissenschaftler: "Finde das befremdlich!"

Janina Lionello

nordbayern.de

E-Mail zur Autorenseite

14.10.2021, 06:00 Uhr
Professor Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie und HIV-Forschung an der Uni Bonn. 2020 leitete er die Case-Cluster-Studie zu Covid19 in der Gemeinde Gangelt. 

© Federico Gambarini/dpa Professor Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie und HIV-Forschung an der Uni Bonn. 2020 leitete er die Case-Cluster-Studie zu Covid19 in der Gemeinde Gangelt. 

Herr Streeck, Sie haben in den knapp zwei Jahren Ihres öffentlichen Expertentums viel Kritik einstecken müssen. Inwiefern hat Sie das in ihrer Arbeit als Wissenschaftler beeinflusst?

Prof. Hendrik Streeck: Ich habe gelernt, damit umzugehen. Mit der Zeit wird man souveräner, Shitstorms sind ja gerne politisch getrieben. Was mich wirklich stört, ist, wenn kommuniziert wird, dass es die eine richtige wissenschaftliche Position in der Pandemiebekämpfung gegeben hätte oder gäbe.

Es herrscht dabei ein großes Missverständnis vor, was Wissenschaft ist und was Wissenschaft leisten kann. Wir sind nicht Nostradamus, wir sind keine Propheten oder Wahrsager, die wie bei Asterix einen Fisch hochhalten und daraus deuten, wie es jetzt weitergeht. Das ist keine Wissenschaft. Wissenschaft muss Thesen aufstellen und wieder korrigieren, Wissenschaft muss diskutiert und immer wieder neu und weiter entwickelt werden.

Aber braucht die Bevölkerung in einer Pandemie nicht klare Ansagen, an die sie sich halten kann?

Streeck: Ich bin Wissenschaftler, kein Politiker. Es ist daher nicht mein Job, Entscheidungen zu treffen, und ich kann diese Entscheidungen auch niemandem abnehmen. In der Wissenschaft verhindert absolute Homogenität jedoch Fortschritt weil man vielmehr Diskurs, Widerspruch und offene Diskussion braucht. Daher ist die Idee von "false balance" höflich gesprochen unangebracht in diesem Kontext.

Es rührt hier daher, dass es Beiträge in der Debatte gab, die vorgaben, dass ihre Meinung die einzig richtige gewesen wäre, andere daher die falsche. So etwas gibt es aber im wissenschaftlichen Diskurs in dieser Form nicht. Bei "false balance" geht es um Extrempositionen. Aber keiner von uns leugnet die Existenz des Virus.

Ich bekomme Zuschriften von vielen Kollegen, die mir schreiben, dass sie vieles so sehen wie ich, sich aber nicht trauen, ihre Positionen öffentlich zu äußern, da sie fürchten, angegangen zu werden. Das verhindert Fortschritt.

Mir ist konkret die Kritik des Moderators Jan Böhmermann an Ihnen sehr präsent.

Streeck: Zum Fall Böhmermann muss ich sagen: Ich finde es befremdlich, einem Wissenschaftler das Recht einer Meinungsäußerung abzusprechen und öffentlich zu fordern, dass er aufgehängt werden soll, wie er es im Frühjahr in einem Podcast getan hat. Das kann man als Drohung verstehen, auch wenn er es natürlich in Satire verpackt hat. Das war zu einer Zeit, in der wir vom NRW-Expertenrat reale Morddrohungen erhalten haben.

Im Grunde steht doch die Frage im Raum: Welche Expertise ist die beste, woran sollte man sich orientieren?

Streeck: Eben. Und auch hier kann es nicht die eine richtige Antwort geben, denn wenn man es genau betrachtet, merkt man, dass niemand der hundertprozentig richtige Experte für diese Pandemie ist. Kollege Drosten weiß viel über die Beschaffenheit des Virus, Herr Lauterbach ist Politiker und Gesundheitsökonom, Frau Brinkmann Biologin mit Fokus auf Herpesviren, Frau Priesemann hat an neuronalen Netzwerken gearbeitet.

Ich bin Facharzt für Virologie, habe mich aber zuvor vor allem mit HIV beschäftigt und war im Impfstoffprogramm des US Military, wie der US-Experte Fauci im übrigen auch. Er wird ja oft als der Experte schlechthin für das Coronavirus verkauft, obwohl er einen ähnlichen Forschungsfokus hatte.

Eine epidemiologische - und damit möglicherweise auch nicht ganz ihren Kernforschungsbereich betreffende Frage: Was erwartet uns Ihrer Einschätzung nach diesen Herbst und Winter?

Streeck: Herbst und Winter ist Rotz-und-Wassersaison, das wird dieses Jahr nicht anders sein. Wir rechnen alle mit einer deutlich ansteigenden Coronawelle im Herbst, weil auch die bereits bekannten Coronaviren sich in wellenförmigen saisonalen Verläufen verbreiten. Außerdem gibt es ja schon jetzt die ersten Grippefälle. Es kann natürlich sehr gut sein, dass wir dieses Jahr wieder eine saisonale Grippe bekommen, die letztes Jahr ja verschwunden war. Ein Szenario mit zwei parallelen Wellen halte ich für möglich.

In meinem Umfeld schnieft und trieft schon jetzt alles. Ist das nicht noch etwas zu früh?

Streeck: Stimmt, es ist schon interessant, dass wir dieses Jahr bereits im Sommer einen atypischen Ausbruch an solchen eher winterlichen Erregern hatten. Nicht nur RSV sondern beispielsweise auch Parainfluenza 3. Ganz genau kann man sich natürlich nicht erklären, woher das kommt, aber man nimmt an, dass verschiedene Faktoren eine Rolle gespielt haben. Zum Beispiel hatten auch Kinder länger keinen Kontakt zu Krankheitserregern, da sie zuhause bleiben mussten und Maske getragen haben.

Eine Infektion bewirkt ja nicht nur, dass man einen bestimmten Erreger bekämpft, sondern, dass das ganze Immunsystem in eine Art Alarmzustand geht und dabei hochreguliert. Was letztlich zu mehr Abwehrkräften im Allgemeinen führt.

Sie haben in ein Buch über das Immunsystem geschrieben, das bald in den Handel kommt. Geben Sie uns ein paar Tipps: Was können wir tun, um unsere Abwehrkräfte zu stärken?

Streeck: Wir haben ein unglaublich starkes Immunsystem. Es besteht nicht nur aus Antikörpern, sondern ist ein höchstkomplexes kommunikatives System, das anfängt mit physischen Barrieren, auch auf den Schleimhäuten zum Beispiel, bis hin zu hochkomplexen Zellstrukturen. Die Menschheit hat seit ihrer Existenz immer mit Erregern, Bakterien, Virenparasiten zu tun gehabt und unser Immunsystem ist so komplex aufgebaut, dass es sowas auch bekämpfen kann.

Das wichtigste am Immunsystem ist, dass wir alles in Maßen tun. Gute Händehygiene ist wichtig, aber übermäßige Hygiene kann schädlich sein. Es gilt, einen Mittelweg zu finden. Und natürlich spielen auch Sachen wie Ernährung, Sport oder psychischer Zustand eine Rolle, negative Faktoren sind beispielsweise Stress oder fehlender Schlaf.

Kinder, heißt es, könnten in diesem Winter ziemlich erwischt werden von den verschiedenen Atemwegserkrankungen, der RSV-Erreger im Speziellen wird häufig erwähnt.

Streeck: Generell besitzen Kinder ein hochreguliertes Abwehrsystem. Eine aktuelle Studie zu SarsCov2, die vor kurzem in Nature erschienen ist, hat sehr schön gezeigt, dass sie im Rachen generell ein höheres Alarmsystem haben. Bei ihnen können sich schlechter Viren und Bakterien festsetzen, weil sie nicht so gut durchkommen.

Jetzt haben wir sie aber aus einem Umfeld mit konstanten Begegnungen mit Erregern herausgenommen, das erklärt natürlich ganz gut, warum es im Moment zu derart vielen atypischen Erkältungsinfektionen kommt.

Verwandte Themen