Podcast-Projekt
Tabuthema Sterilisation: Warum es Frauen so schwer gemacht wird, kinderfrei zu leben
14.04.2025, 05:00 Uhr
„Wenn der richtige Mann kommt, fühlst du dich schon bereit“, „der Kinderwunsch wird schon noch kommen“ und „warte mal, bis du 30 bist!“ Solche Sprüche kennt Katia von der Heydt zur Genüge. Die heute 33-Jährige aus Kiel will und wollte noch nie Kinder haben. Unter anderem deswegen hat sie sich sterilisieren lassen.
Vielen jungen Frauen ohne Kinder wird jedoch eine Sterilisation jahrelang verwehrt. Zum einen schreiben die meisten Praxen nicht aus, wenn sie den Eingriff anbieten – zum anderen stehen viele Ärzte dem Eingriff skeptisch gegenüber. Sogar bei Katia von der Heydt, die sich vor allem aus medizinischen Gründen sterilisieren lassen wollte, lehnte die eigene Gynäkologin die Operation erst einmal ab, weil sie keine 30 Jahre alt war.
Seit Jahren litt von der Heydt unter Endometriose. Starke Schmerzen, Krämpfe und Zysten im Uterus gehörten zum Alltag der 33-Jährigen. „Ich habe teilweise im Supermarkt beim Einkaufen auf dem Boden gelegen, weil ich nicht mehr stehen konnte. Weil sich das angefühlt hat, als würde mir jemand Dolche in den Bauch stecken“, erzählt die junge Frau.
Als dann auch noch eine Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs bei ihr diagnostiziert wurde, wollte Katia von der Heydt sich den Uterus entfernen lassen. Mit dieser Sonderform der Sterilisation sollte ihr ein schmerzfreies Leben ermöglicht werden.
Trotz dieser ganzen Voraussetzungen war ihre Gynäkologin zunächst nicht bereit, einer so jungen Frau gleich ein ganzes Organ zu entfernen. Erst nach weiteren Gesprächen, in denen Katia von der Heydt klarmachte, dass sie wirklich keinen Kinderwunsch verspüre, erklärte sich die Ärztin bereit.
Lange Suche nach einem Arzt, der sterilisiert
Suchen Interessierte online nach einer Sterilisation für den Mann, beispielsweise eine Vasektomie, fänden sie schnell eine Liste mit Ärztinnen und Ärzten, die den Eingriff durchführen, so die 33-Jährige.
Für Frauen – Katia von der Heydt spricht lieber von Menschen mit Uterus – ist das Angebot dagegen nahezu nicht vorhanden. „Es kann nicht sein, dass es so viele Menschen gibt, die gerne eine Sterilisation haben wollen und wirklich absolut niemanden dafür finden“, ärgert sich die 33-Jährige. Auch kursieren viel zu viele Falschinformationen zu dem Thema, so die junge Frau.
Deshalb gründet Katia von der Heydt gemeinsam mit weiteren Frauen 2019 den Verein „Selbstbestimmt Steril“. Gerade Frauen, die sich sterilisieren lassen wollen, finden hier Informationen, Erfahrungsberichte und behandelnde Praxen. Alle Informationen werden in ehrenamtlicher Arbeit zusammengetragen. Inzwischen zählt der Verein 67 Mitgliedern.
Ärztlicher Willkür unterworfen
Auf der Webseite von „Selbstbestimmt Steril“ findet sich auch eine Karte mit Ärzten, die die Operation anbieten. Aktuell sind darauf 81 Praxen verzeichnet. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn die Praxen müssen zustimmen, bevor sie dort aufgeführt werden.
Auch die Bedingungen für den Eingriff sind dort aufgelistet. Manche Ärzte und Ärztinnen legen ein Mindestalter fest. Andere verlangen, dass eine Frau zum Beispiel bereits drei Kinder haben muss, um dort entsprechend behandelt zu werden. Die Bedingungen für eine Sterilisation schwanken gemäß der Karte zwischen einem Mindestalter von 18 bis 30 Jahren und teilweise gibt es die Voraussetzung mindestens ein Kind zu haben.
Die Ärzte würden so sichergehen wollen, dass die entsprechenden Frauen reif genug für eine derart endgültige und weitreichende Entscheidung seien, erklärt von der Heydt. Dennoch versteht sie nicht, warum diese Bedingungen so willkürlich gehandhabt werden, anstatt ein festes Alter für alle zu setzen.
Eine Sterilisation selbst ist kein großer Eingriff. Durch zwei kleine Schnitte im Bauch oder durch den Bauchnabel durchtrennt ein Arzt oder eine Ärztin dabei entweder den Eileiter ganz oder klemmt ihn ab. Oft wird die Stelle dann auch verödet. Eine vollständige Entfernung des Eileiters ist ebenfalls möglich, erklärt von der Heydt.
Warum lassen sich Frauen sterilisieren?
Die Gründe, warum manche Menschen keine Kinder wollen, sind dabei genauso vielfältig wie die Menschen selbst, die sich an „Selbstbestimmt Steril“ wenden. Katia von der Heydt sagt, die Frauen, die sich an den Verein wenden, seien ganz unterschiedlich, auch deren Alter.
„Es gibt Menschen, die sagen, ich darf gar keine Kinder bekommen, weil mir medizinisch davon abgeraten wird“, erklärt die 33-Jährige. Beispielsweise, weil eine Erbkrankheit in der Familie auftrete.
Selbstbestimmung ohne Reue
Der Hauptgrund, warum gerade Frauen immer noch so sehr um ihre Sterilisation kämpfen müssen, liegt laut Katia von der Heydt in den patriarchalen Strukturen begründet. „Der ganz, ganz große gemeinsame Nenner all dieser Dinge, die man dann an den Kopf geknallt bekommt, ist, dass Frauen in der Gesellschaft immer noch die Aufgabe haben, Kinder zu bekommen“, erklärt sie.
Diese veraltete Denkweise führe dazu, dass die Gesellschaft und auch die Ärzte oft gegen eine Sterilisation junger Frauen ohne Kinder seien. Auch hätten viele Ärzte Angst davor, dass ihre Patientinnen den Eingriff später bereuen. Eine sogenannte Refertilisation, bei der eine Frau wieder fruchtbar wird, ist nicht immer möglich. Die Chancen liegen je nach Person zwischen 30 und 70 Prozent laut dem Verein.
Für Katia von der Heydt gehört dieses Risiko dazu: „Die Medaille der Selbstbestimmung hat auch eine Kehrseite und die Kehrseite von Selbstbestimmung ist Reue“. Jede Entscheidung im Leben könne bereut werden. „Man muss sich vorher sicher sein, was die Sterilisation für einen bedeutet“, so die 33-Jährige.
Beim Verein selbst habe sich noch keine Person gemeldet, weil sie ihre Sterilisation bereut. Stattdessen bekämen sie eher Mails von dankbaren Frauen, die den Jahrestag ihrer Operation feiern. Auch Katia von der Heydt hat ihre Sterilisation nicht bereut: „Ich habe mein Willen bekommen und bin seitdem so zufrieden wie nie zuvor.“
In der dritten Folge von „Bye Bye Baby Boom – Wollen wir keine Kinder mehr?“ geht es um zwei Frauen, die sich bereits früh gegen eigene Kinder entschieden haben. Anika (24) und Gabi (75) haben sich ihre Sterilisation trotz aller Widrigkeiten hart erkämpft. Die Erfahrungen, die beide gemacht haben, sind ähnlich: Sie werden bevormundet, nicht ernst genommen und enttäuscht.
Warum Anika zwischenzeitlich komplett am Ende ist und zu welchen drastischen Mitteln Gabi in den 70ern greifen muss, erfahren Sie in „Kampf um Selbstbestimmung“. Zu hören ist die Folge überall, wo es Podcasts gibt.
2 Kommentare
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KlaraFall123
MillwallMike - gut gelesen! Als kinderlos bezeichnen sich in unserer Gesellschaft allerdings Frauen, die sehr gerne Kinder bekommen hätten, aus irgendwelchen Gründen aber leider keine haben. Frauen, die sich bewusst entscheiden, keine Kinder zu wollen, finden sich in dem Wort daher nicht wieder. Ihre Entscheidung macht sie kinderfrei.
MillwallMike73
"Warum es Frauen so schwer gemacht wird, kinderfrei zu leben"
Kinderfrei.... ist dies sowas wie Coronafrei oder Krebsfrei?
Wie wäre es einfach mit Kinderlos?
Manchmal lässt die Wortwahl derer die hier Artikel verfassen dürfen doch deutlich zu Wünschen übrig.