Thunberg bei Anne Will: "Verstehe diese Doppelmoral nicht"

Christian Urban

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1.4.2019, 07:22 Uhr
Thunberg bei Anne Will:

© Michael Kappeler, dpa

Kaum ein Name polarisiert derzeit so wie Greta Thunberg. Seit die 16-jährige schwedische Aktivistin für den Klimaschutz auf die Straße statt in die Schule geht und damit weltweit Kinder und Jugendliche dazu gebracht hat, es ihr gleichzutun, gibt es eigentlich nur zwei Reaktionen auf die junge Schwedin: Bewunderung - oder blanker Hass. Letzterer wird besonders in den sozialen Netzwerken deutlich, wo erwachsene Menschen reihenweise der "vorlauten Göre" beispielsweise gerne "mal ein bisschen Verstand einprügeln" würden. Oder Schlimmeres.

Man musste also davon ausgehen, dass in der Anne-Will-Sendung "Streiken statt Pauken - ändert die Generation Greta die Politik?" ordentlich Dampf auf dem Kessel ist. Die Zusammenstellung der Talkrunde war dann auch durchaus hochkarätig: Reiner Haseloff (CDU), Robert Habeck (Die Grünen), Therese Kah (Aktivistin), Wolfgang Kubicki (FDP) und Harald Lesch (Astrophysiker und Autor).

Aufhänger der Sendung war ein Interview, das Moderatorin Anne Will im Vorfeld mit Thunberg geführt hat. Die Triebfeder ihres Handelns brachte die Junge Schwedin gleich im ersten Satz auf den Punkt: "Ich habe Angst vor der Unsicherheit der Zukunft." Daher begann sie zu streiken: Am 20 August 2018, dem ersten Schultag nach den Ferien, stellte sie sich mit einem Plakat mit der Aufschrift "Schulstreik für das Klima" vor den Schwedischen Reichstag in Stockholm. Eine wirkliche Agenda hatte sie nicht: "Ich habe das nicht getan, um eine Bewegung zu starten", erklärt sie in einem später eingespielten weiteren Teil des Interviews, "Ich wollte einfach nur tun, was ich kann."

"Aufmerksamkeit in zwei Wochen wieder weg"

Dass es sich bei den Protesten um einen Streik handelt, wollte Wolfgang Kubicki jedoch nicht gelten lassen: Ein Streik sei da, um dem Arbeitgeber weh zu tun, die Schüler jedoch täten sich nur selbst weh. Bei den Protesten handle es sich um Demonstrationen, die jedoch problemlos auch außerhalb der Schulzeit stattfinden könnten, wandte der FDP-Politiker ein. Eine Steilvorlage, die sich Therese Kah, "Fridays for Future"-Aktivistin, nicht entgehen ließ: Es brauche eben drastische Maßnahmen, um zu zeigen, wie drastisch die Klimakrise ist. Und "wenn wir am Samstag demonstrieren, ist die Aufmerksamkeit in zwei Wochen wieder weg."

Auch den Einwand von Reiner Haseloff, er rate seinen Enkeln eher, etwas zu lernen und zu studieren, mit dem sie in der Zukunft etwas für den Klimaschutz tun können, konterte Kah direkt: "Wir haben nicht Zeit zu warten, bis mein Studium fertig ist". Es gehe nicht darum, irgendwann etwas zu tun, wenn die Schülerinnen und Schüler ausgelernt haben, sondern jetzt.

Auch Robert Habeck war auf Kahs Seite: Es gebe zwar eine Schulpflicht, die Schule jedoch sei dazu da, junge Menschen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen. Außerdem wäre es kein Problem, die Streiks sofort zu beenden: Die Politik müsse einfach nur tun, was die Protestierenden fordern, schlussfolgert der Grünen-Politiker. Sein Resümee: Die Schülerinnen und Schüler "gehen auf die Straße, weil sie in der Schule aufgepasst haben."

Wenig überraschend war auch der Astrophysiker und Autor Harald Lesch auf der Seite der Protestierenden: Eigentlich müssten noch viel mehr Schüler die Schule schwänzen, so der Wissenschaftler, denn der Klimawandel werde schlimmer und schlimmer. Und während die jungen Leute die einzigen wären, die die Wissenschaft wirklich ernst nähmen, betreibe die Politik "business as usual".

"Ich habe keine wirkliche Mission”

In einem weiteren Einspieler des Thunberg-Interviews blieb der jungen Schwedin dann etwas mehr Zeit, sich (in makellosem Englisch) zu erklären. Natürlich habe ihr Asperger-Syndrom, eine milde Form des Autismus, Auswirkungen auf ihr Denken, räumte die 16-Jährige ein. Sie sehe die Dinge sehr schwarz-weiß. "Manche sagen, der Klimawandel sei so wichtig - und trotzdem machen sie einfach so weiter. Ich verstehe diese Doppelmoral nicht.” Sie wolle niemandem vorschreiben, ihren Lebensstil zu führen, sie selbst könne aber nicht herumfliegen und gleichzeitig anderen sagen, sie sollen ihre CO2-Emissionen verringern.

Die Vorwürfe, sie schreibe ihre Reden nicht selbst, seien absurd. "Es ist lächerlich, dass Menschen so wenig von anderen halten, dass sie versuchen, sie niederzumachen." Sie schreibe ihre Reden selbst, hole sich aber natürlich auch Informationen von Wissenschaftlern. "Viele Menschen sagen, dass meine Mission scheitern wird. Aber ich habe keine wirkliche Mission. Meine Aufgabe ist es, alles zu tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen", schloss Thunberg, räumte aber ein, dass ein Mensch alleine diese Aufgabe nicht bewältigen kann. "Es braucht Kooperation."

Nach dem eingespielten Interview verlor sich die Runde leider teilweise in parteipolitischem Geplänkel - klare Aussagen und insbesondere Lösungsvorschläge waren Mangelware. Wolfgang Kubicki verwies auf die Absurdität, dass Angela Merkel in einem Podcast die Schülerproteste - also die Demonstrationen gegen ihre eigene Politik - gelobt hatte, betonte aber auch, dass nationale Alleingänge beim Klimaschutz nichts bringen, sondern global agiert werden müsse.

Thunberg bei Anne Will:

© NDR/Wolfgang Borrs

Robert Habeck wies darauf hin, dass der politische Wille zur Veränderung fehle, während sich Reiner Haseloff zu der gewagten Aussage hinreißen ließ, der durchschnittliche Grünen-Wähler würde mehr CO2 produzieren als ein Wähler der CDU. Therese Kah hingegen kritisierte, dass sich die Schülerinnen und Schüler nicht ernstgenommen fühlen: Man brauche die Unterstützung der Wissenschaft, denn ansonsten käme von der Politik nur ein "ganz nett, was Ihr da macht, aber wir wissen es ja eigentlich besser."

Die vermutlich treffendste Zusammenfassung des ganzen Dilemmas (und eigentlich auch der Diskussion an sich) stammte allerdings von Astrophysiker Lesch. Er resümierte leicht resigniert: "Die Katastrophe ist, dass wir es nicht schaffen, der Bedeutung des Themas angemessen miteinander zu sprechen." Dem ist nichts hinzuzufügen.

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