Beleidigungen
War das Internet ein Fehler? Junge Menschen leiden unter digitaler Gewalt, Rapperin enthüllt Täter
02.02.2025, 05:00 Uhr"Man muss sich schon fragen, ob das mit dem Internet für alle nicht vielleicht doch ein Fehler war", schreibt jemand unter einen Post des Instaaccounts not_all_sons_but_yours_ der Berliner Rapperin Nura. Der Kommentar bezieht sich auf die beleidigenden, rassistischen und sexistischen Nachrichten, mit denen Nura täglich auf Instagram konfrontiert ist. Seit Oktober 2024 veröffentlicht sie auf dem Account Screenshots von den Nachrichten, die sie erhält. Und es ist alles dabei: kurze Nachrichten bis hin zu seitenlangen Nachrichten über Tage hinweg gefüllt mit unfassbar beleidigenden Worten. Und Nura ist bei weitem nicht die Einzige: Das Problem ist, dass Betroffene den Nachrichten nahezu ausgeliefert sind. In jeder neuen Sekunde kann eine neue auf dem Display erscheinen.
Doch die ehemalige SXTN-Rapperin möchte sich dem nicht ergeben. Im Gegenteil: Sie möchte ein öffentliches Bewusstsein für das Problem schaffen. Zu Beginn hat sie die User-Namen der Absender noch verborgen. Mittlerweile lassen sich Posts finden, auf denen die Namen der Absender zu sehen sind. Zukünftige Verfasser ihrer "Fanpost", wie sie es selbst scherzhaft bezeichnet, müssen also mit einer Veröffentlichung ihrer Nachrichten rechnen. Ein weiterer Kommentar unter einem ihrer Posts: "Scham muss die Seiten wechseln." Nura scheint genau dieses Ziel zu verfolgen.
Wie viele Betroffene?
Einige Menschen fragen sich vielleicht, ob es sich wirklich um ein Internet-Problem handelt oder ob Nura diese Nachrichten nur erhält, weil sie eine Person des öffentlichen Lebens ist. Die Antwort liefert eine Studie der Menschenrechtsorganisation HateAid zusammen mit der Universität Klagenfurt. Es wurde untersucht, welche Erfahrungen speziell junge Erwachsene mit digitaler Gewalt machen und welche Auswirkungen das auf ihr Verhalten hat. Dafür wurden im Zeitraum von Oktober bis November 2023 mehr als 3.000 Personen ab 14 Jahren mit Wohnsitz in Deutschland befragt. Der Schwerpunkt der Studie liegt jedoch auf der Altersgruppe von 18 bis 27 Jahren.
Das Ergebnis: 63,1 Prozent der befragten 18- bis 27-Jährigen geben an, schon digitale Gewalt beobachtet zu haben. Fast ein Drittel (29,6 Prozent) war selbst betroffen. Unter den über 43-Jährigen waren es demgegenüber nur 9,2 Prozent . Weitere Erkenntnis: Sexualisierte Gewalt ist besonders verbreitet. 60 Prozent der betroffenen 18- bis 27-Jährigen haben mindestens einmal sexualisierte Übergriffe im Netz erlebt oder ungewollt Nacktbilder zugeschickt bekommen. Dabei sind weibliche Personen häufiger (67,2 Prozent) betroffen als männliche (51,8 Prozent). Die Geschäftsführerin von HateAid Anna-Lena von Hodenberg betont: "Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen jetzt besser vor Gewalt im Internet schützen." Aber wie?
Was gibt es für Möglichkeiten?
Blickt man auf die Zahl der Betroffenen, wird klar, dass aktuell noch viel zu wenig für den Schutz vor Gewalt im Internet getan wird. Trotzdem scheinen auch Plattformen wie Instagram immer mehr zu verstehen, dass es auch in ihrer Hand liegt, etwas gegen digitale Gewalt zu unternehmen. Deshalb führte Instagram die Nacktfotoerkennung ein. Sie funktioniert ausschließlich auf Apples Betriebssystem iOS 13 und neueren Versionen. Wenn User die Nacktfotoerkennung aktivieren, wird eine Technologie auf das Gerät heruntergeladen, die Bilder aus Instagram-Direktnachrichten automatisch unscharf darstellen, wenn Nacktheit darin festgestellt wird. So lässt sich die Nacktfotoerkennung aktivieren.
Strafen bei sexuellen Nachrichten
Liest man die Nachrichten, die Nura erhält, könnte die erste intuitive Reaktion wie folgt ausfallen: "Das ist sexuelle Belästigung!" Doch so einfach ist es im deutschen Recht nicht.
Sexuelle Belästigung nach §184i StGB
"Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist."
Wichtig ist hier die Formulierung "körperlich berührt". Kurz gesagt: Es muss zu einem Körperkontakt gekommen sein, um von sexueller Belästigung sprechen zu können. Dieser Umstand ist im Internet jedoch offensichtlich nicht gegeben. Trotzdem empfinden Empfänger derartige Nachrichten als extrem belästigend. Welche Möglichkeiten gibt es also, dass eine solche Handlung bestraft wird? Die Antwort: die sogenannte sexuelle Beleidigung.
Jedoch existiert dieser Tatbestand im Strafgesetzbuch gar nicht, sondern ist eine Fallgruppe der Beleidigung (§ 185 StGB). Wichtig: Bei der sexuellen Beleidigung muss laut dem Fachanwalt für Strafrecht, Nikolai Odebralski aus Essen, eine beabsichtigte sexuell herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen sein.
Ein Beispiel: Nachrichten wie "Ich will mit dir ficken" gelten nicht als sexuelle Beleidigung. Nachrichten wie "Ich will mit dir ficken, weil du eine Schlampe bist" zählen jedoch als sexuelle Beleidigung, da das Opfer sexuell herabsetzend bewertet wird.
Was ist mit Genital-Fotos?
Zahlreiche Frauen und auch Männer kennen es: Das Handy macht Pling und es erscheint eine neue Nachricht auf dem Bildschirm. Betroffene öffnen die App, klicken auf den Chat und plötzlich erscheint ein Dickpic, also ein unaufgefordert zugeschicktes Bild von einem Penis. Bei den meisten löst es ein Gefühl von Ekel, Scham oder auch Wut aus. Letztere steigt in vielen auf, da sie sich diesem übergriffigen Verhalten ausweglos ausgeliefert fühlen. Doch es gibt einen Ausweg. Bei Dick- oder Vulvapics ist es nämlich etwas eindeutiger als bei sexuellen Nachrichten, da sie pornografische Schriften darstellen können. "Pornografie wird landläufig so definiert: Immer, wenn man vollständig Geschlechtsteile sieht, dann ist es Pornografie. Klassische Dickpics sind so etwas", erklärt der Strafverteidiger Rouven Colbatz aus Weiden gegenüber "ONetz". Bestraft wird die unaufgeforderte Verbreitung von pornografischen Inhalten nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 (StGB) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe.
Wie gehe ich damit um?
Die polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes empfiehlt von Genitalfotos Beweise zu sichern in Form von Screenshots. Im zweiten Schritt soll man den Kontakt blockieren und melden. Außerdem soll man die Bilder nicht weiterverbreiten. Zudem wird darauf hingewiesen, dass Betroffene jederzeit eine Anzeige erstatten können. Achtung: Strafverteidiger Colbatz appelliert an Betroffene, nicht auf Dickpics zu antworten, da dies sonst als Einverständnis ausgelegt werden könnte - eine rückwirkende Einwilligung, mit der Folge der Straflosigkeit.
Wie erstatte ich eine Strafanzeige?
Betroffene können Versender von Dickpics auch ganz leicht online anzeigen kann. Auf der Website Dickstinction.com lässt sich über ein Online-Formular schnell und einfach eine formell korrekte Anzeige vorbereiten. Dafür benötigt man folgende Informationen: Empfangsdatum des Dickpics, der Weg der Zustellung (Messenger App, Social-Media-Account, Mail etc.), Screenshot der Aufnahme, Namen oder Usernamen des Absenders (falls vorhanden und bekannt) und eigene persönliche Daten. Im nächsten Schritt kann die verfasste Anzeige als Dokument heruntergeladen und für die Anzeigenerstattung ausgedruckt werden. Die erstellte Anzeigenschrift können Betroffene bei den Onlinewachen hochladen, oder ausgedruckt bei Ihrer zuständigen Polizeidienststelle abgeben.