Warteschlangen und hohe Erwartungen - Beginn des Halle-Prozesse

21.7.2020, 14:19 Uhr

Bereits um halb sieben, dreieinhalb Stunden vor dem geplanten Verhandlungsbeginn, stehen die ersten Menschen vor dem Gerichtsgebäude in Magdeburg. Das Interesse an dem Prozess zum rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge von Halle vor rund neun Monaten ist groß - auch international. Während Besucher, die noch einen der raren Plätze im Saal ergattern wollen, in der Sonne warten, fährt ein Konvoi von Polizei- und Justiztransportern mit Blaulicht und Sirenen vor - unter hohen Sicherheitsvorkehrungen wird der Angeklagte zum Gericht gebracht.

Knapp vier Stunden später wird der 28-Jährige an Händen und Füßen gefesselt von maskierten Justizbeamten in den Gerichtssaal geleitet. Gekleidet mit schwarzer Jacke, Jeans und Turnschuhen schaut Stephan Balliet ernst in die Kameras der anwesenden Medienvertreter. Mehr ist von der Mimik nicht zu erkennen, weil der Angeklagte wegen der Corona-Pandemie einen Mundschutz trägt. Gegen 12.00 Uhr, rund zwei Stunden später als geplant, startet der Prozess zu dem Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 schließlich.

"Für uns ist so ein Verfahren natürlich auch eine besondere Situation", sagt die Vorsitzende Richterin Ursula Merten und entschuldigt sich für die Verspätung und die Wartezeiten. Wegen der strengen Sicherheitskontrollen hat es bis zu drei Stunden gedauert, bis Prozessbeobachter die Einlasskontrolle hinter sich gebracht haben, wie ein dpa-Reporter vor Ort beobachtet. Bei einem Probelauf in der vergangenen Woche sei noch nicht einkalkuliert gewesen, dass sich auch Medienvertreter einer umfangreichen Sicherheitskontrolle unterziehen müssen, jetzt sei das aber der Fall, erklärte Gerichtssprecher Wolfgang Ehm.


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Es ist nicht die erste Panne in der juristischen Aufarbeitung des Attentats: Anfang Juni war bekannt geworden, dass der Angeklagte am Pfingstwochenende während eines Hofgangs zeitweise unbewacht gewesen war und die Situation für einen Fluchtversuch genutzt hatte, der jedoch scheiterte. Im Anschluss wurde Stephan Balliet in die Justizvollzugsanstalt Burg bei Magdeburg verlegt.

Der Anschlag am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur gehört zu den schwersten antisemitischen Straftaten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Laut Bundesanwaltschaft wollte der Attentäter möglichst viele der 52 Besucher der Synagoge töten. Er konnte sich jedoch auch mit Waffengewalt keinen Zutritt zum Gebäude verschaffen. Daraufhin tötete er eine Passantin vor der Synagoge und einen Mann in einem Dönerimbiss. Außerdem verletzte er auf seiner Flucht mehrere Menschen, bevor ihn Polizisten gut eineinhalb Stunden nach Beginn der Tat etwa 50 Kilometer südlich von Halle festnehmen konnten.

Insgesamt werden dem Sachsen-Anhalter in der 121-seitigen Anklage 13 Straftaten zur Last gelegt, darunter Mord und versuchter Mord. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, "aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens" geplant zu haben, so die Bundesanwälte. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Mann, der die Vorwürfe im Wesentlichen eingeräumt hat, eine lebenslange Freiheitsstrafe und eine anschließende Sicherheitsverwahrung.

Vor dem Prozessbeginn sprach auch die Nebenklägerin Christina Feist, die während des Anschlags in der Synagoge in Halle war. Sie sagte: "Ich stehe heute vor Ihnen als Teil der Nebenklage im Prozess gegen den Täter und in wenigen Augenblicken werde ich diesem Täter im Gerichtssaal gegenüber stehen und ich werde wissen, dass ich noch lebe und dass ihm der Prozess gemacht wird."


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