Krankenstand
Werden die Deutschen immer kränker? Das steckt hinter den Rekord-Fehltagen
23.12.2024, 18:35 UhrDer Krankenstand der TK-versicherten Erwerbstätigen hat in den ersten elf Monaten des Jahres 2024 ein neues Rekordhoch erreicht. Das berichtet die Techniker Krankenkasse (TK). Grundlage sei eine Umfrage mit rund 5,7 Millionen bei der TK versicherten Erwerbstätigen. Laut Angaben war jede bei der TK versicherte Erwerbsperson von Januar bis inklusive November 2024 im Schnitt 17,7 Tage krankgeschrieben. Das ist im Vergleich zu den Vorjahreszeiträumen ein erneuter Rekord (2023/2022: 17,4 Fehltage). Im Jahr 2021 ergab die Umfrage noch 13,2 Fehltage. Damit ist der Krankenstand mittlerweile höher als vor der Corona-Pandemie. Im Jahr 2019 fehlten TK-versicherte Erwerbstätige im Schnitt 14,1 Fehltage in den ersten elf Monaten des Jahres.
Auch der AOK-Bundesverband teilte in diesem Jahr mit, dass zwischen Januar und August auf 100 Versicherte rund 225 krankheitsbedingte Arbeitsausfälle kamen. Ermittelt habe der Verband die Zahl auf Basis von Krankmeldungen. Zu diesem Zeitpunkt waren das genau so viele Krankheitsfälle wie im Gesamtjahr 2023. Damals betonte die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands, Carola Reimann, dass die Grippewelle im Herbst und Winter noch nicht in die Zahl mit eingeflossen ist. Demnach kamen im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2021 auf 100 Versicherte lediglich knapp 160 Krankheitsfälle pro Jahr.
Gegensätzliche Stimmen
Der Gesundheitsreport des BKK-Dachverbands der Betriebskrankenkassen zeichnet jedoch ein anderes Bild. Demnach sank die Zahl der Krankschreibungen 2023 mit 22,4 Fehltagen pro Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr leicht. Gleichzeitig wurde mit durchschnittlich 11,5 Arbeitsunfähigkeitstagen je Fall ein neues Zehnjahrestief erreicht.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht ebenfalls keinen erhöhten Krankenstand in Deutschland: Laut ihren Daten fehlten Beschäftigte 2023 im Schnitt 6,8 Prozent ihrer Arbeitszeit wegen einer Krankheit - so oft wie im Durchschnitt der Vor-Corona-Jahre 2015 bis 2019.
Statistischer Sondereffekt lässt Zahlen steigen
Das Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung geht auf Basis einer aktuellen Studie davon aus, dass der Großteil des Anstiegs der Fehlzeiten auf eine bessere statistische Erfassung zurückzuführen ist.
Laut Angaben war es bis 2022 den Arbeitnehmern überlassen, ob sie die Krankmeldung nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch der Krankenkasse weiterreichen. Dies erfolgte oft nicht, sodass die Daten bei den Versicherungen nicht registriert wurden.
Inzwischen erhalten die Krankenkassen automatisiert alle Krankmeldungen. Diese gehen so in die Statistiken der Kassen ein, was zu einem plötzlichen Anstieg der erfassten Fälle führte. Gleichzeitig spielten starke Erkältungswellen sowie ein bewussterer Umgang mit Atemwegserkrankungen nach der Pandemie eine Rolle. Die ZEW-Forscher weisen jedoch darauf hin, dass es in Deutschland trotzdem noch keine einheitliche und repräsentative Datenbasis gibt, die Fehlzeiten nach Krankheitsdauer akkurat und vollständig erfasst.
Grippe, Bronchitis und Corona
Erkältungskrankheiten wie zum Beispiel Grippe, Bronchitis oder Coronainfektionen seien die Hauptdiagnose für die Fehltage, so Dr. Jens Baas, TK-Vorstandsvorsitzender. Auch die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der AOK, Carola Reimann, geht von einem tatsächlichen Anstieg von Krankenfällen aus, wozu Atemwegserkrankungen wie Covid zählen. Auf 100 AOK-Mitglieder kamen im bisherigen Jahresverlauf rund 75 dieser Erkrankungen.
An zweiter Stelle stehen laut der TK psychische Diagnosen wie Depressionen oder Angststörungen. Bei der AOK kamen zwischen Januar und August auf 100 Versicherte rund 15 solcher Fälle und damit bereits mehr als im Gesamtjahr 2023. Weil Arbeitnehmer in solchen Fällen meist deutlich länger krankgeschrieben sind als etwa bei einer Erkältung, hat sich die Zahl der Fehlzeiten aufgrund von psychischen Erkrankungen zwischen 2014 und 2024 um fast die Hälfte erhöht. Im Schnitt sind die Beschäftigten in diesem Fall mehr als 28 Tage krankgeschrieben.
An dritter Stelle stehen laut der TK Krankschreibungen aufgrund von Muskelskeletterkrankungen.
Mitmenschen informieren
Jeder kennt ihn: den Anflug einer Erkältung. Es beginnt meistens mit Kopf- und Halsschmerzen oder Schnupfen. Laut dem TK-Chef Baas war während Pandemiezeiten die Frage, wie man andere Menschen vor Ansteckung schützen kann, sehr präsent. Doch eine aktuelle bundesweite Forsa-Befragung im Auftrag der TK zeigt, dass viele Menschen diese Haltung offensichtlich beibehalten haben. Das Ergebnis der Befragung: 77 Prozent der Befragten geben an, bei ersten Anzeichen soziale Kontakte, sofern möglich, zu vermeiden. Außerdem geben 71 Prozent der Befragten an, dass sie im Krankheitsfall Menschenmengen meiden. Das trifft bei 74 Prozent der Frauen und nur bei 67 Prozent der Männer zu.
Corona-Maßnahmen für viele immer noch relevant
Die Befragung zeigt außerdem, dass viele im Krankheitsfall immer noch die Corona-Schutzmaßnahmen wie Maskentragen (29 Prozent) oder Mitmenschen über die eigene Krankheit informieren, immer noch angewendet werden. Letzteres trifft bei 50 Prozent der unter 40-Jährigen und 34 Prozent der Befragten mittleren Alters zu.
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