Zweijähriger in Brunnenschacht: Suche hält Spanien in Atem

dpa

16.1.2019, 11:15 Uhr

Spanien bangt weiter um einen zweijährigen Jungen, der beim Spielen in einen 110 Meter tiefen Brunnenschacht gestürzt sein soll. Helfer versuchten unermüdlich, den kleinen Julen in dem Schacht von nur 25 Zentimetern Durchmesser aufzuspüren, berichtete das spanische Fernsehen am Mittwochmorgen.

Mittlerweile seien darin "biologische Überreste" gefunden worden, schrieb die Zeitung "El País" unter Berufung auf Polizeiangaben. Es handele sich dabei um Haare, sagte ein Lokalpolitiker spanischen Medien. Es werde angenommen, dass sie von dem verschollenen Kind stammen, Laboruntersuchungen sollten jetzt Gewissheit bringen. Ob Julen noch am Leben ist, ist weiterhin unbekannt.

Die Polizei hatte am Montag eingeräumt, man habe "noch keinen physischen Beweis" dafür, dass das Kind tatsächlich in dem Loch sei. Aufgrund der Angaben der Eltern, die das Kind im Schacht hätten weinen hören, schließe man aber andere Möglichkeiten - etwa, dass er rausgeklettert sei und sich verlaufen habe - vorerst aus. "Ich habe mich auf die Öffnung gestürzt und er war nicht mehr da. Ich habe ihn weinen hören, aber bald habe ich ihn nicht mehr gehört", sagte der Vater des Jungen, der arbeitslose Marktverkäufer José Rocio, weinend in einer von der Zeitung "La Vanguardia" veröffentlichten Aussage.

Der fröhliche Familienausflug aufs Land, ein Picknick mit viel Paella, wurde am Sonntag im hügeligen Waldgebiet jäh beendet. Eine Tante habe den Sturz aus einiger Ferne gesehen und laut um Hilfe gerufen, berichteten "La Vanguardia" und andere Medien. Der Kleine soll beim Spielen mit anderen Kindern in den offenen Schacht gefallen sein. Die Bergungsarbeiten werden von der Tatsache erschwert, dass der Schacht nur einen Durchmesser von rund 25 bis 30 Zentimetern hat.

Rettungsarbeiten gestalten sich schwierig

Mit einer Roboter-Kamera war man am Montag bis in eine Tiefe von knapp 80 Metern vorgedrungen. Dort hatte man eine Tüte mit Süßigkeiten entdeckt, die Julen bei sich trug. Weil sich Erde gelöst habe, die den Schacht verstopfe, komme man mit der Kamera bisher aber nicht weiter vorwärts, teilten die Rettungsteams mit. Der Schacht, der erst vor ein paar Wochen bei der Suche nach Wasser gegraben worden sei, sei insgesamt 107 Meter tief, hieß es. Das entspricht ungefähr der Höhe eines 30-stöckigen Gebäudes.

Es stellte sich unterdessen heraus, dass der Schacht wohl ohne die nötige Genehmigung gegraben wurde. Weder der Bergwerks- noch der Wasserbehörde liege ein solches Dokument vor, sagte ein Sprecher der andalusischen Regionalregierung der Zeitung "El País". Wer den Schacht gegraben hat, war bis Dienstag nicht bekannt.

An der Suche nahe dem 352 Meter hohen Hügel Cerro de la Corona rund 15 Kilometer nordöstlich der Küstenstadt Málaga beteiligten sich mehr als 100 Angehörige der Feuerwehr, der Polizei, des Zivilschutzes und anderer Notdienste. Auch Experten von Firmen und von Universitäten wurden hinzugezogen. Am Dienstag wurden zudem erfahrene Minenarbeiter der nördlichen Kohle-Region Asturien zu Hilfe gerufen. Eingesetzt wurden in dem für größere Fahrzeuge nur schwer zugänglichen Gebiet die verschiedensten Maschinen.

Zunächst hatte man erwogen, nach der Abtragung der abgelösten Erde und der Stärkung der Innenwände des Schachtes ein Bohrloch parallel zum Schacht zu bauen. Am Dienstag entschloss man sich aber dazu, das Gefälle des Terrains auszunutzen und von einem Abhang aus einen horizontalen, etwa 50 bis 80 Meter langen Tunnel zu graben, der direkt an das Ende des Brunnenschachts führen soll. Dann will man wieder die Roboterkamera einsetzen, um Julen zu finden. "Das ist die sicherste und schnellste Methode", sagte die Vizedelegierte der Zentralregierung in Andalusien, María Gámez.

Ganz Spanien bangt um den Jungen

Ein Experte erklärte im Fernsehen, der Bau eines solchen Tunnels werde zwei bis drei Tage in Anspruch nehmen, und das auch nur, falls keine Probleme auftauchten. Die Spanier hoffen, dass das Kind dank einer Luftblase länger überleben kann. "Mit jeder Minute, die vergeht, schwinden aber die Hoffnungen", kommentierte die Zeitung "ABC".

Mit jeder Minute wurde aber auch die Anteilnahme der Spanier größer. Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte schon am Sonntag dazu aufgerufen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Mut sprachen der Familie auch viele andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu. Königin Letizia, selbst Mutter zweier Töchter, erkundigte sich am Dienstag nach den Chancen des Kleinen. Mehr als 100 Unternehmen unter anderem des Bausektors boten Hilfe an. Das Madrider Innenministerium sicherte "alle Mittel" zu. Die Kirche forderte dazu auf, um den Kleinen zu beten. Auch Menschen, die die Familie nicht kannten, weinten vor laufenden TV-Kameras. "Alle sind erschüttert und bangen", sagte Journalist Onega.

Die Eltern von Julen, José und die Fastfood-Bedienung Victoria, waren bereits im Mai 2017 vom Schicksal hart getroffen worden. Bei einem Strandspaziergang starb damals Julens älterer Bruder Oliver (3) an einem Herzversagen. José und Victoria wollten die Unfallstelle nicht für eine Minute verlassen. Die Nachbarn der Familie im armen Málaga-Vorort El Palo waren ebenfalls untröstlich. "Der Kleine war hier immer mit seinem grünen Dreirad rauf und runter unterwegs. Mir fehlen die Worte", sagte eine ältere Frau weinend.

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