20 Jahre Smartphone: Kultobjekt, Freund und Feind
18.8.2016, 23:59 UhrEs gibt gewisse Zweifel, wann unser Geburtstagskind tatsächlich in diese Welt kam – und unter welchem Namen. Aber einiges spricht dafür, dass das entscheidende Datum der 15. August 1996 war und das 18 Zentimeter lange Gerät mit dem elegant umknickbaren Antennenstummel den durchaus programmatischen Namen "Nokia 9000 Communicator" trug.
Den Begriff Smartphone prägte erst vier Jahre später der Nokia-Konkurrent Ericsson. Und Anspruch, bereits 1993 unter dem Namen „Simon“ das erste Modell eines solchen kleinen Alleskönner-Mobiltelefons auf den Markt geworfen zu haben, erhob später auch IBM. Wie auch immer: Die Tatsache, dass heute keines dieser Unternehmen, sondern Samsung und Apple zu weiten Teilen den Smartphone-Markt beherrschen, zeigt, wie wenig absehbar vor 20 Jahren der technische und vor allem kommerzielle Triumphzug des multitalentierten Mobiltelefons noch war.
Nokias "Communicator" wurde vom Hersteller vor allem dafür gefeiert, dass es als mobiles Gerät Faxe verschicken und empfangen konnte. Die Möglichkeit, auf Webseiten zuzugreifen, spielte damals schon deshalb eine geringere Rolle, weil das Internet sich quasi noch im Aufbau befand und alles andere als eine mediale Massenveranstaltung war. Die größte Herausforderung für Handy-Entwickler bestand seinerzeit darin, die Geräte einerseits billiger werden zu lassen – der „Communicator“ kostete immerhin 2700 Mark -, und außerdem sollten sie immer weiter an Größe und Gewicht verlieren.
Kleine, leicht in der Hosentasche versenkbare Handys, aufklappbare Winzteile, waren schwer angesagt. Und galten gleichzeitig immer noch als Wichtigtuer-Accessoire. Wehe, so ein Ding begann abends im Restaurant zu läuten. Peinlich.
Wer auf die Frühgeschichte des Smartphones zurückschaut, klingt schnell wie Opa, der von seiner Jugendzeit erzählt. So dynamisch und allumfassend waren die Weiterentwicklung und die Verbreitung der Geräte, dass man kaum glauben kann, dass ihre Geschichte erst vor 20 Jahren begann.
Zehn Milliarden Euro Umsatz
Deutlich über 50 Millionen Deutsche haben mittlerweile ein Smartphone in Betrieb. Der Branchenverband Bitcom rechnet im laufenden Jahr mit dem Verkauf von gut 28 Millionen Geräten und einem damit erzielten Umsatz von über zehn Milliarden Euro.
Was einst als mobiles Bürogerät konzipiert war, hat sich zum scheinbar unentbehrlichen Alltagsgegenstand entwickelt. Und für nicht wenige zum Suchtproblem. In jedem Zug- und U-Bahnabteil ist die Zahl derer, die manisch auf ihrem Smartphone tippen und scrollen, in der Mehrheit. Und in vielen Familien ist nicht mehr der Fernsehkonsum der Kinder Hauptstreitpunkt, sondern die Dauernutzung ihres Smartphones.
Die massenhafte Verbreitung in der privaten Welt, „das ist unter anderem das Spannende am Smartphone“, sagt der Innovationsforscher Albrecht Fritzsche vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Uni Erlangen-Nürnberg. Andere technische Neuentwicklungen wie der PC oder der Laptop hätten sich zunächst im wirtschaftlichen Bereich ausgebreitet. Mit dem Smartphone gilt: Die Technik rückt näher an den Menschen heran. „Sie wird intimer“, sagt Fritzsche. „Die Menschen haben das Smartphone ständig dabei, immer griffbereit – selbst am Klo.“
Individuelle Apps
Und das Massenprodukt Smartphone kommt letztlich nicht mal daher wie ein Massenprodukt. Es wird als technische Plattform erworben und vom Nutzer danach individuell mit Apps und Features auf seine ganz eigenen Bedürfnisse zugeschnitten. Spätestens durch seine Nutzung als Adressbuch, Terminkalender, Fotoalbum und Musikspeicher wird es zum schier unersetzlichen Gegenstand. Sein Verlust löst kleine Alltagskatastrophen aus.
Natürlich wird das Smartphone nicht das Ende der Technikentwicklung sein. Längst zeichnet sich ab, dass vor allem die Vernetzung mit anderen Geräten unserer persönlichen Umgebung die Zukunft prägen wird. Wir werden vermutlich irgendwann im Smarthouse leben und im Smartcar durch Smartcities fahren.
Ob uns die Einbettung in künstliche Intelligenz schrittweise entmündigen wird? „Das ist ein Argument, mit dem man jede Form der Technik konfrontieren könnte“, sagt Innovationsforscher Fritzsche. Schon mit dem Entschluss, sich wärmende Kleidung zuzulegen, habe der Mensch in Kauf genommen, dass ihm mit der Zeit die Fähigkeit, Wind und Wetter auszuhalten, abhanden kam.
Etliche Jahrtausende später freut sich der Mensch über die kuscheligen Kommunikationsmöglichkeiten des Smartphones. Selbst im hintersten Winkel der Welt garantiert es uns Verbindung zum globalen Informationsfluss. Wir sollten nur nicht glauben, dass es uns schlauer gemacht hat.
Freiwillige Entblößung
Wir jammern heute über Freiheitsverlust, weil uns – seit der Terror zu unseren Alltagsgefahren dazugehört wie die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden –, am Volksfesteingang ein Wachmann in den Rucksack schaut. Aber digital entblößen wir uns bereitwilligst, überlassen Internet-Konzernen komplette Bewegungsprofile und massenweise personenbezogene Daten, die unsere Smartphones diskret weiterreichen.
Wir sind so hoffnungslos naiv, weil uns seltsamerweise die Fantasie fehlt, die Risiken unseres Kommunikationsdrangs zu erkennen. Trotz einer von Despotismus und Habgier geprägten Menschheitsgeschichte mögen wir uns nicht vorstellen, dass das, was wir für unsere große Freiheit halten, sich am Ende als eine vernachlässigenswerte Episode in der Geschichte der Zivilisation erweisen könnte.
Und das Albernste: Sie kriegen uns über unseren Spieltrieb. So rasant wie die technische Entwicklung schreitet im Computer-Zeitalter unsere Infantilisierung voran. Wir jagen Pokémon-Monster und liefern dabei Datenmengen, die jeden Überwachungsstaat selig machen würden.
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