Absolute Mehrheit: Erdogan festigt seine Macht in der Türkei
24.6.2018, 22:02 UhrDie Fahnen schwenkenden Anhänger waren da, die Lautsprecher und die Gesänge vom starken Staatsmann Recep Tayyip Erdogan auch, selbst die Glückwünsche von Politikern aus dem In- und Ausland trafen ein. Doch der türkische Präsident zögerte am Sonntagabend nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen mit seiner angekündigten Siegesrede. Erst am späten Abend wandte sich der Staatschef in Istanbul an seine Anhänger und sprach von einem historischen Erfolg.
Denn obwohl Erdogan die Präsidentenwahl mit rund 53 Prozent der Stimmen klar gewann, sagte seine erfolgsverwöhnte Regierungspartei AKP im Vergleich zur letzten Wahl um sieben Prozentpunkte ab und verlor ihre Parlamentsmehrheit. Ab sofort muss Erdogan mit Hilfe der Nationalisten-Partei MHP regieren.
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Die türkische Opposition lief unterdessen Sturm gegen die Teilergebnisse, die von der regierungsnahen staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu verbreitet wurden. "Glaubt Anadolu nicht!", schrieb Erdogans Herausforderer bei der Präsidentenwahl, Muharrem Ince, auf Twitter. Nicht überall erwiesen sich die Beschwerden über Unregelmäßigkeiten der Regierungsseite als richtig. So war berichtet worden, dass Unbekannte im südostanatolischen Diyarbakir versucht hätten, tausend Stimmzettel in ein Wahllokal zu schleusen – doch ein kurdischer Parlamentsabgeordneter stellte bei einem Besuch vor Ort fest, dass die Wahlzettel aufgrund eines Missverständnisses angeliefert worden waren.
Opposition verpasst ihre Ziele
Inces Partei CHP erklärte, sie erkenne das Ergebnis nicht an. Im Laufe des Abends glichen sich die Zahlen von Anadolu und der von der Opposition getragene Stimmzähl-System Adil Secim allerdings immer mehr an. Der klare Sieg Erdogan war demnach unumstritten. Auch bei der Stimmenverteilung der verschiedenen Parteien im Parlament ergab sich rund fünf Stunden nach Schließung der Wahllokale ein einigermaßen übereinstimmendes Bild: Demnach kommt die AKP auf etwa 297 von 600 Sitzen im Parlament und verpasst damit die absolute Mehrheit der Mandate knapp. Sie muss deshalb mit der rechten MHP koalieren, mit der sie ein Wahlbündnis geschlossen hatte. Das Ergebnis könnte eine weitere Verhärtung der türkischen Politik etwa in der Kurdenfrage sein.
Die türkische Opposition verpasste ihre Hauptziele, Erdogan bei der Präsidentschaftswahl in eine Stichwahl am 8. Juli zu zwingen und im Parlament eine Mehrheit der Erdogan-Gegner zusammen zu bringen. Erdogan kann nun mit weit reichenden Machtbefugnissen unter dem neuen Präsidialsystem regieren, das ihn zur zentralen Figur in der türkischen Politik macht. Hoffnungen der Opposition, Erdogan zu stürzen oder zumindest zu schwächen, erfüllten sich nicht. Der Staatschef kann nun mindestens bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 regieren und dann für eine weitere Amtszeit kandidieren, die seine Herrschaft bis zum Jahr 2028 zementieren könnte. Wenn Erdogan nach der Wahl in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist, dann ist er es wegen der einflussreichen Position der MHP, nicht wegen der Stärke seiner Gegner.
Wahlbeteiligung sehr hoch
Nach einem engagierten Wahlkampf, der bei einem Teil der 56 Millionen Wähler eine Wechselstimmung weckte, hoffte die Opposition auf ein Ende der 16-jährigen Herrschaft von Erdogan und der AKP. Anders als bei Wahlen in den vergangenen Jahren waren Erdogan-Gegner überzeugt, dass diesmal eine politische Veränderung in Ankara gelingen könnte. Deshalb lag die Wahlbeteiligung bei fast 90 Prozent. In einigen Feriengebieten des Landes leerten sich die Strände, weil viele türkische Urlauber in ihre Heimatregionen fuhren, um ihre Stimme abgeben zu können.
Am Ende reichte es jedoch nicht für Erdogans Kritiker; die Beliebtheit des 64-jährigen bei konservativen Türken entpuppte sich als unüberwindliches Hindernis für sie. In Großstädten wie Istanbul und Ankara zeigte sich die Polarisierung der türkischen Gesellschaft deutlich: Hier stimmten jeweils rund die Hälfte der Wähler für und gegen den Präsidenten.
Für das Verhältnis zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern in Europa und den USA ist nach der Wahl keine rasche Normalisierung zu erwarten. Erdogan hatte sich im vergangenen Jahr einen heftigen Streit mit Deutschland und anderen europäischen Staaten geliefert. Mit den USA liegt Ankara wegen der amerikanischen Unterstützung für kurdische Milizionäre in Syrien über Kreuz. Gleichzeitig hat Erdogan die Zusammenarbeit mit Russland intensiviert.
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