Söder kann ihn kaum halten
Aiwanger redet sich um Amt und Würde
01.09.2023, 16:40 Uhr
"In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht." Der Satz stammt vom großen Kurt Tucholsky und passt aktuell exakt zum Fall Aiwanger.
Der Minister berauscht sich am Beifall, den er nun erhält, wenn er zwar den "Scheiß" aus seiner Jugend erwähnt, vor allem aber andere attackiert: den politischen Gegner und die Medien. Die zeigen auf den Schmutz, er kehrt ihn unter den Teppich.
Wie der FW-Chef mit den Vorwürfen umgeht - diese Art und Weise ist es, über die er stürzen dürfte. Lügen, schweigen, verdrängen, nur unter massivem Druck das Notwendigste einräumen. Mit eher rätselhaften Erklärungen auf immer neue Berichte reagieren - anstatt selbst zu berichten, wie das denn wirklich war in seiner womöglich braunen Jugend. Die Indizien häufen sich.
Was bei Joschka Fischer anders war
Viele, die Aiwanger nun vehement verteidigen, verweisen auf andere Fälle. Auf den Steinewerfer Joschka Fischer etwa. Der aber ging 2001, als seine gewalttätige Jugend publik wurde, detailliert ein auf die Zeit der Straßenschlachten. "Ich war damals kein Demokrat", räumte er ein, und er habe "Unrecht getan".
Nun sind von Aiwanger keine antisemitischen, rechtsextremen Sprüche in seiner Amtszeit bekannt. Aber sein Schwadronieren über "die da oben", die dem Volk die Demokratie wegnähmen, zeigt ein höchst befremdliches Demokratie-Verständnis. Er selbst ist natürlich Teil der Politik-Elite, er tut nur so, als gehöre er nicht dazu - weil er auch dafür Beifallsstürme erhält, die ihn aufputschen. Es sind Methoden, die Donald Trump erfolgreich praktiziert hat.
Im Landtag sitzt ein geläuterter Ex-Neonazi
Im Landtag sitzt übrigens mit dem CSU-Abgeordneten Jürgen Baumgärtner aus Kronach tatsächlich ein Ex-Neonazi. Er sagte sich von seiner Jugend los, berichtete in Schulen darüber, wie er ins braune Netz geriet. Eine glaubwürdige Läuterung. Aiwanger handelt ganz anders. Er vertauscht Ursache (seine "Jugendsünden") und Wirkung - die Aufklärung, auf die nun gepocht wird. Er redet sich so um seine Würde und womöglich auch um sein Amt.
Er lässt bisher im Unklaren, wie er war als Jugendlicher, es sieht so aus, als kokettiere er damit, weil es ihm Applaus bringt. Dass ihn Markus Söder nun drängen muss, die 25 Fragen zu beantworten: Auch das ist ein Beleg dafür, wie wenig ernsthaft Aiwanger das Ganze zu nehmen scheint. Wenn es sein muss, schaffe man das... Das ist die Art, wie er damit umgeht: diese lästigen Fragen...
Verlorene Glaubwürdigkeit, fehlendes Vertrauen
Es dürfe nichts mehr dazukommen, sagte Söder, als er Aiwanger um Klarheit bat. Es kam aber täglich Neues, Belastendes hinzu. Und eine mit Attacken verbundene Entschuldigung. Sollten Aiwangers Antworten auf Söders Fragen so ausfallen wie sein bisheriges Vorgehen, wird der Ministerpräsident seinen Vize nicht halten können. Die Gründe: fehlendes Vertrauen, verlorene Glaubwürdigkeit, zweifelhafter Umgang mit der liberalen Demokratie samt der Pressefreiheit.
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