AKK und "Meinungsmache": CDU ist auf Netzkritik nicht vorbereitet
30.5.2019, 21:39 UhrZwei Videos reichen, um die CDU und vor allem ihre Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer aus der Bahn zu werfen: Erst veröffentlicht der Youtuber Rezo sein Statement "Die Zerstörung der CDU", das inzwischen 13 Millionen mal angeschaut wurde - und damit öfter als eine durchschnittliche Tagesschau. Das Konrad-Adenauer-Haus kündigt ein Gegen-Video an, das zwar mit dem Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor gedreht, aber nie veröffentlicht wurde. Stattdessen kam: ein elfseitiges PDF-Dokument mit dem Titel "Wie wir die Sache sehen".
Kommentar zu AKK: Die irrlichternde CDU-Chefin
Der Aufruf von 90 bekannten Youtubern zwei Tage vor der Europa-Wahl, weder CDU/CSU noch SPD und AfD zu wählen, war dann offenbar zu viel für Kramp-Karrenbauer: Nach Gremiensitzungen ihrer Partei sprach sie am Montag gegenüber Journalisten von "klarer Meinungsmache“ und sagte: "Und die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache, was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich?" Ein Satz, den man durchaus als lautes Überlegen, Meinungsäußerungen im Netz vor Wahlen zu regulieren, verstehen darf.
"Meinungsmache" gibt es schon lange
Was einigermaßen erstaunlich ist, schließlich sprachen sich während des Bundestagswahlkampfs 2013 eine Reihe deutscher Prominenter, darunter Wolfgang Joop, Sascha Hehn und Heiner Lauterbach, klar für eine Wahl Angela Merkels aus - allerdings nicht auf Youtube, sondern auf einer CDU-eigenen Website.
Die CDU zeigt, dass sie offenbar kaum vorbereitet ist auf diese - für die meisten unter 40-Jährigen völlig normale - Art der Kommunikation. Das, was man Öffentlichkeit nennt, spiegelt sich längst in den Sozialen Netzwerken wider - nur mit dem Vorteil (oder Nachteil), dass sich Meinungen hundertmal schneller verbreiten. Nicht umsonst ersetzt US-Präsident Donald Trump oft genug Regierungserklärungen durch bis zu 240 Zeichen auf Twitter. Über deren Inhalt kann man natürlich streiten.
Deutsche Politiker tun sich hingegen - mit Ausnahmen - schwer, Social Media für sich zu nutzen. Wer sich die Reihen unter Parteivorständen, Spitzenkandidaten und Ministern, den echten Polit-Promis, ansieht, findet noch zu oft Beiträge der Kategorie: "Hauptsache, irgendwas ins Internet gestellt". Fotos vom Wahlkampfstand in der Innenstadt oder Links zur Pressemitteilung auf der eigenen Homepage.
AfD muss im Netz punkten - und ist damit erfolgreich
Es gibt allerdings eine Ausnahme: Die AfD. Seit Beginn des Jahres erhielten die Beiträge auf ihrer Facebook-Seite rund 2,9 Millionen Interaktionen, also Reaktionen, Kommentare und Shares. Das sind fast dreimal so viele wie alle anderen Bundestags-Parteien zusammen.
Warum ist die AfD im Netz so viel erfolgreicher? Zum einen weil sie es sein muss. “Die traditionellen Medien sind nicht bereit, deren Narrative zu verbreiten”, schreibt dazu Philipp Jessen, Ex-Chef von stern.de und Geschäftsführer des Social-Media-Start-Ups Storymaschine im Background-Newsletter des Tagesspiegels. Und das Interesse der AfD in genau den Medien aufzutauchen, denen sie regelmäßig Fake News vorwerfen, dürfte ähnlich gering sein.
Zum anderen spielen den Rechtspopulisten die Social-Media-Algorithmen in die Hände. Wer etwa auf Facebook viele Menschen erreichen will, muss Facebooks Regeln befolgen - und dafür haben die Parteien nur 1,7 Sekunden Zeit. So groß ist im Durchschnitt die Aufmerksamkeitsspanne, die Nutzer einen einzelnen Beitrag geben, wenn sie mit dem Handy durch den Newsfeed scrollen. Je knapper die Zeit desto knapper und emotionaler muss der Inhalt sein, am besten visuell und dauerhaft wiederholt - das gilt nicht nur für Fernsehwerbung, sondern eben auch für soziale Netzwerke. Und Facebook belohnt das Zuspitzen doppelt: Was mehr geliked, kommentiert und geteilt wird, wird vom Algorithmus für mehr Nutzer sichtbar gemacht.
CDU und SPD setzen kaum Themen im Netz
Dass die AfD das so viel erfolgreicher durchschaut hat als alle anderen Parteien - über all ihre Facebookseiten verteilt, setzten die Rechtspopulisten pro Woche über 4000 Foto-Posts ab - ist gefährlich: Denn rechte Nutzer dominieren politische Diskussionen in sozialen Netzwerken - auch, wenn sie nicht in der Mehrheit sind. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Social-Media-Analysefirma Alto kurz vor der Europa-Wahl. Demnach haben knapp die Hälfte aller politischen Beiträge eine Verbindung zur AfD oder rechten Themen, obwohl rechte Unterstützer nur zehn Prozent der Nutzer ausmachen.
CDU und SPD schaffen es den Analysten zufolge hingegen kaum, eigene Themen in den Netzwerken zu setzen - auch, weil eine klare Strategie nicht erkennbar ist. Die SPD stellte nach parteiinterner Kritik, im Bundestagswahlkampf weit hinter den Möglichkeiten geblieben zu sein, in den vergangenen Monaten immerhin mehr Mitarbeiter für den parteieigenen Newsroom ein, der für die Digitalstrategie mit zuständig ist. Das geht vielen aber nicht schnell genug: So forderte etwa Sarna Röser, die Bundesvorsitzende des Wirtschaftsverbandes “Die jungen Unternehmer” Union und SPD auf, Rechenschaft darüber abzulegen, was mit den staatlichen Zuschüssen für die Parteien geschehen ist. Der Bundestag hatte die Unterstützung 2019 um 25 Millionen Euro auf nun 190 Millionen Euro erhöht. Die Begründung: Die Parteien bräuchten mehr Geld für digitale Kommunikation.
Netzkampagnen wirken
Dabei könnte diese eigentlich so einfach sein: Denn via Social Media können Politiker Einblicke in den eigenen Alltag - jenseits von ulkigen Urlaubsbildern - und das eigene Denken bieten, Ideen sammeln und direkt mit Bürgern kommunizieren. FDP-Chef Christian Lindner etwa saß am Tag vor der Europa-Wahl entspannt auf seinem Balkon und beantwortete in einem Live-Video Fragen, die ihm in den Kommentaren gestellt wurden. Und Alexandria Ocasio-Cortez, seit Januar 2019 jüngste Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus gibt ihren 3,5 Millionen Instagram-Followern im Live-Video Tipps für mehr Selbstvertrauen, während sie in ihrer Küche steht und Reis kocht oder Möbel aufbaut. Manche mögen das anbiedernd finden, doch es soll zeigen: Eigentlich bin ich genau wie ihr, ich verstehe euch.
Dass sie etwas aus der Kritik der Youtuber gelernt hat und auf junge Menschen zugehen will, zeigte schließlich auch die SPD - oder zumindest drei ihrer Politiker. Einige Tage nach der Veröffentlichung des Videos erklärten Generalsekretär Lars Klingbeil, Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert und der Europa-Abgeordnete Tiemo Wölken auf Youtube ausführlich ihre Sicht der Dinge. Mit etwas mehr als 200.000 hat es bislang zwar nicht ansatzweise so viele Menschen erreicht wie Rezos Statement, aber mit Sicherheit mehr als das PDF-Dokument der CDU.
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