Rentenreform

Ampelkrach um die Rente - FDP will Korrekturen

27.9.2024, 04:06 Uhr
Minister Hubertus Heil will stabile Rente

© Kay Nietfeld/dpa Minister Hubertus Heil will stabile Rente

Mit ihren Plänen zur langfristigen Stabilisierung der Renten in Deutschland hat die Ampel ihren nächsten großen Konflikt vor sich. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnte bei der ersten Beratung der seit Monaten vorbereiteten Rentenreform im Bundestag, bei einem Scheitern würden die Rentnerinnen und Rentner ärmer. Die FDP-Fraktion pochte auf deutliche Nachbesserungen der gemeinsam von Heil und Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorgelegten Pläne. Laut der Union kann das Rentenpaket II nicht ausreichend korrigiert werden: Sie forderte die FDP deshalb zum Verlassen der Koalition auf.

Minister Heil verteidigte die Pläne. Es sei die Verantwortung als Bundesregierung, den Menschen Sicherheit zu geben. "Und das betrifft vor allen Dingen auch die Sicherheit im Alter." Die Basis der Alterssicherung bleibe die gesetzliche Rente. Sie sei für viele - vor allem in Ostdeutschland - die einzige Absicherung. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth sagte, die Menschen sollten langfristig Stabilität und Sicherheit erhalten.

FDP fordert Korrekturen

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, reihte sich nicht ein in die Ampel-Harmonie. "Dieses Gesetz ist noch nicht fertig", sagte er. Stabilisierung der Rente könne nicht bedeuten: "Wir erhöhen einfach die Beiträge für die arbeitende Mitte und für die Jungen immer weiter." Vogel zeigte sich aber sicher, dass Kompromisse und eine "bessere Lösung" möglich seien. Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) stufte es als völlig unrealistisch ein, das zu erreichen, was Vogel wolle. Die FDP müsse die Koalition aufkündigen.

Das geplante Gesetz soll die mehr als 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland vor einem Absinken ihrer Bezüge schützen. "Das werden wir verhindern, indem wir dafür sorgen, dass das Rentenniveau dauerhaft für alle Generation stabil bleibt", sagte Heil der Deutschen Presse-Agentur. Ein sinkendes Rentenniveau würde bedeuten, dass die Renten nicht mehr mit steigenden Löhnen in Deutschland Schritt halten. Dieses Verhältnis der Renten zu den Löhnen soll wie bereits bisher, dann aber bis 2040 nicht mehr unter 48 Prozent fallen dürfen. Bereits 2035 soll die dann amtierende Regierung neue Vorschläge machen.#

Warum die Reform kommen soll

Ursprünglich hatte Heil die Reform schon für 2022 angekündigt. Akuter Handlungsdruck besteht laut Heil, weil die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge nun in den Ruhestand gehen. "Wir müssen das entscheiden", sagte der Minister. Es sei eine Richtungsentscheidung.

Zuletzt sind die Renten in Deutschland zum 1. Juli um 4,57 Prozent gestiegen - erstmals seit Jahren spürbar über der Inflationsrate. Auch in den zwei Jahren zuvor gab es durchgängig teils deutlich über vier Prozent liegende Rentenzuwächse - davor hatten die Bezüge wegen der Corona-Krise stagniert. Heil erläuterte, ohne Stabilisierung des Rentenniveaus sänke die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentner ab 2027.

Vorgeschmack auf nächsten Rentenstreit

SPD-Chef Lars Klingbeil warnte die FDP vor einer Blockade. "Das, was wir verabredet haben, das muss kommen", sagte Klingbeil der dpa. "Ich kann nicht ganz verstehen, dass die FDP-Fraktion sich jetzt gegen ihren eigenen Parteivorsitzenden auflehnt." 

Heil gab im Plenum einen Vorgeschmack auf erwartete heftige Rentendebatten im nahen Bundestagswahlkampf. Das auf 67 Jahre steigende reguläre Rentenalter solle keinesfalls angetastet werden, bekräftigte er. Der Union und ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz warf Heil vor, auf weiter steigendes Renteneintrittsalter zu setzen oder geringer werdende Renten in Kauf zu nehmen.

Wie die Beiträge steigen

Der Beitragssatz liegt heute bei 18,6 Prozent des Einkommens. Ohne Reform würde er laut Prognose bis 2030 auf 20,2 und bis 2040 auf 21,3 Prozent steigen. Die geplante Sicherung des Rentenniveaus allein ließe den Beitragssatz laut Gesetz bis 2040 sogar auf 22,6 Prozent steigen. Doch Heil verspricht: "Wir sorgen vor, dass die Beiträge in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre nicht zu stark steigen."

Hier kommt der von der FDP durchgesetzte Teil des Gesetzes zum Tragen: das Generationenkapital. Lindner sprach in einem Interview von einer "Zäsur in der deutschen Rentenpolitik, dass wir im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nun auch in Wertpapieren anlegen werden". Die Regierung will dafür zwar Schulden aufnehmen, die aber nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Zunächst sollen 12 Milliarden Euro, in den Jahren darauf jeweils etwas mehr in den Kapitalstock fließen. Auf mindestens 200 Milliarden Euro soll die Anlage bis Mitte der 2030er Jahre wachsen. Ab 2036 sollen im Schnitt zehn Milliarden Euro jährlich an die Rentenkasse ausgeschüttet werden. Mit den Zinsen aus dem Kapitalstock soll der Beitragssatz bis 2040 auf 22,3 Prozent gedrückt werden. Ein Beitragssatzpunkt bringt der Rentenkasse heute rund 18 Milliarden Euro im Jahr.

Reicht das Geld?

Doch reicht das Geld für die steigenden Lasten für die Rentenkasse? Die Renten-Ausgaben dürften bis 2045 von 372 auf 755 Milliarden Euro (ohne Reform) beziehungsweise 802 Milliarden Euro (mit Reform) klettern. Dabei war der Anteil der Bundesmittel für die Rente am Bruttoinlandsprodukt trotz deutlicher Steigerungen der Summen mit 2,8 Prozent zuletzt so niedrig wie seit 1998 nicht mehr. Damals gab der Bund erst 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Rente aus, 2003 war der Anteil mit 3,5 Prozent am größten.

Derzeit sind die Prognosen ungewiss. Ökonomen befürchten eine konjunkturelle Abwärtsspirale. Heil sagte: "Gerade, weil wir in stürmischen Zeiten leben, in Zeiten großer Veränderungen, ist es wichtig, der Gesellschaft Sicherheit zu geben. Und das betrifft auch die gesetzliche Rente."

Beispiel aus Sachsen

Heil bringt das Beispiel einer Frau aus Sachsen, heute 49 Jahre alt. Wenn sie in den 40er Jahren in Rente geht, würde der unterschiedliche Effekt der Niveau-Stabilisierung oder eines Fallenlassen der Pläne einen Unterschied von 1100 Euro im Monat mehr oder weniger auf dem Konto der Sächsin ausmachen, rechnet er vor. Für die künftige Stabilität der Renten sei die zentrale Bedingung eine weiter hoher Beschäftigungsstand. 

Arbeitgeber: Pläne ins Museum

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnte vor dem "mit Abstand teuersten Sozialgesetz des 21. Jahrhunderts" - es gehöre nicht in den Bundestag, sondern in ein Museum für vermurkste Reformen. Anja Piel vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds forderte die Umsetzung der Pläne und warf der FDP Arbeitsverweigerung vor. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte: "Eine schnelle, gemeinsame und reibungslose Verabschiedung des Rentenpakets ist das Gebot der Stunde."

Ohne Reform und stabiles Rentenniveau würden die Rentnerinnen und Rentner im Vergleich zur arbeitenden Bevölkerung "ärmer werden", sagte Heil der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Ein Schlagabtausch über den Gesetzentwurf von Heil sowie von Finanzminister Christian Lindner (FDP) wird bei der ersten Beratung im Bundestag an diesem Freitag erwartet. Die Opposition lehnt die Pläne in jetziger Form komplett ab. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, preschte zudem per Interview vor - die Reform sei aus seiner Sicht zu teuer. "So ist das Rentenpaket im Parlament noch nicht zustimmungsfähig", sagte Vogel der "Bild". Ursprünglich hatte Heil die Reform bereits für 2022 angekündigt.

Rentnern droht sinkende Kaufkraft

Nun wirbt Heil angesichts des Problemdrucks für seine Reform. Denn die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge gehen nun in den Ruhestand und setzen die Rentenkasse unter Druck. "Wir müssen das entscheiden", sagte der Minister. "Das ist wichtig nicht für die Koalition, sondern für die Menschen in Deutschland, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner von heute und die von morgen." Durchsetzen wolle er die Reform, so Heil, "damit auch zukünftig die Rentenerhöhungen den Lohnerhöhungen folgen".

Zuletzt sind die Renten in Deutschland zum 1. Juli um 4,57 Prozent gestiegen - erstmals seit Jahren spürbar über der Inflationsrate. Eine zuvor zum Beispiel 1500 Euro zählende Monatsrente wuchs um 68,55 Euro. Auch in den zwei Jahren zuvor gab es durchgängig teils deutlich über vier Prozent liegende Rentenzuwächse - davor hatten die Bezüge wegen der Corona-Krise stagniert. Auch für die nächsten Jahre werden Rentenerhöhungen vorhergesagt - laut jüngstem Rentenversicherungsbericht steigen die Bezüge bis 2037 um 43 Prozent. Heil erläuterte, ohne Stabilisierung des Rentenniveaus würde die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentner aber ab 2027 sinken.

FDP gegen steigende Beiträge

"Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir die Weichen stellen, weit über diese Legislaturperiode hinaus", sagte Heil. "Es geht ja tatsächlich um eine Richtungsentscheidung." Heil verspricht sich von der Reform "einen Beitrag zur Leistungsgerechtigkeit und gesellschaftlichen Stabilität", wie er sagte. "Es geht nicht nur die 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner von heute." Es gehe auch um die 35 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land. Sie hätten nach einem Leben voller Arbeit eine anständige Rente verdient. Heil: "Damit kann man nicht spielen."

Obwohl Heil die Pläne gemeinsam mit Lindner präsentiert hatte, schießt die FDP-Fraktion jetzt quer. Vogel argumentiert, das Rentenpaket lasse "die Beiträge für die arbeitende Mitte immer weiter steigen". SPD-Chef Lars Klingbeil warnte die FDP vor einer Blockade. "Das, was wir verabredet haben, das muss kommen", sagte Klingbeil der dpa. "Ich kann nicht ganz verstehen, dass die FDP-Fraktion sich jetzt gegen ihren eigenen Parteivorsitzenden auflehnt." Das in Geldfragen oft uneinige Ampelbündnis dürften angesichts der Größe der anfallenden Lasten für viele Leute hier auch viel Streitpotenzial für den nahen Bundestagswahlkampf vorfinden.

Reicht das Geld?

Heute liegt der Beitragssatz bei 18,6 Prozent des Einkommens. Ohne Reform soll er bis 2030 auf 20,2 und bis 2040 auf 21,3 Prozent steigen. Doch das Rentenniveau soll bei 48 Prozent gesichert werden, die Renten also weiter im Verhältnis zu den Löhnen im Land steigen. Eine Sicherung des Rentenniveaus allein ließe den Beitragssatz laut Gesetz bis 2040 sogar auf 22,6 Prozent steigen. Doch Heil verspricht: "Wir sorgen vor, dass die Beiträge in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre nicht zu stark steigen."

Hier kommt der von der FDP durchgesetzte Teil des Gesetzes zum Tragen: das Generationenkapital. Lindner spricht von einer "Zäsur in der deutschen Rentenpolitik, dass wir im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nun auch in Wertpapieren anlegen werden". Die Regierung will dafür zwar Schulden aufnehmen, die aber nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Zunächst sollen 12 Milliarden Euro, in den kommenden Jahren jeweils etwas mehr in den Kapitalstock fließen, auch aus Vermögenswerten des Bunds. Auf mindestens 200 Milliarden Euro soll die Anlage bis Mitte der 2030er Jahre wachsen. Ab 2036 sollen im Schnitt zehn Milliarden Euro jährlich an die Rentenkasse ausgeschüttet werden. Mit den Zinsen aus dem Kapitalstock soll der Beitragssatz bis 2040 auf 22,3 Prozent gedrückt werden. Ein Beitragssatzpunkt bringt der Rentenkasse heute rund 18 Milliarden Euro im Jahr.

Doch reicht das Geld für die steigenden Lasten für die Rentenkasse? Die Renten-Ausgaben dürften bis 2045 von 372 auf 755 Milliarden Euro (ohne Reform) beziehungsweise 802 Milliarden Euro (mit Reform) klettern. Gleichzeitig steht Deutschland derzeit am Rand einer konjunkturellen Abwärtsspirale und vor großen Umwälzungen etwa durch die Digitalisierung. "Gerade, weil wir in stürmischen Zeiten leben, in Zeiten großer Veränderungen, ist es wichtig, der Gesellschaft Sicherheit zu geben", sagte Heil. "Und das betrifft auch die gesetzliche Rente: Dass sich Arbeit lohnt, dass sich Lebensleistung lohnt, dass man im Alter, wenn man hart gearbeitet hat, anständige Rentenanwartschaften hat."

Wie es mit der Rente weitergeht

Heil bringt das Beispiel einer Frau aus Sachsen, heute 49 Jahre alt. Wenn sie in den 40er Jahren in Rente geht, würde der unterschiedliche Effekt der Niveau-Stabilisierung oder eines Fallenlassen der Pläne einen Unterschied von 1100 Euro im Monat mehr oder weniger auf dem Konto der Sächsin ausmachen, rechnete er vor.

Und wie geht später es weiter mit der Rente? "Im Kern ist die entscheidende Frage zukünftig für die Stabilität der Renten, wie viele Menschen in Arbeit und Beschäftigung sind", sagte Heil. Ausgebaut werden müssten flexible Übergänge in den Ruhestand mit mehr Menschen, die faktisch länger arbeiten, die Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Förderung von Aus- und Weiterbildung sowie die Zuwanderung von Fachkräften. Nur das auf 67 Jahre steigende reguläre Rentenalter - soll laut Heil keinesfalls angetastet werden.

Arbeitsminister Hubertus Heil verteidigt Rentenreform

Arbeitsminister Hubertus Heil verteidigt Rentenreform © Kay Nietfeld/dpa

Hubertus Heil argumentiert für seine Reform.

Hubertus Heil argumentiert für seine Reform. © Sebastian Gollnow/dpa

Johannes Vogel möchte Korrekturen an der Reform.

Johannes Vogel möchte Korrekturen an der Reform. © Anna Ross/dpa

Markus Kurth von den Grünen verteidigt Rentenpläne.

Markus Kurth von den Grünen verteidigt Rentenpläne. © Philip Dulian/dpa

Mathias Middelberg ruft FDP zum Ampel-Bruch auf.

Mathias Middelberg ruft FDP zum Ampel-Bruch auf. © Anna Ross/dpa

Mehr Geld soll es mit statt ohne Rentenreform geben.

Mehr Geld soll es mit statt ohne Rentenreform geben. © Fernando Gutierrez-Juarez/dpa

Rentnerinnen und Rentner sollen von den Ampelplänen profitieren.

Rentnerinnen und Rentner sollen von den Ampelplänen profitieren. © Philipp Schulze/dpa

Die Rentenversicherung soll zentrale Alterssicherung bleiben.

Die Rentenversicherung soll zentrale Alterssicherung bleiben. © Alicia Windzio/dpa

Heil und Lindner bei der gemeinsamen Präsentation ihres Rentenkompromisses.

Heil und Lindner bei der gemeinsamen Präsentation ihres Rentenkompromisses. © Michael Kappeler/dpa