Angela Merkel bei Anne Will: "Wir müssen mehr tun"
28.3.2021, 23:08 UhrEs ist der fünfte Solo-Auftritt von Angela Merkel in Anne Wills Sonntagabend-Talk: 2009 war sie zum ersten Mal Gast. 2015, während der Flüchtlingskrise, die auch 2016 Thema war. Zuletzt besuchte die Kanzlerin 2018 die Sendung - da ging es unter anderem um die Pannen im Nürnberger Asyl-Bundesamt.
Wenn Merkel diesen Schritt wählt, dann muss einiges passiert sein - dass sie ihre Politik ausführlich und öffentlich erklärt, kommt nicht oft vor. In der zu Ende gehenden Woche ist in der Tat einiges passiert - erst die Nachtsitzung von Ministerpräsidenten und Kanzlerin mit der Verkündung der geplanten Osterruhe, darauf eine Empörungswelle sondersgleichen, und am Mittwoch schließlich die jetzt schon historische Entschuldigung der Kanzlerin, die zugleich die heftig umstrittenen Beschlüsse der nächtlichen Runde zurücknahm... Eine Chaos-Woche war das, und sie ging nun mit Merkels Auftritt zu Ende.
"Verunsicherung, die ich den Menschen nicht zumuten wollte"
Da herrscht Erklärungsbedarf. "Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler", hatte Angela Merkel in ihrer Bitte um Verzeihung gesagt. Nun spricht sie von "Unzulänglichkeiten" der Beschlusslage. "Mit einem Angebot der Ruhe" habe man das Land "in eine große Unruhe" versetzt, sagt sie zur Ministerpräsidentenkonferenz vom Montag. "Aufwand und Nutzen" der Osterruhe hätten "in keinem Verhältnis" gestanden, räumt Merkel ein - eine "Verunsicherung, die ich den Menschen nicht zumuten wollte", sagt sie.
Merkel zitierte sich selbst: "Ich habe vor einem Jahr gesagt: ,Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst.' Das würde ich jetzt wiederholen." Und weiter: "Wir müssen die dritte Welle brechen." Die Instrumente seien vorhanden - aber die "Umsetzung ist nicht so, dass ich überzeugt bin".
Kritik an der Rollenverteilung
Der letzte Gipfel der Ministerpräsidenten mit ihr sei eine "Zäsur" gewesen, so Merkel. Die Rollenverteilung passe nicht - hier das strenge Kanzleramt, dort Länder, die dann lockern: Das sei so nicht durchzuhalten.
Merkel kritisiert massiv, dass die vereinbare "Notbremse" nicht konsequent umgesetzt werde. "Wir müssen mehr tun", fordert sie. Und setzt auf jene Mittel, die auch Virologen oder RKI-Chef Lothar Wieler empfehlen, weil sie dramatisch steigende Infektionszahlen prognostizieren: Ausgangsbeschränkungen und weitere Kontaktbeschränkungen seien "ganz wichtige Mittel, um exponentielles Wachstum zu stoppen." Auch die Arbeitgeber müssten mehr leisten - die Umsetzung, möglichst viel Homeoffice zu ermöglichen, sei "lasch geworden", rügt Merkel.
"Nicht viele Tage, wo wir zuschauen können"
Anne Will versucht immer wieder, die Kanzlerin auf härtere Schritte festzunageln. Sie erwähnt das Beispiel Portugal, wo es mit einem äußerst harten Lockdown mit streng kontrollierter Ausgangssperre gelungen sei, dramatisch hohe Inzidenzwerte drastisch zu reduzieren. "Eigentlich möchte ich gerne, dass wir solche dramatischen Szenen verhindern", sagt Merkel.
Aber sie sagt auch: Wir "müssen mit großer Ernsthaftigkeit geeignete Maßnahmen einleiten" - sonst müsse sie "einheitliche Maßnahmen einleiten", zu denen das Infektionsschutzgesetz die Politik zwinge. "Im Augenblick ist die Eindämmung nicht da, zu der wir qua Gesetz verpflichtet sind." Und: Es "sind nicht viele Tage, wo wir zuschauen können", deutete Merkel an, dass sie notfalls härtere Schritte auf den Weg bringen will. Sollten die Länder die nötigen Maßnahmen nicht ergreifen, könne notfalls auch der Bund tätig werden. Eine Möglichkeit sei es, "das Infektionsschutzgesetz noch mal anzupacken und ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen".
"Sehr gewagte Ankündigung" des Saarlands
Ihr Rezept: mehr verpflichtendes Testen, mehr verpflichtendes Homeoffice, strengere Kontaktbeschränkungen - "das erscheint mir der richtige Weg". Sehr kritisch sieht sie angekündigte Lockerungen: "Wo jetzt der Eindruck erzeugt wird, wir könnten etwas öffnen - das ist im Augenblick nicht das Gebot der Stunde", sagte sie mit Blick auf das Saarland. Es sei "nicht der Zeitpunkt, so etwas zur Aufführung zu bringen", so Merkel und spricht von einer "sehr gewagten Ankündigung".
Auch NRW-Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet hält sich nicht an die zwischen Bund und Ländern eigentlich vereinbarte Notbremse, die härtere Maßnahmen bei höheren Inzidenzwerten vorsieht. "Er ist nicht der einzige", konstatiert Merkel.
"Verstoß gegen die Beschlüsse"
Immer wieder stellt sie die aktuelle Praxis der föderalen Beschlüsse zumindest in Frage. Es sei zwar "in einer Demokratie auch wichtig, Kompromisse zu machen" wie etwa die Notbremse. Wenn diese aber nicht umgesetzt werde, sei das "ein Verstoß gegen die Beschlüsse".
Ironisch geht sie auf ihre Rolle als Mahnerin ein: "Ich wäre ja manchmal wirklich glücklich, meine trüben Prognosen würden sich nicht erfüllen." Man habe zwar "schon 'ne ganze Menge miteinander gewuppt", sagt sie mit Blick auf die MPK. "Aber jetzt ist schon 'ne kritische Zeit."
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