Migrationsdebatte nicht der AfD überlassen

Asyl: Warum ein schlechter Kompromiss trotzdem die beste Lösung sein kann

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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4.10.2023, 11:00 Uhr
Migranten sitzen in einem Holzboot südlich der italienischen Insel Lampedusa auf dem Mittelmeer. Oft kommen Menschen in überfüllten Booten nach Europa.

© Francisco Seco, dpa Migranten sitzen in einem Holzboot südlich der italienischen Insel Lampedusa auf dem Mittelmeer. Oft kommen Menschen in überfüllten Booten nach Europa.

Endlich reden alle über Migration, nicht mehr nur die Stimmungsmacher vom rechtspopulistischen Rand des politischen Spektrums. Viele zu lange haben Union, SPD, Grüne und FDP das Zuwanderungsthema kampflos der AfD überlassen. Die Folgen sind bekannt: Die Rechtsaußenpartei, die mit den Ängsten der Menschen ebenso filigran spielt wie sie die berechtigten Sorgen vieler anspricht, legte zuletzt immer mehr zu. In Wahlumfragen übersetzt bedeutet dies Zustimmungswerte von rund 20 Prozent, im Osten sogar deutlich mehr.

Die Debatte ist endlich dort, wo sie hingehört: in der Mitte

Nun also ist die Debatte dort angekommen, wo sie hingehört: in der politischen Mitte. Dadurch ist noch lange nicht alles gut. Wenn etwa der Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) Wartezeiten beim Zahnarzt den Flüchtlingen im Lande anlasten will, tut er nur eines: schamlos lügen. Merz dürfte mit diesen unsäglichen Aussagen auch die minimalen Chancen, die ihm in der K-Frage noch zugestanden wurden, verspielt haben.

CDU-Chef Friedrich Merz: "Das Grundrecht auf Asyl hat Grenzen in der Anerkennung der tatsächlichen Asylgründe."

CDU-Chef Friedrich Merz: "Das Grundrecht auf Asyl hat Grenzen in der Anerkennung der tatsächlichen Asylgründe." © Federico Gambarini/dpa

Doch es gibt auch gute Seiten der parteiübergreifenden Migrationsdiskussion: Von den vernünftigen Politikern, die es übrigens auch im Unionslager gibt, werden endlich auch unbequeme Wahrheiten angesprochen, die zu lange unter dem Radar geblieben sind. Die prekäre Lage der Landkreis und Städte zählt dazu.

Was mussten Oberbürgermeister und Landräte klagen, ehe sie endlich auf Gehör gestoßen sind. Denn die Aufnahmemöglichkeiten sind in den meisten Kommunen schlicht ausgereizt. Und eine zweite Wahrheit, die das Zeug hat, den Rechtsradikalen den Zahn zu ziehen, erreicht nun auch die Öffentlichkeit: Zuwanderungspolitik wird vor allem auf der europäischen Ebene gemacht.

Die geplante EU-Asylrechtsreform ist - wird sie denn auch konsequent umgesetzt - wesentlich wirksamer als Maßnahmen mit eher symbolischem Charakter, etwa die Polizeikontrollen an den Binnengrenzen der EU. Was nicht zwangsweise bedeuten muss, auf solche ergänzenden Elemente zu verzichten. Fest steht: Zu viele Bürger haben sich mit ihren Sorgen und Nöten nicht ernst genommen gefühlt.

Dies endlich erkannt zu haben, ist die neue Qualität der vergangenen Wochen. Und ja: Was sich derzeit anbahnt, kommt auch einer Niederlage gleich. Denn die gewohnten deutschen Asyl-Standards werden aller Vorrausicht nach leider abgesenkt werden. Die geplanten Lager an den Außengrenzen der EU sind gewiss kein Grund zur Freude, gleiches gilt für Schutzsuchende, die künftig länger eingesperrt werden sollen.

All das ist traurig und teilweise auch inhuman. Doch es gibt keine Alternative. Vielmehr droht ansonsten ein dauerhaftes Erstarken der Rechten in Europa und somit permanentes Zündeln in der Migrationsdebatte. Das kann niemand ernsthaft wollen. Deshalb kann ein schlechter Kompromiss durchaus die beste Lösung sein.

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