Attila Hildmann: Der Koch und die Weltverschwörung

27.5.2020, 05:53 Uhr
Attila Hildmann: Der Koch und die Weltverschwörung

© Foto: Stefan Zeitz/imago images

Dass Attlia Hildmann als Verschwörungstheoretiker ins Gerede gekommen ist, scheint seinen Geschäften nicht zu schaden. Sein kleiner Lebensmittelladen mit angeschlossenem Imbiss in der Berliner Schillerstraße war gestern Nachmittag gut besucht. Mehrere Kundinnen saßen im vorgeschriebenen Abstand zueinander beim Essen. Andere kauften unterdessen – mit Mundschutz – vegane Saucen, Schokolade und Kekse zum Mitnehmen ein. Der Chef selbst war nicht zu sehen.

Der 39-Jährige ist seit einigen Monaten, genauer: seit Ausbruch der Corona-Pandemie, mit Dingen beschäftigt, die für einen erfolgreichen Unternehmer eher ungewöhnlich sind. Er klärt die deutsche Öffentlichkeit darüber auf, was es in Wahrheit mit der Viruserkrankung und dem Lockdown auf sich hat. Man kennt es inzwischen: Der amerikanische Milliardär Bill Gates taucht in den Geschichten auf, als Drahtzieher verborgener Kräfte. Aber auch von Aliens, Tempelrittern, der Pharmamafia und Geheimdiensten ist die Rede.

Hildmann legt sich mit denen, die er auf der falschen, auf der dunklen Seite der Macht wähnt, ohne großes Zaudern an. Dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn etwa schrieb er auf Instagram "Keiner will deine Drecksapp, deine von Gates bezahlte Zwangsimpfung und deinen geplanten Überwachungsstaat". Den Koch als "Kritiker" der deutschen Pandemie-Politik zu bezeichnen, wäre wohl der falsche Ausdruck. Derartige Menschen gibt es ja auch zuhauf – also solche, die am Sinn des Lockdowns oder der Maskenpflicht zweifeln und mit denen man durchaus diskutieren kann.

Bei Hildmann geht’s nur in ganz großem Stil. Es ist nicht nur eine Weltverschwörung im Gange, er geht auch von einem vorsorglichen Beruhigen der Berliner Bürger(innen) über Medikamente im Trinkwasser aus. Er selbst zeigte sich mit einer Waffe in den sozialen Netzwerken und kündigte an, nun "im Untergrund" leben zu wollen, denn man wolle ihn ermorden. Wenn ihm die Feinde zu nahe kämen, schrieb er, dann "nehme ich ein paar mit". Denn lieber sterbe er, als "ein Leben lang Sklave zu sein".

Man könnte über den Mann lachen, ihn bedauern, ihn einfach reden lassen oder gegebenenfalls die Polizei rufen. Aber es lohnt sich, trotz seiner wirren Ideen und Gewaltphantasien näher hinzuschauen. Denn Hildmann ist nur einer von vielen Promis (wie etwa Sänger Xavier Naidoo oder Moderator Ken Jebsen), die mit diesem Staat nichts mehr zu tun haben wollen und dabei auf große Zuhörerschaft stoßen. Was bringt diese Menschen so weit?

Bestsellerautor und TV-Dauergast

Bei Attila Hildmann war lange Zeit gar kein Problem zu erkennen. Ganz im Gegenteil, sein Leben verlief über viele Jahre geradezu perfekt. Als türkisches Kind kam er in die Bundesrepublik, er wurde von deutschen Eltern adoptiert und fand schon früh seine Berufung in gesunder (zunächst vegetarischer, dann veganer) Küche und im Sport. Er kreierte eigene Kochrezepte, schrieb einen Bestseller ("Vegan for Fun"), trainierte sich über 30 Kilo Körpergewicht ab, eröffnete Läden in Berlin und war Dauergast im Fernsehen (bei Maischberger, bei Let’s Dance, bei TV Total). Er war das Gesicht eines neuen Lebensstils.

Doch wer genauer hinschaute, der konnte schon vor Jahren den anderen, den unglaublich wütenden Hildmann erkennen. Einer Berliner Journalistin, die sein Essen kritisierte, wollte er "am liebsten Pommes in die Visage stopfen". Gegenüber zwei Polizisten, die ihn wegen eines Parkverstoßes zur Rede stellten, rastete er aus. "Idiot, hast du nichts Besseres zu tun?" und "Spinnst du?" soll er zu den Beamten gesagt haben.

Es ist also eine hohe, kaum erklärbare Reizbarkeit festzustellen bei dem 39-Jährigen. Und die traf dann auf Skandal- und Verschwörungsgeschichten, wie sie zum Beispiel in dem von Russland finanzierten Sender RT seit etlichen Jahren fleißig verbreitet werden. Offensichtlich gab es niemanden im Bekanntenkreis, der Hildmann etwas bremsen konnte. Im Gegenteil, neue Freunde wie Xavier Naidoo bestärkten ihn noch. Und irgendwann sieht man in wirklich jedem Ereignis einen Beweis für seine Theorien. Eine Festnahme am Rande einer Demo hat dann nichts mehr damit zu tun, dass dieses konkrete Auftreten nicht erlaubt war, sondern, dass der Staat ihm Böses will.

 

"Wir sind schon mitten im Faschismus und in der Diktatur", ließ er seine Anhänger jüngst wissen – und hielt bei einer der "Hygienedemos" eine Rede genau zu diesem Thema. Dass alleine dies schon der Gegenbeweis für seine These ist, weil in einer Diktatur die Systemgegner keine Reden halten und diese dann im Internet verbreiten dürfen, ist Attila Hildmann offensichtlich nicht klar.

Noch scheint es nicht so zu sein, dass er sich mit solchen Auftritten seine Geschäfte ruiniert hat, auch wenn einige Großkunden schon seine Produkte aus den Regalen nahmen. Sollte es jedoch eines Tages so weit sein, wird er wissen, wer die Schuld daran hat. Nicht etwa er selbst. Nein, er wird die "kleinen Eliten" dafür verantwortlich machen, die nur Böses im Schilde führen.

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