Ausnahmezustand in Türkei: Erdogan verbittet sich Kritik
21.7.2016, 18:46 UhrNach der Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei hat sich Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Kritik aus Europa nachdrücklich verbeten. Auch europäische Länder hätten bereits bei weniger gravierenden Anlässen den Ausnahmezustand verhängt, sagte Erdogan mit Blick auf Frankreich. Wer zu diesen Ländern schweige, habe "definitiv nicht das Recht, die Türkei zu kritisieren". Unter dem landesweiten Ausnahmezustand, der in der Nacht zum Donnerstag für eine Dauer von 90 Tagen in Kraft trat, kann Erdogan weitgehend per Dekret regieren.
Die türkische Führung reagiert damit auf den gescheiterten Putschversuch vom Wochenende, für den Erdogan das Netzwerk des islamischen Predigers Fethullah Gülen verantwortlich macht. Bereits vor Verhängung des Ausnahmezustands wurden Tausende mutmaßliche oder vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Militär, Polizei, Justiz, Schulen und Hochschulen festgenommen oder suspendiert.
In Istanbul lief das Leben am Donnerstag trotz des Ausnahmezustands normal weiter. Geschäfte, Cafés und Restaurants waren geöffnet wie immer. Auf den Straßen und Plätzen der Stadt waren auch keine zusätzlichen Sicherheitskräfte im Einsatz.
Noch am Nachmittag sollte das Parlament in Ankara zusammenkommen. Die Nationalversammlung kann die Dauer des Ausnahmezustandes verändern oder ihn aufheben, was aber angesichts der Mehrheit von Erdogans AKP als ausgeschlossen gilt.
Augenmaß und Verhältnismäßigkeit
Die Erlasse des türkischen Präsidenten haben künftig Gesetzeskraft. Zwar müssen sie noch am selben Tag dem Parlament zur Zustimmung vorgelegt werden. Angesichts der AKP-Mehrheit ist aber zu erwarten, dass die Abgeordneten Verfügungen des Präsidenten billigen werden.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte die Türkei auf, den Ausnahmezustand möglichst kurz zu halten. Er müsse "auf die unbedingt notwendige Dauer beschränkt und dann unverzüglich beendet" werden, sagte Steinmeier am Mittwochabend (Ortszeit) bei einem Besuch in Washington. Zugleich mahnte er: "Bei allen Maßnahmen, die der Aufklärung des Putschversuchs dienen, müssen Rechtsstaatlichkeit, Augenmaß und Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben."
Beschwichtigend gab sich der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. "Der Ausnahmezustand steht der Demokratie, dem Gesetz und der Freiheit keineswegs entgegen. Ganz im Gegenteil, es dient der Wahrung und Stärkung dieser Werte", verkündete er im Kurznachrichtendienst Twitter. Unter dem Ausnahmezustand können die Behörden beispielsweise Ausgangssperren verhängen, Versammlungen untersagen und Medienberichterstattung zensieren oder verbieten.
"Premiumpartner aufgeben"
Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte, der Ausnahmezustand werde den Alltag der gewöhnlichen Menschen keinesfalls negativ beeinflussen. "Unsere Bürger sollen sich sicher sein, dass wir fest entschlossen sind, die Beseitigung dieser Verräter fortzusetzen und alles dafür zu tun, unsere Gesetzesordnung, Demokratie, wirtschaftliche Stabilität und öffentliche Ordnung zu schützen."
Die Linken-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sahra Wagenknecht, forderte die Bundesregierung auf, sie müsse "jetzt endlich ihren Premiumpartner Erdogan aufgeben". Mit der Verhängung des Ausnahmezustands habe Erdogan "jegliche demokratische Maske fallen lassen".
In den USA erklärte der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump, er werde im Falle eines Wahlsieges keinen Druck auf die Türkei oder andere autoritäre Verbündete ausüben, falls diese politische Gegner ausschalten oder Bürgerrechte einschränken sollten. Sehr lobend äußerte er sich über Erdogan. "Ich zolle ihm große Anerkennung, dass er in der Lage war, das herumzudrehen."
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