Außenansicht: Freiheit auf dem Abstellgleis
4.12.2020, 19:56 UhrUngleiches darf ungleich, aber Gleiches muss gleich behandelt werden. Das ist ein Grundsatz freiheitlicher Demokratie. Diskriminierungen sind zu meiden oder zu sanktionieren. Zu ächten sind willkürliche körperliche oder seelische Gewalt, Ausgrenzung, bloße Instrumentalisierung von Menschen, Ungleichbehandlung trotz gleicher Sachlage, Erniedrigung, Beleidigung und anderes.
Als Feinde solcher Freiheit identifizieren wir schnell Rassisten, Antisemiten, Faschisten, Homophobe, Islamophobe oder Machos. Das ist richtig und gut so. Sie sind in die Schranken zu weisen. Gerade die Schwachen und die Anderen müssen mit Respekt behandelt und notfalls beschützt werden.
Zu Recht sehen wir eine breite Empörung nach willkürlicher Gewalt gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe ("Black Lives Matter"), gegen Juden, Homosexuelle, Journalisten oder nach erniedrigendem Umgang mit Frauen. Taten und Täter müssen konsequent benannt und zur Rechenschaft gezogen werden. Gut so! Hier funktioniert unser Wertekompass.
Woanders ist der gesellschaftliche Kompass aus dem Lot. Da bleibt die Gesellschaft merkwürdig lautlos. Einige Beispiele:
- Die Empörung über das Entleeren von Güllekübeln über Polizisten im Hambacher Forst hielt sich sehr in Grenzen. Gewalt gegenüber der Polizei ist bei Großdemonstrationen gleich welcher Couleur an der Tagesordnung. Dagegen gibt es keinen Aufschrei und keine Mahnwachen. Die Erschießung oder Enthauptung von christlichen Gottesdienstbesuchern und Priestern durch Islamisten löste bei uns keine Lichterketten aus. Mit welcher Begründung sind Leib und Leben dieser Menschen uns weniger wert? Die Herkunft der Täter bleibt für die Öffentlichkeit dabei oft nebulös verborgen. Gleiche Verbrechen verdienen aber gleiche Konsequenz und gleiches Mitgefühl. Warum eigentlich haben wir diese Gleichheit verlernt?
- Polizisten oder Soldaten pauschal unter den Verdacht des Rechtsradikalismus zu stellen, wird von politischen Amtsträgern in Deutschland fortlaufend wiederholt. Die öffentliche Gleichsetzung von Priestern mit Kinderschändern findet man lustig statt empörend. TV-Kabarettisten amüsieren sich darüber und erhalten Applaus. Warum sind Soldaten, Polizisten und Priester Freiwild solcher Pauschal-Beleidigungen?
- Die Verweigerung öffentlicher Forschungsgelder für Wissenschaftler und der drohende Akkreditierungsentzug für Hochschulen, die sich nicht den Sprachregeln der Gendertheorie beugen, lösen keine medialen Diskussionen um die Freiheit von Forschung und Lehre aus. Solche Repression wird schweigend hingenommen. Wieso wird hier keine Opposition geduldet?
- Schmähende Karikaturen zum Islam werden inzwischen weitgehend vermieden. Im Umgang mit den Kirchen gibt es keine Grenzen. Nackte Lutherfiguren aus Pappmaché, die zur Störung des letzten deutschen Kirchentages in Dortmund den Reformator als Wegbereiter Hitlers darstellten, wurden als Coup der Meinungsfreiheit gefeiert. Macht hier etwa die Angst vor islamistischer Gewalt oder eine verbitterte Abrechnung mit einer verhassten Kirche blind für eine Gleichheit im Respekt gegenüber Religionen?
- In der Pandemie demonstrieren Tausende Corona-Leugner im Namen der Freiheit gegen die Einschränkungen. Solche Opposition muss erlaubt sein. Wenn dabei aber durch die Missachtung von Sicherheitsregeln bewusst die weitere Verbreitung des Virus in Kauf genommen wird, ist das eine Perversion der Freiheit. Denn Opfer sind all diejenigen, die durch solche Ignoranz erst angesteckt werden. Diese Opfer brauchen endlich eine lautere Stimme, wenn es um Grundrechte geht.
Der Geist der Freiheit und Demokratie fordert, dass ohne Ansehen der Person gleiche Diskriminierung auch gleich sanktioniert werden muss, sei es juristisch oder moralisch. Solche Billigkeit ist kategorisches Gesetz eines wahren Humanismus! Wo entgegen solcher Würde und Werte mit zweierlei Maß gemessen wird, spaltet sich die Gesellschaft.
Eine selbst ernannte Avantgarde bestimmt dann, wer bei den Aufständen der Anständigen auf welcher Seite steht: Polizisten, Soldaten, Christen, Kritiker der Gendertheorie und manche Corona-Opfer etwa haben da heute offenbar schlechte Karten. Und die alten, weißen Männer, die auch noch heterosexuell sind, ohnehin: Sie sollen einer solchen Logik folgend in gesellschaftlichen Wertediskussionen den Mund halten. In den medialen Netzen werden sie als die verantwortlichen Haupttäter moderner Diskriminierung ausgemacht.
Hat man sich dann einmal in der Streitkultur solcher Teile der Gesellschaft entledigt, immunisiert sich eine neue Elite gegen jede Kritik. Ein Meinungsdiktat im Namen von Freiheit und Demokratie macht eben diese zunichte. Solche Dialektik wiederum ist gefährlicher Nährboden für antihumanistische Kampfideologien gleich welcher Art. Wir müssen endlich mehr Demokratie wagen, die ihren Namen wieder verdient!
Elmar Nass ist Professor für Wirtschafts- und Sozialethik an der Wilhelm Löhe Hochschule in Fürth
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