Corona in Kriegsländern: "Es wird ein Massensterben geben"

Georg Escher

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12.4.2020, 05:52 Uhr
Zwei Kinder in Damaskus sind aufgrund der Corona-Pandemie mit Mundschutzmasken draußen unterwegs.

© Ammar Safarjalani/dpa Zwei Kinder in Damaskus sind aufgrund der Corona-Pandemie mit Mundschutzmasken draußen unterwegs.

Die Situation in den Bürgerkriegsländern Syrien, Jemen oder Libyen war schon katastrophal, bevor die Corona-Pandemie über die Welt hereinbrach. Nun aber könnte das Grauen eine noch schlimmere Dimension annehmen. Auch der Erlanger Politik-Wissenschaftler Thomas Demmelhuber verfolgt die Entwicklung aufmerksam. "Die Lage ist extrem besorgniserregend", sagt er klar.


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Dabei hat der 39-Jährige, der an der Friedrich-Alexander-Universität eine Professur für Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens innehat, nicht nur die Staaten im Auge, in denen aktuell Krieg geführt wird. Mit Ausnahme der reichen Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Katar oder Kuwait treffe die Pandemie in der gesamten Region auf "heruntergewirtschaftete Gesundheitssysteme, schwache Staaten und kriselnde Ökonomien". Eine extrem gefährliche Mischung.

Natürlich gilt das besonders für den Iran, der seit dem einseitigen Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen unter noch einmal verschärften Sanktionen leidet. Dort sind – Stand Freitag – mehr als 68 000 Coronafälle offiziell bestätigt, und es gibt mehr als 4200 Tote. Die Dunkelziffer bei beiden Zahlen liegt vermutlich ungleich höher.

Exiliraner berichten von katastrophalen Zuständen und blanker Panik. Es gebe praktisch keine Medikamente mehr. Teheran entließ zwar fast 100 000 Häftlinge, weil gerade in den Haftanstalten die Infektionsgefahr enorm hoch ist. Ein Großteil der politischen Gefangenen kam jedoch nicht frei.

Auch Ägypten macht Demmelhuber große Sorgen. In der Statistik ist das Land mit 1700 bestätigten Fällen und 118 Toten noch unauffällig. Aber diese Zahlen seien "sehr, sehr mit Vorsicht zu genießen". Schließlich gibt es in dem von Abdel Fattah al-Sisi mit harter Hand regierten Land überhaupt keine Testkapazitäten, um sich wirklich ein realistisches Bild zu machen. Die Regierung hat zwar gerade eben die Gehälter der extrem schlecht bezahlten Ärzte um 75 Prozent angehoben. Doch auch das hilft kaum. Und noch immer wird beschwichtigt. In drei Wochen werde der ganze Spuk vorbei sein, prognostizierte Gesundheitsministerin Hala Zayed Anfang April.

Ein prominenter Fall

Noch prekärer ist die Lage in Syrien. Noch bis in die zweite Märzhälfte hinein behauptete die Regierung, es gebe noch keinen einzigen Coronafall. Dann musste bestätigt werden, dass eine Studentin infiziert sei, die aus London eingereist war. Sie war schon beim ersten Zwischenstopp in den Vereinigten Arabischen Emiraten positiv getestet worden – und war angeblich die Tochter eines mächtigen Funktionärs.


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In der Region Idlib im Nordosten Syriens, der letzten Hochburg der Rebellen, wo die Kämpfe bis vor kurzem noch heftig tobten, und in den Flüchtlingslagern im Norden Syriens ist die Lage absolut verzweifelt. Das "International Rescue Committee" (IRC) in New York warnte, das durch neun Jahre Bürgerkrieg ruinierte Syrien könnte zur schlimmsten Corona-Region weltweit werden. In der Gegend um Idlib und den angrenzenden Provinzen leben rund vier Millionen Menschen, viele zusammengepfercht in Flüchtlingslagern. Für sie alle gibt es nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur 148 Intensivbetten und 153 Beatmungsgeräte. Von Atemmasken, Handschuhen oder Desinfektionsmitteln ganz zu schweigen. Die meisten Krankenhäuser sind im Krieg durch russische oder syrische Luftangriffe zerstört oder beschädigt worden.

"Die Infrastruktur ist fast komplett zerstört", sagt auch Demmelhuber. "Das Land ist nicht in der Lage, eine solche pandemische Bedrohung zu bewältigen." Ärzte und Nichtregierungsorganisationen befürchten Zehntausende von Toten. Immerhin haben sich die Türkei, die im kurdischen Norden Syriens große Landstriche kontrolliert, und Russland auf ein Ende der Kämpfe verständigt. Wegen dieser leichten Entspannung sind viele Menschen jedoch wieder auf die Märkte geströmt. "Es gibt mehr Medikamente auf dem Schwarzmarkt als in den Apotheken", wird eine Mutter im Spiegel zitiert.

Der Jemen wiederum ist nach fünf Jahren eines von Saudi-Arabien und dessen Verbündeten erbarmungslos geführten Krieges ohnehin längst am Boden. Dort wütet die größte Cholera-Epidemie der Welt. Es gibt kaum sauberes Wasser, auch hier sind die Krankenhäuser zerstört. "Es wird ein Massensterben geben, wenn die Pandemie Teile von Syrien und den Jemen erreicht", warnte jüngst Jan Egeland, der Generalsekretär des Norwegischen Flüchtlingsrates.

Warum helfen die Golfstaaten nicht?

Selbst ein so reiches Land wie Saudi-Arabien hat alle Mühe, die Gefahr durch Corona zu bändigen. Anfang April wurde zwar eine Ausgangssperre für die beiden wichtigsten Pilgerstädte Mekka und Medina verhängt. Doch viele Pilger haben das Virus bereits ins Land gebracht, andere von ihrer Pilgerfahrt zurück in die Heimat. Zuletzt waren mehr als 3600 Coronafälle und 47 Tote bestätigt.

Die Hilfen, die die EU bisher beschlossen hat – 240 Millionen Euro –, sind für die Krisenregion kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Und die reichen Golfstaaten, könnten die nicht mehr helfen? "Der Golfkooperationsrat wäre dafür prädestiniert", findet auch Demmelhuber. Seit 2017, als ein scharfer Konflikt zwischen den Saudis und Katar ausbrach, das weiter gute Kontakte mit Iran pflegt, ist der Rat praktisch lahmgelegt.

Und so zieht die Krise Kreise. Aus Ägypten sind viele Gastarbeiter, die nun nicht mehr gebraucht werden, in die Heimat zurückgekehrt. Die Geldüberweisungen von dort, aber auch aus den reichen Golfstaaten, werden bitter fehlen. "Das wird in vielen Ländern zu einer Destabilisierung führen", ist sich Demmelhuber sicher. "Millionen werden unter die Armutsgrenze rutschen."


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