Katholische Kirche
Der andere Papst - Franziskus ist tot
21.04.2025, 10:19 Uhr
Der Tag, der im Leben von Jorge Mario Bergoglio alles veränderte und in der römisch-katholischen Kirche so manches auch, war der 13. März 2013. Morgens war er noch Erzbischof von Buenos Aires. Am Abend war er Papst.
An jenem verregneten Mittwoch um 20.22 Uhr trat der gebürtige Argentinier, der mit 76 Jahren schon im Ruhestand hätte sein können, auf den Balkon des Petersdoms. Der neue Pontifex namens Franziskus trug ein schlichtes weißes Gewand, nicht einmal eine Stola, und grüßte die Welt mit einem freundlichen „Fratelli e sorelle, buonasera“ („Brüder und Schwestern, guten Abend“). Anschließend fuhr er mit dem Bus zurück ins Gästehaus des Vatikans.
Große Unterschiede zum deutschen Vorgänger
Damit machte Franziskus gleich in den ersten Minuten seines Pontifikats vieles sehr anders als sehr viele seiner Vorgänger. Die Unterschiede zum zurückgetretenen Benedikt XVI., ehemals Kardinal Joseph Ratzinger, waren für alle offensichtlich.
Das neue Oberhaupt von mehr als 1,4 Milliarden Katholiken wollte nah an den Menschen sein, sprach einfache Sätze und legte auf Äußerlichkeiten keinen Wert - alles Eigenschaften, die mit seinem deutschen Vorgänger niemand verband. Auch in anderen Dingen lagen der Herz-Jesu-Sozialist aus Argentinien und der Theologieprofessor aus Bayern weit auseinander.

Andererseits wäre Franziskus wohl nie Papst geworden, wenn Benedikt damals nicht völlig überraschend aus freien Stücken auf sein Amt verzichtet hätte. Als das Leben des Bayern dann fast ein Jahrzehnt später zu Ende ging, an Silvester 2022, mit 95 Jahren, war sein Nachfolger bereits weit über der Altersgrenze von 80, bis zu der man Papst werden kann.
Nun ist Franziskus selbst mit 88 Jahren gestorben - am Ostermontag um 7.35 Uhr, in seiner Residenz im Vatikan, der Casa Santa Marta, und auch im Amt, obwohl bei ihm die letzte Zeit sehr oft über einen Rücktritt spekuliert worden war. Im Frühjahr lag er bereits 38 Tage mit einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung im Krankenhaus. Die Ärzte hatten ihn fast schon aufgegeben. Aber dann kehrte er doch noch einmal in den Vatikan zurück. Wenn auch für vier Wochen nur.
Am Ostersonntag spendete er, sehr geschwächt bereits, vor Zehntausenden Gläubigen den Segen Urbi et Orbi. Mehr als zwei, drei Sätze bekam er nicht mehr heraus. Dann wurde er im offenen Papamobil noch einmal über den Petersplatz gefahren. Das war das letzte Mal, dass man ihn zu Gesicht bekam. Er wurde nicht so alt wie Benedikt, aber so alt wie kein anderer amtierender Papst seit mehr als einem Jahrhundert.
Ein besonderer Papst
Auch sonst hatte der Pontifex, der am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires in eine italienische Einwandererfamilie hineingeboren wurde, eine ganze Reihe von Alleinstellungsmerkmalen. Er war der allererste Papst aus Lateinamerika und nach mehr als einem Jahrtausend der erste, der nicht aus Europa kam. Der erste Jesuit in diesem Amt. Und der erste, der sich den Namen Franziskus gab - als Reminiszenz an Franz von Assisi, den Gründer des Bettelordens der Franziskaner. Auch das war Programm: Franziskus wollte ein Papst der Armen sein, der Schwachen, der Vergessenen, der Vertriebenen.

Das passte zu seiner Herkunft. Bergoglio wuchs in sehr bescheidenen und sehr katholischen Verhältnissen auf. Er war das, was man in der Kirche einen „Spätberufenen“ nannte. Zunächst lernte er Chemietechniker, erst dann ging er aufs Priesterseminar, studierte Philosophie und Theologie. Zum Priester wurde er kurz vor seinem 33. Geburtstag geweiht. Seine erste Zeit im Kirchendienst waren die schlimmsten Jahre der argentinischen Militärdiktatur. Von damals stammen Vorwürfe, er habe sich zu sehr mit dem Regime eingelassen. Franziskus wies dies stets zurück.

Eine schwierige Zeit in Deutschland
Mitte der 1980er Jahre wohnte er einige Monate in Boppard am Rhein, bei einer Familie Schmidt. Am Goethe-Institut lernte er Deutsch. Zudem schrieb er an einer Doktorarbeit über den Theologen Romano Guardini, die er aber nie zu Ende brachte. Auch sonst war die deutsche Zeit für ihn keine gute.
Später sprach er davon, dass er sich „völlig fehl am Platz“ gefühlt habe und viel auf Friedhöfen spazieren gegangen sei. Als Argentinien 1986 gegen Deutschland Fußball-Weltmeister wurde, verzichtete er darauf, sich das Finale im Fernsehen anzuschauen. Lieber ging er an den Rhein. „Mir war es wichtiger, einen Augenblick der Ruhe zu genießen, über mein Leben nachzudenken und den Rosenkranz zu beten.“
Zurück zu Hause wurde er 1992 zum Bischof geweiht, 1998 zum Erzbischof von Buenos Aires. 2001 machte ihn Papst Johannes Paul II. zum Kardinal. Schon bald galt er als „papabile“, als Kandidat fürs allerhöchste Amt. 2005 unterlag er im Konklave noch deutlich gegen Ratzinger. Als er acht Jahre später doch gewählt wurde, witzelte er über seine Herkunft vom anderen „Ende der Welt“. Darin steckte aber auch Programm.
Ein Papst als Grenzgänger
Diesen Papst zog es an Grenzen, geografisch und gesellschaftlich. Die allererste Reise führte ihn auf die Mittelmeerinsel Lampedusa, Schicksalsort Zehntausender Flüchtlinge aus Afrika. Aus seiner eigenen Familiengeschichte war ihm bewusst, wie schwer es ist, die Heimat zu verlassen. Das Mittelmeer, wo bis heute so viele Menschen auf dem Weg in eine vermeintlich bessere Zukunft ertrinken, nannte er den „größten Friedhof Europas“.

Auf mehr als 40 Auslandsreisen ging er immer wieder zu denen, die am Rande leben. Von der griechischen Insel Lesbos nahm er zwölf Flüchtlinge aus Syrien mit nach Rom. In Mosambik spendete er Aids-Kranken Trost. Er flog nach Myanmar, wo Hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya aus dem Land getrieben wurden.
In Abu Dhabi unterzeichnete er eine Erklärung über die „Brüderlichkeit aller Menschen“ über alle Religionen hinweg. Der Kernsatz: „Der Pluralismus und die Verschiedenheit in Bezug auf Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie und Sprache entsprechen einem weisen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat.“ Seine letzte große Reise, die längste auch, führte ihn im Herbst 2024 bis nach Papua-Neuguinea, einem der ärmsten Länder der Welt.
Dass Franziskus in seiner Zeit als Papst nie nach Deutschland kam, lässt sich vielleicht mit seinem Scheitern in den 1980ern erklären. Dass er in mehr als zehn Jahren nie in seine Heimat fuhr, blieb jedoch für viele ein Rätsel. Vor allem in den letzten Monaten, als es ihm zusehends schlechter ging, wurde über eine baldige Reise nach Argentinien spekuliert. Der jetzige Präsident Javier Milei sprach zwar eine Einladung aus, obwohl er ihn früher als üblen Kommunisten beschimpft hatte. Daraus wurde aber nichts mehr.
Politiker auf dem Stuhl Petri
Franziskus war ein sehr politischer Papst, weit über die amtsüblichen Mahnungen zum Frieden hinaus. Ein anderer seiner Leitsätze: „Es wird nie einen wahren Frieden geben, wenn wir nicht in der Lage sind, ein gerechteres Wirtschaftssystem aufzubauen.“ Die Ausbeutung des Planeten prangerte er mit der ersten Umwelt-Enzyklika der Kirchengeschichte an, „Laudato Si“. Darin hieß es schon 2015: „Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil nur in Katastrophen enden kann.“

Die Ermordung von Armeniern im Osmanischen Reich nannte er Völkermord, was ihm Ärger mit der Türkei einbrachte. Auch den Vereinten Nationen redete er ins Gewissen. Immer wieder versuchte Franziskus, in Kriegen und Bürgerkriegen zu vermitteln: manchmal mit Erfolg wie in Kolumbien, aber meist bekam er die Grenzen der vatikanischen Diplomatie aufgezeigt. Als er den Ukrainern im Frühjahr 2024 nahelegte, vor Russlands Truppen die weiße Fahne zu hissen, schüttelten viele den Kopf.
Krisen und Konflikte auch in der Kirche
Franziskus hatte aber auch genug mit Krisen und Konflikten in der Kirche zu tun. Bei seiner Wahl waren die Missbrauchsskandale in vielen Bistümern, über Jahrzehnte hinweg vertuscht, schon großes Thema. Aus der Rede vor dem Konklave, das ihn zum Papst machte, ist der Satz überliefert: „Wenn die Kirche nicht aus sich herausgeht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank.“ Später klagte er sogar in aller Öffentlichkeit in einer Weihnachtsansprache: „In Rom Reformen zu machen, ist wie die ägyptische Sphinx mit einer Zahnbürste zu putzen.“

In der Kurie, dem römischen Machtapparat, machte er sich damit nicht beliebt. Egal: Er baute die Strukturen um, holte Frauen in die Leitungsebene und verordnete dem Vatikan mehr Transparenz bei Finanzgeschäften. In innerkirchliche Angelegenheiten ließ er sich ungern in die Geschäfte reden - ganz im Stile eines absolutistischen Monarchen, wie es Päpste nun einmal sind. Viele in der Kurie verloren an Macht. So etwas schafft Gegner.
Der inzwischen gestorbene australische Kurienkardinal George Pell nannte Franziskus‘ Pontifikat sogar eine „Katastrophe“. Die Kritik reichte bis hin zum Vorwurf, das Zurschaustellen von Bescheidenheit sei eine besonders ausgeprägte Form der Eitelkeit. Auch konservative Kardinäle aus Deutschland wie Gerhard Ludwig Müller machten aus ihrem Unmut keinen Hehl.
Hoffnungen von Reformern enttäuscht
Franziskus handelte sich aber auch von der anderen Seite Kritik ein. Vielen, die große Hoffnungen in ihn gesetzt hatten, ging er nicht weit genug. Tatsächlich sagte er Sätze, die man einem Papst nie zugetraut hätte („Wenn jemand schwul ist, den Herrn sucht und guten Willen zeigt: Wer bin ich, das zu verurteilen?“).
In der Praxis jedoch änderte sich wenig. Er machte den Weg frei zur Segnung homosexueller Paare, aber Lockerung des Zölibats oder Priesterweihe für Frauen - mit ihm nicht zu machen. Vor allem in Deutschland war die Enttäuschung groß, auch bei einigen Bischöfen, zumal er auch noch den Reformprozess Synodaler Weg abkanzelte.

Bei Themen wie Abtreibung und Verhütung erwies sich Franziskus sogar als äußerst konservativer Vertreter der katholischen Sexualmoral: „Abtreibung ist mehr als ein Problem. Es ist Mord.“ Verhütung nannte er allenfalls in Ausnahmefällen zulässig. Beim Dauerthema sexueller Missbrauch durch Würdenträger verschärfte er die Regeln. An der Umsetzung hakt es jedoch bis heute immer wieder.
Zwei Männer in Weiß
Viele führen die Tatsache, dass es keinen großen Umbruch gab, darauf zurück, dass Franziskus die meiste Zeit seines Pontifikats einen emeritierten Papst zur Seite hatte. Zwei Männer in Weiß - das gab es im Vatikan noch nie. Und sicherlich bremste ihn Benedikt aus. Andere sehen seine Reformbilanz positiver. Sie argumentieren, dass der Papst Nummer 266 Veränderungen angestoßen habe, die erst nach und nach ihre volle Wirkung entfalten.

Tatsächlich verschob Franziskus die Koordinaten, indem er der Kirche eine synodale Verfassung gab. Dadurch verlagerte er Macht in gewissem Umfang weg aus Rom, hin zu den Kirchen vor Ort. Nach drei Jahren Beratungen brachte er auch die von ihm auf den Weg gebrachten Weltsynode zu Ende, wenn auch ohne grundlegende Reformen.
Was sicher ist, bei allen Debatten über seine Bilanz: Mit seinen Personalentscheidungen nahm Franziskus im Laufe der Jahre großen Einfluss auf das Gremium der Kardinäle, die nun den nächsten Papst wählen werden. Bei Neuernennungen ignorierte er vielfach Bischöfe aus früheren Machtzentren der Kirche in Europa. Lieber berief er Geistliche aus weit entfernten Regionen. Manche sagen: vom anderen Ende der Welt.