Enthüllungsbericht der New York Times

Der tiefe Fall des Bild-Chefs Julian Reichelt

Martin Damerow

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19.10.2021, 15:52 Uhr
Julian Reichelt ist seinen Job als Bild-Chefredakteur los.

© picture alliance / Bernd von Jutrczenka/dpa Julian Reichelt ist seinen Job als Bild-Chefredakteur los.

Das zweite medienpolitische Erdbeben war dem Springer-Verlag dann doch zu viel. Julian Reichelt, bislang Chefredakteur der Bild-Zeitung und damit einer der einflussreichsten Journalisten Europas, ist seinen Job los. Der Verlag trennt sich von dem 41-Jährigen – offenbar und ironischerweise als Folge von Presserecherchen.

So habe "das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat. Deshalb halte der Vorstand eine Beendigung der Tätigkeit nun für unvermeidbar", heißt es vonseiten des Unternehmens offiziell.

Zur Erinnerung: Seit Anfang März standen Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen Reichelt im Raum. Damals hatte der Spiegel berichtet, dass rund ein halbes Dutzend Mitarbeiterinnen dem Medienhaus Vorfälle aus den vergangenen Jahren angezeigt hätten. Daraufhin hatte der Konzern ein internes Verfahren eingeleitet.

Drogenkonsum am Arbeitsplatz

Laut Springer-Angaben standen die Vorwürfe des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu mehreren Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz im Kern der Untersuchungen. Schon nach kurzer Zeit kam man zu dem Ergebnis, dass Reichelt seinen Posten behalten sollte, er kehrte nach einer relativ kurzen befristeten Freistellung auf seinen angestammten Posten zurück.

Dass er nun doch seinen Schreibtisch räumen muss, ist letztlich die Folge eines Beitrags in der New York Times (NYT). Dort hatten Reporter offenbar Einblick in brisante Unterlagen. So schreibt der Autor Ben Smith ausführlich über die internen Springer-Ermittlungen gegen Reichelt. Demnach hielt dieser vor fünf Jahren an einer intimen Beziehung zu einem Trainee fest, obwohl eine andere Frau ihm zur gleichen Zeit sexuelle Belästigung vorwarf.

Der NYT-Reporter bilanziert nach Einsicht der ihm zu Verfügung stehenden Unterlagen nüchtern: "Die Dokumente, die ich studiert habe, zeichnen das Bild einer Arbeitsplatzatmosphäre, in der Sex, Journalismus und Firmengeld miteinander vermischt wurden."

Das kommt gar nicht gut an in der Chefetage des Springer-Verlags, die derzeit bemüht ist, in Amerika Fuß zu fassen und auf dem dortigen, extrem lukrativen Medienmarkt kräftig mitzumischen. Für 442 Millionen Dollar erwarb der Konzern unlängst das Portal "Business Insider". Noch etwas mehr, angeblich rund eine Milliarde Dollar, ließ man sich die Übernahme der kleinen, aber einflussreichen Zeitung Politico kosten, eines der wichtigsten Medien im Washingtoner Politikbetrieb.

Vom Verleger ausgebremst

Dass nicht noch mehr Details der Affäre Reichelt an die Öffentlichkeit drangen, ist dem Verleger Dirk Ippen (81) geschuldet. Er stoppte die weit fortgeschrittene Recherche eines Investigativteams seiner eigenen Mediengruppe, zu der unter anderem die TZ, der Münchner Merkur und die Frankfurter Rundschau gehören. "Als Mediengruppe, die im direkten Wettbewerb mit Bild steht, müssen wir sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wollten einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden", hieß es von dort.

"Wir sind schockiert von dieser Entscheidung", entgegneten die betroffenen Journalisten. Wenig später veröffentlichte der Spiegel zumindest Teile der vom Verleger zurückgehaltenen Recherche-Ergebnisse des Ippen-Teams. Womöglich gibt es bald noch mehr zu lesen: Gestern hieß es, die Ippen-Gruppe wolle die Erkenntnisse seines Investigativ-Teams nun offenbar doch nicht weiter zurückhalten. "Derzeit prüfen wir, wann und wie wir eine Veröffentlichung publizieren", sagte ein Sprecher.