Ein Bündnis für Weltverbesserer
12.2.2021, 19:50 UhrJörg Alt hat sich erfolgreich für ein Verbot von Landminen eingesetzt, er koordinierte das "Manifest Illegale Zuwanderung", womit er einem Tabuthema zu eindrucksvoller gesellschaftlicher Relevanz verhalf, "fast ein Wunder" nannte das die Frankfurter Rundschau. Er brachte die Idee einer Finanztransaktionssteuer erfolgreich auf den Weg. Einen "der erfolgreichsten politischen Aktivisten der Republik" nannte der Tagesspiegel den 59 Jahre alten Jesuiten-Priester und promovierten Soziologen aus Nürnberg einmal.
Wunder sind möglich, Jörg Alt hat es vorgemacht. "Utopie", sagt er in seinem Büro in der Nürnberger Jesuitenmission, "ist nicht mehr so sehr ein Schimpfwort", und obwohl er sich selbst "einen pessimistischen Realisten" nennt, strahlt er große Zuversicht aus, wenn es um das nächste Projekt geht.
Es ist wieder ein großes, es ist der "Bayernplan für eine soziale und ökologische Transformation" des Freistaates, Initiatoren sind die Jesuitenmission, der Bund für Umwelt- und Naturschutz Bayern, die Fridays For Future-Ortsgruppe Nürnberg und das Landeskomitee der Katholiken in Bayern – im Verbund mit mehr als 120 Organisationen und Personen aus Wissenschaft, Kultur, Kirche und Sozialdiensten.
Es geht nicht um detaillierte Forderungen, es geht um mehr, um die Grundsteine für einen gesellschaftlichen Umbau "hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit", wie es heißt, die Initiative Bayernplan sieht sich dabei gern als Teil eines größeren Ganzen.
Die entsprechende Petition, überreicht an Landtagspräsidentin Ilse Aigner persönlich, liegt dem Bayerischen Landtag vor und soll im März verhandelt werden, Ziel ist es, "einen vom Landtag moderierten gesamtgesellschaftlichen Dialogprozess" anzustoßen, in den "möglichst viele kompetente Personen und Institutionen eingebunden werden sollen". (Im Internet nachzulesen unter: www.wirtransformierenbayern.de.)
Willkommen ist? Jeder, der sich "eine bessere Welt" wünscht, wie Jörg Alt sagt. Auch wenn sich Alt, wie er lächelnd sagt, die FDP eher nicht als potenziell tragende Säule vorstellen kann: Es geht nicht um Parteipolitik oder um eine politische Grundfärbung. Dass das bayerische Landeskomitee der Katholiken, dem man gewiss nicht zu nahe tritt, wenn man es als konservativ bezeichnet, zum Bündnis gehört, lässt schon auf die erwünschte Breite schließen.
"Es würde uns nicht helfen, mit großen Begriffssystemen zu arbeiten", sagt auch der 20 Jahre alte Vincent Gewert, der es als Aktivist der Fridays For Future in Nürnberg erlebt hat: "Es war auffällig, wie schnell wir breite Unterstützung gefunden haben", man habe sich "politisch nicht einordnen lassen" wollen, wichtig sei auch jetzt einzig das Anliegen – aus dem, das wünscht sich Gewert, "eine Massenbewegung" werden soll. So wichtig das individuelle Handeln ist, überlegt er, "es reicht nicht, beim lokalen Händler einzukaufen".
Klimawandel, Artensterben, soziale Ungleichheit, Desintegration: So, wie sie ist, wird die Welt nicht weiterleben können, sagen die Initiatoren. Dass der vermeintliche Triumph des Neoliberalismus, ein unbegrenztes, primär nur noch vom Markt selbst reguliertes Wirtschaftswachstum viele Menschen zu ängstigen beginnt, fällt spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie auf, einen "Weckruf an die Menschheit, mit Natur und Umwelt anders umzugehen", machte im Mai 2020 der Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) aus, "deshalb müssen wir umdenken und können nicht einfach zur Normalität der Globalisierung zurückkehren".
Ein Wunsch nach regionaler ausgerichteten Strukturen und eine stetig wachsende Sensibilität für den Klimaschutz kommen in vielen Umfragen zum Ausdruck; ein neuer politischer Populismus und das Gespür einer wachsenden sozialen Ungleichheit machen den meisten Menschen Sorgen. Der im November vorgelegte Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, nachdem in diesem reichen Land 15,9 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, wirkte beinahe schockierend. Reiches Land?
"Es eilt nicht nur, es ist allerhöchste Zeit für Veränderungen", sagt Vincent Gewert, er studiert Politikwissenschaften, Philosophie und Nachhaltigkeitswissenschaften und hat ein Jahr auf den Fidji-Inseln gelebt, im Freiwilligendienst bei einem Klimaprojekt einer indigenen Gemeinschaft. "Im globalen Süden geht es schon um Leben und Tod", sagt er. Und in der Arktis passiert bereits, was für frühestens 2070 prognostiziert worden war: Der Permafrostboden taut. Es gibt längst keine vermeintliche sichere Entfernung mehr vom Klimakollaps.
Leben und Tod. Die Corona-Pandemie, die Globalisierung eines Virus, hat der ganzen Welt gezeigt, wie zerbrechlich sie ist – und auch, wie sich eine Krise bekämpfen lässt, wenn die Gefahr offensichtlich ist und wenn "man bereit ist, auf die Wissenschaft zu hören, Geld zu investieren und auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen", wie Jörg Alt sagt. Das macht ihm Mut für die nächsten Schritte, "und wenn ein Land die finanzielle und technische Power dafür hat, dann ist das Bayern".
"Ein Exerzitium", formuliert es Alt, sei die Pandemie für viele auf einmal primär mit sich alleine beschäftigte Menschen, eine mentale Übung. Die Lehren daraus ließen sich anwenden auf die Herausforderungen der Zukunft, "die eigentlichen Probleme, die bleiben, wenn Corona vorbei ist". Energiewende, eine Gemeinwohl-Ökonomie, Dezentralisierung: Das, sagt Jörg Alt, sind die großen Komplexe, aber er betont, dass es "keine spezifischen Forderungen von uns gibt", es gehe "um die besten Ideen und darum, wie man sie umsetzt".
"Braucht es ein Ende des Wachstums? Oder wie, in welchen Formen kann es weitergehen und wo?" Auch das sind Fragen, die sich Jörg Alt stellt, "man kann armen Ländern das Wachstum nicht verbieten", überlegt er, und das führe zur Frage, "wie reiche Länder helfen können".
Die Ahnung, dass der neoliberale Kapitalismus sein schönes Versprechen – Glück und Wohlstand für alle durch stetes Wachstum – nicht einzuhalten in der Lage ist, treibt nicht erst seit Corona eine wachsende Menge von Menschen um, "und der Mensch ist eben anders als der Homo oeconomicus", sagt Jörg Alt, "der Mensch ist ein soziales Wesen, unter Druck zeigt sich das besonders".
Das Ende des Kommunismus, der Bedeutungsverlust der Religion in Europa: Nach 1990 sah es lange so aus, als sei die neoliberale kapitalistische Marktwirtschaft die einzig mögliche verbliebene Weltordnung, niemand hat sie so öffentlichkeitswirksam in Frage gestellt wie Papst Franziskus, der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. Eine "Quelle neuer Formen von Gewalt", sagte der Heilige Vater, wachse daraus; ein Satz des Papstes schreckte auf: "Diese Wirtschaft tötet". Franziskus empfahl für eine Neubesinnung Begegnung, Dialog, tätige Liebe – ganz ähnlich klingt es beim Jesuitenpater Jörg Alt; manchmal fragt man sich, warum das eigentlich naiv sein sollte.
Mit dem "Optimismus eines Christen", sagt Alt, will er seinen "Beitrag zum Wandel leisten – ich will Leute zusammenbringen, die sonst vielleicht nicht zusammenfinden würden", und, das nennt er eine Erfahrung, "wenn man nur dreieinhalb bis zehn Prozent der Menschen für ein Anliegen gewinnen kann, kommt ein Wandel in Gang".
Positive Signale aus München hat Alt vernommen, aber vor dem Abschluss des Petitionsverfahrens, teilt das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales auf Anfrage mit, könne man "keine Stellungnahme dazu abgeben". Was sie sich wünschen in Nürnberg? "Dass der Landtag die Petition formal annimmt und anerkennt", sagt Vincent Gewert, "dass er sich positioniert und handelt". Was dann möglich ist, werde sich "über Monate, vielleicht auch Jahre" zeigen (dass Vincent Gewert in seinem Faible für Fußball zum 1.FC Nürnberg hält, kann man vielleicht kurz erwähnen, wenn es um die Tugend der Geduld geht). Pater Jörg Alt weiß, dass sich Beharrlichkeit lohnt.
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