Friedensnobelpreis

Eine Ohrfeige für Iran: Der Preis schafft aber keine politischen Veränderungen

Thomas Seibert

6.10.2023, 19:00 Uhr
Narges Mohammadi (Mitte) sitzt neben Shirin Ebadi (links), ebenfalls Friedensnobelpreisträgerin.

© Vahid Salemi, dpa Narges Mohammadi (Mitte) sitzt neben Shirin Ebadi (links), ebenfalls Friedensnobelpreisträgerin.

Der Friedensnobelpreis für die iranische Menschenrechtlerin Narges Mohammadi dürfte weder ihr selbst noch den anderen Opfern des Mullah-Regimes konkret viel helfen. Mohammadi wird auch als Trägerin des prestigeträchtigsten Preises der Welt im Gefängnis bleiben, Frauen im Iran werden weiterhin die Gewalt der Religionspolizei riskieren, wenn sie ohne Kopftuch aus dem Haus gehen, die Führung der Islamischen Republik wird den Preis als westliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihres Landes abtun. Und doch ist die Auszeichnung für Mohammadi nicht vergebens.

Erstens zeigt die internationale Gemeinschaft mit dem Preis, dass sie Mohammadi trotz ihrer langen Zeit im Gefängnis und trotz ihres aussichtslos erscheinenden Kampfes gegen das iranische System nicht vergessen hat. Das könnte ihr neue Kraft und vielleicht auch ein wenig Schutz im Gefängnis geben. Selbst einem Regime wie dem iranischen fällt es schwer, eine Friedensnobelpreisträgerin zu knebeln.

Zweitens ist der Preis eine Anerkennung des Mutes von Millionen Iranerinnen und Iranern, die bei den Protesten des vergangenen Jahres auf die Straße gegangen sind. Die Protestbewegung hat keine Führungsstruktur und keine Anführer oder Anführerinnen, deshalb hebt das Nobelpreis-Komitee die inhaftierte Mohammadi heraus.

Drittens stellt das Komitee ein Regime an den Pranger, das es verdient, am Pranger zu stehen. Revolutionsführer Ali Khamenei und seine Regierung mögen die Ehrung für Mohammadi herunterspielen, aber es wäre der Führung in Teheran sicher lieber gewesen, wenn der Nobelpreis in ein anderes Land gegangen wäre. Khameneis Regime ist unfähig zum Dialog mit dem eigenen Volk und fürchtet, dass es seine Macht verlieren würde, wenn Frauen den Männern gleichgestellt würden und sich nach eigenem Geschmack kleiden dürften. Der Nobelpreis wirft ein Schlaglicht auf die Schwäche und ideologische Verbohrtheit des Regimes.

Mohammadis Auszeichnung erschüttert auch das außenpolitische Weltbild der Mullahs. Bisher konnte sich die iranische Staatsspitze daran erfreuen, dass USA und Europa den Aufstand gegen das theokratische System ignorierten, weil ihnen Anderes wichtiger war: neue Gespräche über Atomabkommen etwa oder der Austausch von Gefangenen. Das brachte Khameneis Regierung sogar den Zugriff auf zuvor eingefrorene Milliardenguthaben ein. Doch jetzt zeigt die Welt mit dem Nobelpreis für die inhaftierte Menschenrechtlerin Mohammadi, dass sie hinschaut, und das ist autokratischen Regimen immer unangenehm.

Ein Nobelpreis garantiert nicht, dass sich Dinge verbessern. Sonst säße Mohammadi 20 Jahre nach Vergabe des ersten Preises an eine iranische Aktivistin, Shirin Ebadi, wohl nicht mehr hinter Gittern. Politische Veränderungen können nur die Iraner selbst schaffen – doch die Auszeichnung für Narges Mohammadi stärkt ihnen den Rücken.

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