Erlanger Historiker: "Krieg gegen Zivilisten ist ein Verbrechen"
27.12.2019, 09:18 UhrNN: Herr Prof.Dr.Schöllgen, am 2. Januar 1945 traf ein Bombenangriff Nürnberg – einer von vielen. 1800 Tote, die Altstadt zu 90 Prozent zerstört... Wie werten Sie diese Taktik, Deutschland zu demoralisieren und zu schwächen?
Schöllgen: Hinter der Taktik stand das übergeordnete Ziel, den verlustreichen Krieg in Europa so schnell wie möglich zu beenden. Dafür gab es neben anderen vor allem einen Grund, den man hierzulande meistens nicht in Rechnung stellt: Die Alliierten führten im ostasiatisch-pazifischen Raum einen zweiten, nicht minder verlustreichen Krieg gegen Japan. Und dort war man vom Kriegsende noch weiter entfernt als in Europa.
Der Bombenkrieg gegen deutsche Städte sollte erstens die Versorgungs- und Nachschubverbindungen, also die Infrastruktur der deutschen Abwehrschlacht, zerstören, zweitens die Rüstungsindustrie schwächen und drittens die deutsche Bevölkerung demoralisieren. Im Fall von Nürnberg kam noch die hohe Symbolkraft der "Stadt der Reichsparteitage" hinzu.
Wie ist der Bombenkrieg einzuschätzen? Manche Historiker sprechen von Kriegsverbrechen, von Terror, andere schreiben, der Luftkrieg sei ein notwendiges Übel gewesen, um Hitler niederzuringen.
Schöllgen: Das ist eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich mir vorstellen kann, aber grundsätzlich gilt: Die systematische Kriegführung gegen Zivilisten ist ein Verbrechen, ganz gleich wo und unter welchen Umständen sie stattfindet. Allerdings muss man in Rechnung stellen, dass das Völkerrecht dieses Thema in der Zwischenkriegszeit noch nicht wirklich erfasst hatte, weil der Erste Weltkrieg, von Ausnahmen abgesehen, nicht als Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung geführt worden war.
Begonnen mit dem Luftkrieg haben die Deutschen, mit der Bombardierung von Wielu in Polen am Anfang des Krieges...
Schöllgen: Die Deutschen haben schon vor Kriegsausbruch einen Präzedenzfall geschaffen, als sie 1937, im Rahmen des Spanischen Bürgerkrieges, Guernica bombardierten. Nach Ausbruch des Krieges folgten Warschau, Rotterdam und im Zuge der Luftschlacht um England London, Coventry und andere Städte. Opfer war vor allem die Zivilbevölkerung.
Goebbels prägte nach dem Luftangriff auf Coventry das Verb "coventrysieren". Da steckte Vorsatz und Methode dahinter...
Schöllgen: In der Tat. Das galt für beide Seiten. Auch Winston Churchill, der britische Premier, sprach im Juli 1940 davon, dass ein "Vernichtungsangriff" der einzige Weg sei, Hitler zu stoppen.
Später ging Churchill auf Distanz. Nach der Bombardierung Dresdens schrieb er, man solle Abstand nehmen von solchen "bloßen Terrorakten" und Akten der Z.
Schöllgen: Ja, aber da war es schon geschehen, da waren die deutschen Städte schon ausgelöscht. Und die großen Vernichtungsaktionen der Alliierten standen noch bevor – in Asien. Der konventionelle Luftangriff auf Tokio forderte im März 1945 84.000 Menschenleben, und nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki wurden insgesamt 100.000 Tote gezählt. Mindestens so viele starben an den Spätfolgen.
Kann und darf man auch mit Terror den noch größeren, systematischen Terror der Nazis stoppen?
Schöllgen: Das ist eine legitime Frage. Und es ist ein enormes moralisches Dilemma. Denn in Situationen, in denen eine solche Entscheidung ansteht, geht es ja fast immer auch um die Frage, ob ich mit einem derart brutalen Mittel den Krieg für das eigene Land und damit das Leiden der eigenen Zivilbevölkerung verkürzen oder beenden kann.
Der Bombenkrieg: Ein Verbrechen, das Wirkung zeigte
Ein Wendepunkt war Dresden – ein später, massiver Angriff. Manche sehen auch darin einen notwendigen Akt – so Arthur Harris, der Bomber-General. Andere auch in Großbritannien sprachen damals schon von einem Verbrechen.
Schöllgen: Im Februar 1945 war der Krieg zwar noch nicht zu Ende, aber man wusste, dass Hitlers Regime in den letzten Zügen lag. Und man wusste auch, dass sich viele Menschen, die auf der Flucht vor der Roten Armee waren, in Dresden aufhielten. Es war es ein nicht zu rechtfertigender Angriff auf schutz- und hilflose Zivilisten, die ja zum Teil auf den Elbwiesen campierten. Das war ein Verbrechen. Die Briten sahen das später auch so. Die Opferzahlen in Dresden waren hoch, wenn auch nicht so hoch wie zum Beispiel bei der "Operation Gomorrha" gegen Hamburg, der im Sommer 1943 bis zu 40.000 Menschen das Leben kostete.
Es gibt ja auch entsetzliche Beschreibungen der Leiden. Manche wurden regelrecht gekocht, in Feuerlöschteichen, andere gebacken, viele erstickt.
Schöllgen: Man denkt immer, da müsse viel Blut geflossen sein. Nein: Die Menschen verbrannten und verkohlten.
Von "Bomber-Harris" gibt es das Zitat: "Sie säten den Wind, und jetzt werden sie den Sturmwind ernten." War das die Logik, nach dem das alles ablief?
Schöllgen: Für General Arthur Harris schon. Für ihn war das eine rein technische Aufgabe, moralische Bedenken kannte er nicht. Er stellte sich die Frage: Wie kann ich meinen Auftrag möglichst effizient und mit möglichst wenig eigenen Verlusten erfüllen? Man darf ja nicht vergessen, dass die Verluste in den Bomberstaffeln enorm waren. Die Überlebenschance der Besatzungen waren gering.
Der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke interpretiert den Bombenkrieg auf seine eigene Weise. In seiner Dresdner Rede sagte er 2017, man habe die Deutschen und ihre Identität „mit Stumpf und Stiel vernichten wollen“. Man wollte „unsere Wurzeln roden, und zusammen mit der dann nach 1945 begonnen systematischen Umerziehung hat man das auch fast geschafft“. Was sagen Sie dazu?
Schöllgen: Worin bestand denn die deutsche Identität der Jahre 1941 bis 1945? Einen beispiellosen Eroberungs-, Beute- und Vernichtungsfeldzug gegen die Nachbarn zu führen und das europäische Judentum industriell auszulöschen?
Dann sollten wir den Alliierten dankbar sein, dass sie diese Identität "mit Stumpf und Stiel vernichtet" haben.
Es waren die Deutschen, die diesen Krieg begonnen und jeden in den eigenen Reihen bekämpft haben, der sich dem Regime widersetzte. Und es waren Deutschlands Gegner, die den Krieg beendet und dieses Regime gestürzt haben.
Es gibt eine andere Einschätzung, im Buch "Feuersturm" des Historikers Andrew Roberts. Er schreibt: "Dass Deutschland heute eine solche Musterdemokratie ist und eine so friedfertige Außenpolitik betreibt, ist teilweise auf die fürchterliche Vergeltung zurückzuführen, die der letzte Krieg über das Land gebracht hat. Hätte der Zweite Weltkrieg auf deutschem Boden... nicht so viele zivile Opfer gefordert, hätte sich dort vielleicht ein neuer Geist des Revanchismus entwickelt. Doch die Deutschen schauten dem Armageddon ins Gesicht, und das hat ihnen eine Abneigung gegen militärische Interventionen im Ausland eingepflanzt, die Nato-Politiker heute gelegentlich frustriert, aber für die Welt insgesamt eine sehr begrüßenswerte Erscheinung ist." Was meinen Sie: Ist das eine berechtigte oder eine kühne Einschätzung?
Schöllgen: Am Ende des Krieges gab es kaum eine Familie ohne einen getöteten, verwundeten oder vermissten Angehörigen. Dieses kollektive traumatische Erlebnis hat sicher entscheidend dazu beigetragen, dass die Deutschen dem Krieg entsagt haben. Daran hat sich über alle Generationen hinweg bis heute nichts geändert. Geändert hat sich die Welt. Denn der Krieg gehört vielerorts wieder zu unserer Gegenwart. Können wir uns verweigern, wenn die Weltgemeinschaft heute Deutschland auffordert, sich an internationalen Missionen zur Verhinderung, Eindämmung oder auch Beendigung von Kriegen zu beteiligen? Auch das ist eine Lehre aus der Geschichte.
Hat die Welt aus dem, was damals passiert ist, etwas gelernt?
Schöllgen: Nein. Offenkundig nicht. Der Krieg gerade auch gegen die Zivilbevölkerung gehört heute in vielen Teilen der Welt wieder zum Alltag. Die Opferzahlen dieser Kriege sind auch deshalb immens, weil der Luftkrieg für die Angreifer risikoloser zu führen ist als vor 75 Jahren.
Als die Royal Airforce am 2. Januar 1945 rund 2300 Tonnen Bomben auf Nürnberg abwarf, waren 520 Flugzeuge im Einsatz. Heute lässt sich vieles, wie der Einsatz von Kampfdrohnen, weit vom Kriegsschauplatz entfernt am Rechner erledigen. Ein beängstigendes Szenario.
Im Podcast "Horch amol" ist Gregor Schöllgen im Gespräch mit den Chefredakteuren Michael Husarek und Alexander Jungkunz zu hören.
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