Erlanger wird Beauftragter gegen Antisemitismus im Europarat: Über einen Grenzgänger
4.1.2021, 06:00 UhrDass Grenzen keine unüberwindbaren Hürden sind, lernte Daniel Höltgen schon als Kind. Und das, obwohl er damals noch im behüteten, christlich geprägten Elternhaus in Erlangen lebte, weit entfernt vom Europarat in der Avenue de l'Europe in Straßburg, wo er heute arbeitet. "Meine Mutter war Engländerin, mein Vater Deutscher, deswegen sind wir immer wieder zwischen beiden Ländern hin und her gereist", beginnt Höltgen zu erzählen. Eine Vergangenheit, die ihn prägte und frühzeitig sein Interesse an der europäischen Zusammenarbeit geweckt habe. Heute ist Höltgen Kommunikationsdirektor des Europarates, seit November unter anderem dessen Beauftragter im Kampf gegen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit.
Höltgens Lebenslauf klingt wie aus einem Bilderbuch: In Erlangen und Nürnberg geht er zur Schule, ist Ministrant und Pfadfinder. 1987 absolviert er den Wehrdienst in der Oberpfalz. "Damals war die Tschechische Republik, der wir so nah waren, sozusagen der Feind. Man hat sie zwar nie als solchen bezeichnet, aber es bestand eben der Warschauer Pakt", sagt Höltgen. Nur wenige Jahre später fällt der Eiserne Vorhang. "Und unser Nachbar, die Tschechische Republik wurde Teil eines gemeinsamen Europas. Das war für mich eine Schlüsselerfahrung."
Höltgen studiert zunächst in Erlangen Geografie, Anglistik und Wirtschaftswissenschaften, macht eine studienbegleitende Ausbildung an der katholischen Journalistenschule in München und wechselt schließlich zur Promotion an die Universität Cambridge. "Meine Dissertation schrieb ich damals zur Frage, wie man den Verkehr von der Straße auf die Schiene verlegen kann. Das fand man in Brüssel so spannend, dass man mir bei der Europäischen Kommission meinen ersten permanenten Job angeboten hat."
Mit dem Start in der Kommission beginnt Höltgens Aufstieg, der sich in unzähligen Job-Wechseln manifestiert, über die man als Zuhörer leicht die Übersicht verlieren kann. Er selbst nennt es "gar nicht so kompliziert": Von der EU wechselt er 1998 als Referatsleiter ins Bundesverkehrsministerium. Er bleibt drei Jahre, bevor man ihn zurück nach Brüssel erst in den Verkehrsbereich, dann in den Stab von Günter Verheugen holt, um an der Erweiterung der Europäischen Union zu arbeiten. 2004 nominiert ihn die SPD in Bamberg als Kandidat für die Europawahl. Am Ende reicht es für die SPD und Höltgen nicht, auch nicht ein Jahr später als Bundestagskandidat. "Ich habe das immer sehr sportlich gesehen und ich möchte die politische Erfahrung auch nicht missen." Im beruflichen Leben geht es für Höltgen in der Zwischenzeit als Sprecher ins Innenministerium, bis er 2005 zur Europäischen Flugsicherheitsbehörde wechselt. "Da blieb ich bis 2010, bis der Vorschlag aus Berlin kam, mich für den Europarat als Kommunikationsdirektor zu bewerben, was glücklicherweise auch erfolgreich war."
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Anders als es der Name suggeriert, ist der Europarat keine EU-Institution. Der 1949 gegründete Rat ist vielmehr Europas führende Organisation für Menschenrechte und dafür zuständig, die Zusammenarbeit zwischen den 47 Mitgliedstaaten zu fördern. Als Kommunikationsdirektor muss Höltgen den Überblick behalten. "Wir veröffentlichen viele Expertenberichte zu Rassismus und Intoleranz, aber auch zu Themen wie Korruption oder Lobbyismus." Höltgen ist auch für die Generalsekretärin zuständig: Dienstreisen und Termine, "das muss vorbereitet sein, vor allem wenn man mir großen Mitgliedsländern wie Russland spricht, mit denen es auch manchmal Diskussionsbedarf gibt". In alle 47 Staaten hat er es aber noch nicht geschafft. "Armenien fehlt mir noch."
Zu den Dienstreisen kommen Anfragen von Bürgern, von Medien, der Auftritt im Internet und in den sozialen Medien - und die Kommunikation mit den 47 Staaten. "Darunter sind ja auch Staaten, die keine EU-Mitgliedsstaaten sind wie die Türkei oder Russland, mit denen der Austausch besonders wichtig ist. Was die Türkei betrifft, geht es insbesondere darum, dass die Regierung die Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes umsetzt." Kommunikation spiele dabei eine große Rolle.
Das gilt auch für Höltgens neuen Zusatzauftrag, die Zusammenarbeit der EU-Staaten bei der Bekämpfung von Hass und Hetze zu stärken. "Back to the roots" (deutsch: zurück zu den Wurzeln), nennt er die Aufgabe selbst. "Der Europarat ist nach dem Zweiten Weltkrieg, nach einem Zusammenbruch der Menschenrechte und dem Holocaust als erste europäische Institution gegründet worden, damit es so etwas wie den Holocaust nie wieder gibt." Das sei der eigentliche Ursprung des Rates. Viele Länder hätten zudem längst Beauftragte gegen Antisemitismus. "Aber der Europarat war bislang mit keinem Ansprechpartner vertreten."
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Doch wie kann sich gegen Hetze einsetzten, wenn man gar nicht vor Ort ist? "Ich muss jetzt nicht das Rad neu erfinden", erklärt Höltgen. Vielmehr sei es seine Aufgabe, die Ansprechpartner und Expertisen untereinander zu verbinden, Projekte bekannt zu machen und die Arbeit auf europäischer Eben zu fördern. "Europa ist vielfältig geworden. Es ist ein Miteinander von verschiedenen Religionen und Kulturen. Und das wird nur funktionieren, wenn man sich gegenseitig respektiert und zunehmende Angriffe auf Minderheiten bekämpft. Das macht Europa aus."
Es ist die Idee eines vereinten Europas, eines friedlichen Miteinanders, die Höltgen, so scheint es, seine unheimliche Fülle an Aufgaben erledigen lässt. "Jeder Tag ist anders, das stimmt schon, und natürlich erlebt man auch immer wieder Rückschritte, aber das spornt mich eher an, weiterzumachen."
Als Ausgleich zum Alltag geht Höltgen Rudern. "Meine Mutter ist damals bei jeder Gelegenheit in den Ärmelkanal gesprungen und hat ein paar Runden gedreht. Meine Beziehung zum Wasser fing also früh an. Der Kontakt zu Menschen außerhalb der Arbeit, das Wasser und die Balance halten, "das ist etwas, auf das ich mich jedes Wochenende freue". Seine Familie sei zudem ebenfalls mit ihm nach Straßburg gekommen. Ob er die Stadt als sein Zuhause bezeichnet, das lässt Höltgen aber offen. "Ich fühle mich wohl hier, aber ich habe auch nach Erlangen noch einige Verbindungen."
Bis zum Ende der Legislaturperiode in vier Jahren will er in jedem Fall bleiben. "Aber einen Wunsch habe ich für meine Zukunft noch: Ich würde gerne irgendwann wieder etwas mehr vor Ort arbeiten. Ich saß mit vielen wichtigen Personen zusammen, mit Staats- und Regierungschefs und ich trage auch selbst viel Verantwortung." Am meisten beeindruckt sei er aber von anderen: "Die Menschen vor Ort, die jeden Tag ihren Beitrag leisten, damit unser Land nicht nur von oben gut regiert, sondern von unten getragen wird."
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