Es sind nicht nur "Reichsbürger": Die Aggressivität wächst
20.10.2016, 13:37 UhrGeht‘s noch? Da wartet ein 49-Jähriger, der diesen Behörden den Kampf angesagt hat, auf die Polizei, schießt ohne Vorwarnung los, verletzt zwei Beamte, davon einen lebensgefährlich — und es gibt Menschen, die so hasserfüllt sind und so abgestumpft, dass sie diesen Mann in Schutz nehmen und dessen Opfer, wenn überhaupt, dann eher schulterzuckend erwähnen: "Der Schusswaffengebrauch", schreibt einer, sei "allerdings zu verurteilen zumal es die Falschen trifft."
Also — und was sonst soll man aus diesem Kommentar schließen, der bisher 18 Likes bekommen hat? — hätte es auch "Richtige" gegeben, die so ein "Reichsbürger" durchaus hätte treffen können.
Erkaltete Mitmenschlichkeit
Die Tat von Georgensgmünd ist nur noch ein sehr drastischer Beleg dafür, wie eine Minderheit sich radikalisiert. Wie sie sich hineinsteigert in einen abgrundtiefen Hass, der Mitmenschlichkeit abstumpfen und erkalten lässt.
Woher kommt dieser Hass? Über die Gesinnung des Täters vor unserer Haustür lässt sich bisher nur spekulieren. Er hat getan, was auch ein paar hundert bis tausend (Tendenz steigend) der Möchtegern-"Reichsbürger" getan haben: Sie sprechen diesem international ganz selbstverständlich anerkannten, dem freiesten Rechtsstaat, den Deutschland je hatte, das Existenzrecht ab, sie ignorieren Steuerbescheide oder sonstige behördliche Mitteilungen — aus verschiedensten Motiven.
Es sind Eigenbrötler dabei, etliche, denen das Wasser bis zum Hals steht, viele aber aus klar rechtsradikalen Motiven. Es gab solche Staatsfeinde schon immer. Aber sie finden in digitalen Zeiten eine Resonanz, von der sie einst nie zu träumen wagten: Die abartigsten Thesen boomen im Netz, Verschwörungstheorien haben bei etlichen Verbohrten längst den Rang eines Glaubensbekenntnisses, sie sind für Argumente nicht mehr zugänglich.
"Hass ist nicht einfach da. Er wird geformt", sagt Carolin Emcke, die nun den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält. Die kluge Beobachterin deutscher Zustände benennt die "Zulieferer des Hasses" — neben den (so genannten) sozialen Netzwerken Redner in Talkshows oder auf Parteibühnen.
Erst schüren, dann distanzieren
Man kommt da um die AfD nicht herum: Ranghöchste Vertreter dieser Partei, die so gern ankommen möchte im von vielen ihrer Anhänger verhassten "System", nennen Angela Merkel "Kanzlerdiktatorin". Sie schweigen, wenn auf Demos in Dresden Politiker-Puppen am Galgen baumeln. Sie befeuern so den Hass, von dem sie sich danach empört distanzieren.
Das Ergebnis ist immer öfter zu besichtigen. Wenn ein Wutbürger ins Büro des Nürnberger Oberbürgermeister stürmt — oder wenn ein "Reichsbürger" auf Polizisten schießt. Der Rechtsstaat muss da entschieden reagieren: Er und nur er hat das Gewaltmonopol, auf das er mit aller Macht pochen muss, er und nur er legt fest, wer (wohl immer noch zu großzügig) Zugang zu Schusswaffen erhält.
Zugleich darf der Rechtsstaat seinen Feinden keineswegs den Gefallen tun, sich in das zu verwandeln, was sie gerne hätten: einen rechten, autoritären, ausgrenzenden Staat. Mit dem Grundgesetz als einzig notwendiger Gebrauchsanweisung für die "deutsche Leitkultur" kann das auch künftig gelingen: Die Würde des Menschen ist unantastbar — die des Polizisten, die des Flüchtlings, die des Behörden-Mitarbeiters, natürlich auch die des Wut-Bürgers. Aber die Regeln des Rechtsstaats sind einzuhalten.