Ex-Minister zu US-Abzugsplänen: "Habe noch Hoffnung für Vilseck"
14.10.2020, 09:39 UhrHerr Schmidt, Herr Beyer, wer macht in den USA das Rennen?
Christian Schmidt: Also ich würde keine Prognose abgeben wollen. Manchmal hat man in Deutschland fälschlicherweise das Gefühl, Trump könne unmöglich gewinnen. Das ist aber nicht ausgemacht. Die US-Gesellschaft ist tief gespalten, und Trump hat eine solide Wählerbasis. Ich würde also keine Wetten abgeben.
Peter Beyer: 2016 hat uns gezeigt, dass man sich mit Voraussagen zurückhalten sollte. Ich glaube aber, dass der alte Satz von Bill Clinton – "It's the economy, stupid!" („Es kommt auf die Wirtschaft an, Dummkopf!“) – immer noch gilt. In den USA hat sich der Arbeitsmarkt schneller als gedacht von der Pandemie erholt, gleichzeitig ist aber noch kein Präsident mit einer solchen Arbeitslosigkeit wiedergewählt worden. Ich glaube, dass es knapp wird.
Sie sind beide überzeugte Transatlantiker – welcher Präsident wäre denn die bessere Nachricht für das Verhältnis Europas zu Amerika?
Schmidt: Ganz klar Joe Biden. Ich sage das, weil Trump offensichtlich mit den transatlantischen Beziehungen fremdelt, ja mit Deutschland fremdelt. Joe Biden kenne ich recht gut aus seinen Zeiten im US-Senat, einer seiner Mitarbeiter hat bei mir mal Praktikum gemacht. Er steht für ein Aufeinanderzugehen der transatlantischen Partner.
Aber ist es am Ende nicht auch eine Illusion zu glauben, mit Biden wäre alles wieder gut? Trump hat doch nur Konflikte ausgefochten, die schon länger schwelen – etwa die Frage der deutschen Militärausgaben.
Beyer: Genau so ist es. Deshalb warne ich vor einer rosaroten transatlantischen Nostalgie. Während der Obama-Administration war nicht alles besser als heute, aber wir haben besser und offener kommuniziert. Egal ob nun Trump oder Biden das Rennen macht – die Themen bleiben: das Zwei-Prozent-Ziel bei den Militärausgaben, die Gaspipeline Nord Stream 2 mit Russland und die Handelspolitik. Auch Joe Biden macht Wahlkampf mit dem Slogan "Buy American", er muss sich verstärkt um die Heilung der Wunden seines eigenen Landes kümmern. Allerdings gibt es Signale, die mir Hoffnung machen – Biden will nicht wie Trump mit Sanktionen vorausdonnern, sondern ein besseres, respektvolles Miteinander schaffen.
Schmidt: Ich glaube, in einem Punkt muss man jetzt aber auch mal Donald Trump die Ehre geben. Er hat die Frage unfairer Handelspraktiken und des mangelnden Innovationsschutzes durch China endlich auf die Tagesordnung gesetzt. Sein Fehler war, die Europäer nicht mit an Bord geholt zu haben.
Wie sollte Deutschland mit Blick auf das Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, agieren?
Beyer: Ich habe da eine klare Meinung. Wir haben uns 2014 dazu verpflichtet, uns bis 2024 dem Zwei-Prozent-Ziel anzunähern. Und ich möchte, dass Deutschland ein verlässlicher Partner im transatlantischen Werte- und Sicherheitsbündnis ist. Nicht weil Trump oder sein früherer Berlin-Botschafter Richard Grenell uns da vor sich hertreiben, sondern weil es in unserem eigenen Sicherheitsinteresse liegt. Das zusätzliche Geld sollte allerdings nicht komplett in Waffen und Munition fließen. Wir müssen eine sicherheitspolitische Strategie entwickeln, das heißt auch mehr Zukunftstechnologien und mehr Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten.
Trump zieht 5000 Soldaten aus Bayern ab: Vilseck fürchtet das Aus
Was hindert uns?
Beyer: Die Organisationsstrukturen der Bundesregierung stammen aus Adenauers Zeiten, zwischen den Ministerien gibt es ein gewisses Konkurrenzverhältnis. Wir müssen Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik besser bündeln – zum Beispiel mit der Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats, ähnlich wie ihn die Amerikaner haben.
Muss sich nicht auch Europa dringend in Verteidigungsfragen on den USA emanzipieren?
Schmidt: Wir brauchen für den Fall, dass Trump wiedergewählt wird, in Europa einen Plan B, wie es mit unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik neben der Nato weitergehen soll – idealerweise unter Einbindung der Briten. Das Problem der Europäer ist: Jeder der 27 Staaten hat seine eigene Ideen. Mein Fürther Landsmann Henry Kissinger wird ja immer zitiert mit der Frage "Wenn ich die europäische Außenpolitik anrufen will, welche Telefonnummer muss ich wählen?". Henry hat mir gegenüber gesagt, er hätte das nie gesagt, aber er beginne langsam, selbst an den Satz zu glauben.
In der Region treibt der angekündigte Truppenabzug der US-Truppen viele Menschen um. Haben Sie Hoffnung, dass Biden die Pläne rückgängig macht?
Schmidt: Ja, ich hab schon noch etwas Hoffnung – vor allem für Vilseck. Das Pentagon hat die Abzugspläne so ausgestaltet, dass man die Truppen auch zurückholen könnte. Einen konkreten Hinweis, dass Biden die Pläne rückgängig macht, haben wir aber trotz des einen oder anderen Kontakts ins demokratische Lager nicht.
Die deutsch-amerikanische Partnerschaft war lange auch von der deutschen Bevölkerung mitgetragen worden, jetzt gibt es Umfragen, wonach viele Bundesbürger Putin oder Chinas Staatschef Xi mehr vertrauen als Trump. Woran liegt das?
Schmidt: Ich wurde in den USA vor 20 Jahren einmal von einem Taxifahrer gefragt, woher ich komme. Ich sagte, aus Nordbayern. Er wollte es genauer wissen. Dann sagte ich Fürth. Und er sagte: Wo genau in Fürth? Es stellte sich heraus, dass er während seines Wehrdienstes selbst in Fürth gelebt hatte. Diese Verbindungen gibt es immer weniger. Deshalb müssen wir den kulturellen Austausch stärken – so wie wir das mit Frankreich erfolgreich praktizieren.
Beyer: Wir machen einen Fehler, wenn wir uns zu sehr auf den derzeitigen US-Präsidenten kaprizieren – was auch zu solchen Umfrageergebnissen führt. Aber ja: Mir blutet mein transatlantisches Herz. Ich bin in den 80er-Jahren aufgewachsen, da war Amerika "the place to be" – alle wollten dorthin. Wir haben damals nicht nachgedacht über eine Zukunft, in der Amerika nicht mehr auf allen Gebieten die Führungsnation ist. Wenn ich heute bei mir im Wahlkreis in Schulen gehe, werde ich immer mit äußerst kritischen Stimmen konfrontiert – Schüler sprechen mich etwa auf die Drohnenangriffe an, die von Ramstein aus koordiniert werden. Seit Trumps Wahlsieg machen viele ohnehin einen großen Bogen um die USA. Jetzt kommt es darauf an, Verantwortung zu zeigen und die Bande zu intensivieren. Ein Ansatz ist die Schaffung eines deutsch-amerikanischen Jugendwerks. Aber auch hier gilt: "It takes two to tango" – ohne Engagement von beiden Seiten geht es nicht.
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