Fassungslosigkeit und Entsetzen: Reaktionen der deutschen Politik zur US-Wahl

Harald Baumer

Berlin-Korrespondent der NN

E-Mail zur Autorenseite

4.11.2020, 16:27 Uhr

Sehr viel anders als mit dem Wort Fassungslosigkeit kann man es nicht beschreiben, wie die deutsche Politik auf die Wahlnacht in den USA und vor allem auf die Erklärung von Donald Trump reagiert hat. Dass der Präsident am liebsten die laufende Auszählung der Stimmen stoppen würde, hatte er zwar vorher schon angekündigt. Aber es ist eben immer noch etwas anderes, wenn das dann tatsächlich betrieben wird.

Für die Bundesregierung wagte sich Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) am weitesten aus der Deckung. Er klärte von Deutschland aus den Präsidenten darüber auf, wann Wahlen abgeschlossen sind: "Sie sind dann beendet, wenn auch alle Stimmen ausgezählt sind." Normalerweise mischt man sich zwar in derartige ausländische Vorgänge einer anderen Demokratie nicht ein. Aber die Reaktion von Scholz und etlichen anderen zeigt, wie groß das Entsetzen ist.

Auch der Fürther CSU-Abgeordnete Christian Schmidt, Präsident der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, hält sich mit seiner Meinung nicht zurück. "Das wäre bei uns unmöglich", sagt er zu Trumps Plan des Auszählungsstopps. Dabei sei auch von einem Abgeordnetenkollegen und Wahlbeobachter in den USA zu hören gewesen, dass die ganze Wahl nach ersten Eindrücken völlig ordentlich abgelaufen sei.

"Trump ist das Resultat der Spannungen in den USA"

Am meisten Sorgen machen dem Ex-Landwirtschaftsminister die tiefen Gräben zwischen den Amerikanern. Allerdings zeichne sich das schon länger ab. "Trump ist nicht der Auslöser, er ist das Resultat der Spaltung der amerikanischen Bevölkerung", sagt Schmidt. Trotzdem gibt er die Hoffnung nicht auf, dass die Wahlen noch korrekt abgeschlossen werden, notfalls mit Hilfe der Gerichte: "Ich vertraue immer noch auf die Mechanismen der amerikanischen Demokratie, die schon viele Stürme überstanden hat." Nach aktuellem Stand deute manches auf einen Sieger Donald Trump hin.

Es sei nun höchste Zeit, dass sich Europa eine Strategie einfallen lasse, wie man künftig mit den USA umgeht. Christian Schmidt sieht dabei insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in der Pflicht. Mit einem Wahlergebnis rechnet er bis spätestens zum Wochenende.

Die Nürnbergerin Gabriela Heinrich, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion und dort für die Außenpolitik zuständig, sorgt sich um die weitere Entwicklung in den USA. "Was passiert auf der Straße?", sagt sie. Die erste entscheidende Frage sei, "ob es friedlich bleibt". Donald Trumps Auftritt habe leider noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Von seinen Äußerungen sei sie "schon ziemlich konsterniert" gewesen.

"Die Europäische Union muss sich nun zusammenreißen"

Am Tag nach der Wahl führte Heinrich in Berlin viele Gespräche zu den Ereignissen in Amerika, heute wird sie ihren Parteifreund und Außenminister Heiko Maas treffen. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssten sich "jetzt zusammenreißen", sagt sie. Trotz mancher innereuropäischer Differenzen hegt sie die Hoffnung, dass das gelingen könnte. Es gehe ja nicht zuletzt um Fragen der gemeinsamen Sicherheit.

Die Ereignisse in den USA, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, sendeten leider "verheerende Signale" in die ganze Welt – auch in Richtung anderer Demokratien. Viele könnten sich jetzt denken "Wenn nicht mal mehr die Amerikaner das hinkriegen…". Die Sozialdemokratin ist sich mit ihrem CSU-Kollegen einig, dass sie immer noch starke Hoffnungen auf den Rechtsstaat USA setzt.

Aktuell können Parlament und Bundesregierung nicht sehr viel mehr tun als zuzuschauen und Vorsorge treffen. Irgendeinen Einfluss auf die Entwicklung in Amerika haben sie nicht. Christian Schmidt warnt auch davor, nun alles zu kritisieren, was jenseits des Atlantiks geschieht. "Das Wahlsystem der USA geht uns erst mal gar nichts an", sagt er zum Beispiel mit Bezug auf das viel gescholtene Prinzip der Wahlleute.

Droht nun eine Steigerung aller Unsitten Donald Trumps?

Am Verhalten Trumps aber findet offensichtlich fast niemand etwas Gutes in der deutschen Politik – nicht einmal die AfD, die dem Präsidenten meist durchaus freundlich gegenüber steht. Vorsitzender Jörg Meuthen merkte an, er finde den Appell zum Beenden der Stimmenauszählung "erst einmal irritierend". Sollte Donald Trump nun weitermachen dürfen, schwant Norbert Röttgen (CDU) Übles. Man müsse mit "einer Steigerung all dessen" rechnen, "was wir bisher erlebt haben".

17 Kommentare