Fatal: Ärzteprotest verunsichert Patienten

15.02.2009, 00:00 Uhr
Fatal:  Ärzteprotest verunsichert Patienten

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Die bayerischen Gynäkologen preschten vor. Anfang Januar rief ihr Berufsverband sie auf, aus Protest gegen die Honorarreform im Gesundheitswesen kranke Kassenpatientinnen weitgehend nur noch gegen Privatrezept zu behandeln. Die Chipkarte der gesetzlichen Versicherung sollte ausschließlich für Vorsorgemaßnahmen, Untersuchungen während der Schwangerschaft und die erste Behandlung im Krankheitsfall akzeptiert werden.

Intensive Besprechung

Erhört wurde der Aufruf kaum. Die meisten Frauenärzte halten nichts von dieser Art des Protestes. Sie haben rechtliche Bedenken. Sie haben aber auch ethische. «Selbstverständlich führen wir weiterhin die Medizin durch, wie wir sie bisher gepflegt haben«, schreibt beispielsweise die Fürther Gynäkologin Christel Bachmeier in einem offenen Brief an die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns. «Selbstverständlich bekommt jede Patientin, für die wir es als notwendig erachten, eine Ultraschalluntersuchung und wir sprechen auch weiterhin intensiv mit ihr. Das bin ich den Frauen einfach schuldig.«

Doch diese Botschaft kommt sehr spät. Die Schwabacher Gynäkologin Sabine Dickbertel beklagt, «dass sowohl bei mir, als auch bei Kolleginnen und Kollegen reihenweise verunsicherte Frauen anrufen oder Termine nicht mehr eingehalten werden, weil die Frauen Angst haben, die Untersuchungen zahlen zu müssen«.

Honorare gekürzt

Dickbertel versichert, in Schwabach sei kein einziger Frauenarzt dem Aufruf des Berufsverbandes gefolgt. Dennoch fühlt sie ihre Existenz jetzt doppelt bedroht. Zum einen durch die gekürzten Honorare: Niedergelassene Gynäkologen bekommen für die dreimonatige Behandlung einer kranken Patientin gerade einmal 16 Euro. Zwar werden einige Zusatzleistungen extra vergütet. Aber ob das ihr Honorar wirklich entscheidend aufbessert, können die Mediziner frühestens nach der ersten Quartalsabrechnung sagen.

Doktor im Hamsterrad

Bedroht fühlt sich Dickbertel jedoch auch durch das Ausbleiben der Patienten: Nicht nur, dass sie derzeit weniger Einnahmen hat. Das neue «Gesetz zur Verhinderung der übermäßigen Ausweitung der Praxistätigkeit« regelt, dass ein Arzt in jedem Quartal nur so viele Patienten behandeln darf wie im selben Quartal des Vorjahres. Die aktuellen Verluste setzen sich auf diese Art 2010 fort. «Wir Ärzte bewegen uns in einem sich immer schneller drehenden Hamsterrad«, findet Dickbertel.

Ähnliches berichte Doreen Brusch, leitende Arzthelferin in einer großen Praxis in Herzogenaurach. Sechs Orthopäden, Chirurgen und Anästhesisten haben sich hier zusammengetan. 180 Patienten behandeln sie durchschnittlich am Tag. Sie fungieren als Unfallpraxis und sie führen viele ambulante Operationen durch.

Bleibt die Qualität?

Seit in den Medien über die Medizinerproteste berichtet wird, fragen Kranke am Telefon, ob die Praxis überhaupt noch AOK-Patienten behandelt. Andere erkundigen sich besorgt, ob sie noch mit der gleichen Qualität operiert werden wie früher. Wieder andere fragen während der Behandlung, ob ihnen jetzt billigeres Pflaster aufgeklebt wird.

Das Honorar für ambulante Operationen wurde durch die Reform im Schnitt um 30 Prozent gekürzt. Dabei gibt es viele Patienten, die diese Art des Eingriffs bevorzugen. Statt im Krankenhaus kurieren sie sich lieber zu Hause aus. Und setzten darauf, so schneller wieder arbeiten gehen zu können. «Die Menschen haben Angst um ihren Arbeitsplatz, wenn sie lange wegen Krankheit fehlen«, sagt Arzthelferin Brusch. «Wir in Herzogenaurach spüren das jetzt in der Finanzkrise ganz besonders.«

Kein billigerer Faden

Doch jetzt befürchten die Kranken einen Qualitätsverlust bei den ambulanten OPs. «Es gibt Patienten, die bieten an, selbst zu bezahlen, wenn sie dann eine Operation wie früher bekommen«, erklärt Brusch. «Dabei können wir doch an so einer OP gar nicht sparen. Wir können weder einen billigeren Faden nehmen, noch Personal abziehen, wenn es gebraucht wird.« Die 40-Jährige denkt weiter: «Was passiert, wenn das OP-Ergebnis nicht so ausfällt wie erwartet und dann sagt jemand, da haben Sie sicher an mir gespart? Ich glaube, das kann zu einer richtigen Hysterie führen.«

Sogar die Hausärzte, um deren Honorare es bei den derzeitigen Protesten gar nicht geht, bekommen die Verunsicherung der Patienten zu spüren. Vor allem ältere Frauen haben Angst, unzureichend behandelt zu werden oder etwas dazu zahlen zu müssen. Thomas Bretting, Allgemeinarzt in Nürnberg, spricht von einer «hysterischen Endzeitstimmung«, mit der sich die Patienten infiziert haben.

Die Praxen sind voll

Thorsten Scharmann, der Vorsitzende der Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände Bayern (GFB), hat jedoch von solchen Folgen der Proteste noch nichts gehört. «Im Gegenteil«, sagt er. «Die Praxen sind voll.« Es sei wichtig, dass die Menschen in den Wartezimmern jetzt über die Folgen des Gesundheitsfonds informiert seien. Er versichert: «Wir versuchen, die Patienten nicht unter den gekürzten Honoraren leiden zu lassen. Der Patient ist unser Verbündeter.«

Die GFB, die als Dachorganisation für 26 Berufsverbände fungiert, ruft für 17. Februar alle niedergelassenen Fachärzte auf, ihre Praxen für einen Fortbildungs- und Informationstag zu schließen. Anders als beim ersten Protestversuch der Gynäkologen rechnet Scharmann mit einer hohen Beteiligung an der Aktion. «Bei uns kommen jeden Tag E-Mails ’rein, in denen Fachärzte versichern, dass sie kampfbereit sind.«