Freie Wähler küren Aiwanger zum Spitzenkandidaten

30.6.2018, 14:19 Uhr
Freie Wähler küren Aiwanger zum Spitzenkandidaten

© Stefan Hippel

Auch wenn es immer wieder leises Murren an der einen oder anderen Stelle der Parteibasis darüber gibt, dass Aiwanger am Ende stets alleine entscheidet, in welche Richtung sich die Freien Wähler bewegen – in der kleinen Meistersingerhalle ist an diesem Tag nichts davon zu spüren. Minutenlanger stehender Applaus nach der Grundsatzrede des 47-Jährigen, seine Wahl zum Spitzenkandidaten ist reine Formsache.
Keine Gegenkandidaten, keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen, nach zwei Minuten ist der entscheidende Tagesordnungspunkt abgehakt. Aiwanger wird nach den Landtagswahlen 2008 und 2013 zum dritten Mal das Zugpferd seiner Partei sein.
Die Dankesbekundungen des Niederbayern dauern dann deutlich länger: Der Bundes- und Landesvorsitzende geht durch den Saal, schüttelt jedem der 142 Delegierten die Hand und drückt seiner Lebensgefährtin und Parteifreundin Tanja Schweiger, der Landrätin des Landkreises Regensburg, einen Kuss auf die Wange, während sich die Kameraleute hinter ihm durch die Tischreihen zwängen und seine Charmeoffensive gegenüber der Basis filmen.

„Größenwahnsinnige CSU“

Die Stoßrichtung der Freien Wähler ist klar: „Einen Söder wollen wir ab Herbst nicht alleine weiterregieren lassen“, ruft Hubert Aiwanger in den Saal, am 14. Oktober müsse die absolute Mehrheit der CSU fallen, und die Freien Wähler sollten den Einfluss bekommen, der ihnen zustehe und der auch wichtig sei für Bayern. Man habe glaubwürdigere Konzepte als die Regierungspartei, die sich in Größenwahn und Luftnummern verzettele.
„Wir wollen bei der Landtagswahl ein Ergebnis von 10 plus x holen“, erklärt der stellvertretende Landesvorsitzende Armin Kroder, der als Landrat des Landkreises Nürnberger Land auch für die gute Verankerung der Freien Wähler in der Kommunalpolitik steht. Rund 600 Bürgermeister und über ein Dutzend Landräte stellt die Partei im Freistaat, doch nun will sie endlich die Oppositionsrolle verlassen und mit auf der Regierungsbank im Maximilianeum sitzen.
Und das geht allem Anschein nach nur mit Hubert Aiwanger an der Spitze. Einen „Themenspürhund“ nennt Generalsekretär Michael Piazolo seinen Parteifreund und dankt ihm dafür, dass er unter anderem die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge frühzeitig als wichtiges Thema erkannt hatte. Das nächste große Projekt liegt bereits in der Schublade: Ebenfalls ohne Gegenstimme beschließen die Delegierten, eine Unterschriftensammlung für kostenfreie Kindertagesstätten in ganz Bayern auf den Weg zu bringen. Das Thema werde einschlagen wie eine Bombe, ist sich Aiwanger sicher.
Nach der erfolgreichen Kandidatenkür steht die Absegnung des Wahlprogramms auf der Tagesordnung. Der 40-seitige Entwurf trägt den Titel „Bayerns starke Mitte. Für die Zukunft unserer Heimat“. Über 200 Anträge sind laut Michael Piazolo zu dem Programm eingegangen, mit dem die Freien Wähler die CSU vor sich hertreiben wollen.
Der Erhalt von Krankenhäusern im ländlichen Raum, bezahlbarer Wohnraum in den Großstädten, eine bessere Bezahlung von Hebammen und der Kampf gegen den Lehrermangel sind nur einige Forderungen, die Aiwanger auch zu einer Generalabrechnung mit der CSU nutzt.

„Diese Regierung steuert voll auf den Kollaps zu. Sie werden in sechs Jahren sagen, wir haben 5000 Lehrer zu wenig und wissen nicht, wo wir die hernehmen sollen. Da werden heute die Weichen gestellt oder es wird eben versemmelt“, sagt der frisch gekürte Spitzenkandidat und schreibt sich auf die Fahnen, dass die Politik der Freien Wähler deutlich vorausschauender sei als die der politischen Konkurrenz. Daher sei die Partei im besten Sinne wertkonservativ und löse die Probleme vor der Haustür, „statt teure Pferdeställe für die Kavallerie zu bauen“. Man brauche keine dritte Startbahn, sondern schnelles Internet auf dem Land.
Es gehe darum, das Gute im Freistaat zu bewahren. Scharf greift der Parteichef der Freien Wähler deshalb alle Versuche an, Kliniken, Wohnungen, Energiebeteiligungen und die Trinkwasserversorgung zu privatisieren. „Nur über meine Leiche. Diese Dinge gehören in öffentliche Hand und nicht in die Hand von Spekulanten“, ruft Aiwanger. Ministerpräsident Markus Söder führe einen „Vernichtungsfeldzug gegen das Bayerische Staatseigentum“.

„Keine Hetzer wie die AfD“

Gleichzeitig betont er, dass im Freistaat auch vieles sehr gut laufe. Im Gegensatz zur AfD, die zeitgleich in Augsburg ihren Bundesparteitag abhält, seien die Freien Wähler keine Hetzer und keine Ideologen. Und nach Aiwangers Lesart ist seine Partei, die bei der vergangenen Landtagswahl 9,0 Prozent der Stimmen holte, der einzig denkbare Koalitionspartner der CSU. Er gehe davon aus, dass die FDP erneut den Sprung in den Landtag verfehlen werde.
Erst zum Schluss seiner halbstündigen Rede kommt Aiwanger auf das Thema Flüchtlinge zu sprechen und spricht sich in diesem Zusammenhang für mehr internationale Zusammenarbeit und weniger „bayerische Großkotzigkeit“ aus. Innenminister Horst Seehofer werde scheitern, wenn er meine, das national lösen zu können. Es gehe darum, sich genauso für die Bekämpfung der Flüchtlingsursachen einzusetzen wie für eine konsequente Umsetzung des Rechts in Deutschland.

 

 

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