Freundschaftsdienst für die Türkei?
19.7.2020, 21:36 UhrNach über vier Jahren endet vor dem Oberlandesgericht München der umstrittene Mammutprozess gegen zehn mutmaßliche Mitglieder der türkischen kommunistischen Partei TKP/ML. Mit angeklagt ist ein Nürnberger Mediziner-Paar. Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung hat die Bundesanwaltschaft für alle Angeklagten eine mehrjährige Haftstrafe beantragt.
Nach Überzeugung der Verteidigung hätte es das Millionen Euro teure Verfahren gar nicht geben dürfen. Die TKP/ML, deren militanter Flügel von türkischen Sicherheitsbehörden für mehrere Anschläge auf staatliche Einrichtungen in Ostanatolien verantwortlich gemacht wird, ist in Deutschland nicht verboten und wird weder von der EU noch von den Vereinten Nationen offiziell als Terrororganisation geführt. Die Anklage der Bundesanwaltschaft stützt sich auf Paragraf 129b des Strafgesetzbuches, der die Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland mit Strafe bedroht.
Keinem der zehn Angeklagten wurde darüber hinaus irgendeine auf deutschem Boden begangene Straftat zur Last gelegt. Dennoch sollen unter anderem die Nürnberger Klinikärztin Banu Büyükavci und ihr Lebensgefährte Sinan Aydin laut Antrag der Bundesanwaltschaft für jeweils vier Jahre ins Gefängnis. Da beide fast drei Jahre Untersuchungshaft hinter sich haben, könnten sie allerdings auch im Falle eines Schuldspruchs eventuell auf freiem Fuß bleiben.
Büyükavcis Nürnberger Anwalt Yunus Ziyal mag sich darauf noch nicht verlassen. Er weiß, dass in Staatsschutzverfahren deutsche Gerichte oft sehr restriktiv das Aussetzen von Reststrafen zur Bewährung verweigern. So ist auch das Münchner Gericht im Fall des Hauptangeklagten des TKP/ML-Verfahrens, Müslüm Elma, nicht dem Antrag der Bundesanwaltschaft gefolgt, dessen bereits mehr als fünf Jahre dauernde U-Haft angesichts einer geforderten Strafe von sechs Jahren und neun Monaten zu beenden. Müslüm, der in seiner türkischen Heimat Folter und insgesamt 22 Jahre Haft hinter sich hat, sitzt immer noch im Untersuchungsgefängnis.
Von Beginn des Verfahrens an kritisierten Ziyal und seine Verteidiger-Kollegen, dass der Terrorprozess ein politischer Freundschaftsdienst für die türkische Regierung Recep Tayyip Erdogans sei. Der als Reaktion auf die islamistischen Terroranschläge des 11. September 2001 in den USA geschaffene Paragraf 219b kommt tatsächlich nur zur Anwendung, wenn das Bundesjustizministerium mit einer sogenannten Verfolgungsermächtigung der Bundesanwaltschaft grünes Licht gibt. Ein Staat, der wie die Türkei rechtsstaatliche Grundsätze verletze, hat nach Ansicht der Verteidigung solche Unterstützung nicht verdient.
Über Jahre völlig unbeanstandet
In ihren Plädoyers wiesen die Anwälte darauf hin, dass die Treffen der deutschen Auslandskader der TKP/ML, bei denen Veranstaltungen geplant und Spendensammlungen verabredet wurden, zudem viele Jahre völlig unbeanstandet stattfinden konnten. 2005/2006 kam es dann zu einigen Durchsuchungsaktionen. "Und über Jahre hinweg ist anschließend wieder nichts passiert", sagt Anwalt Ziyal.
Erst 2011/2012 sei "Leben in die Sache gekommen". Damals wurden umfangreiche und, wie Ziyal meint, unangemessene Überwachungsmaßnahmen angeordnet. Das Einfamilienhaus seiner Mandanten in Nürnberg wurde observiert, Festnetz- und Mobiltelefone abgehört, ihr Pkw mit GPS-Sender versehen, bevor dann am 15. April 2015 mit schwer bewaffneten Spezialkräften der Antiterroreinheit GSG 9 der Zugriff erfolgte. Die beiden überraschten Ärzte wurden festgenommen wurden und kamen für mehrere Monate in Isolationshaft.
Seit ihrer Freilassung aus der U-Haft arbeitet Banu Büyükavci, für die sich ein großer Freundes- und Kollegenkreis eingesetzt hatte, wieder als Ärztin in der Psychiatrie des Nürnberger Klinikums. Das Urteil wird für den 28. oder 29. Juli erwartet.
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