Organisation Nihon Hidankyo

Friedensnobelpreis ehrt Hiroshima- und Nagasaki-Überlebende

11.10.2024, 03:32 Uhr
Toshiyuki Mimaki, Präsident von Nihon Hidankyo, reagierte bewegt auf die Bekanntgabe.

© Moe Sasaki/Kyodo News/AP/dpa Toshiyuki Mimaki, Präsident von Nihon Hidankyo, reagierte bewegt auf die Bekanntgabe.

Die japanische Organisation Nihon Hidankyo von Überlebenden der Atomwaffenabwürfe auf die Städte Hiroshima und Nagasaki wird in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Die Graswurzelbewegung erhält den wichtigsten Friedenspreis der Erde für ihre Bemühungen um eine atomwaffenfreie Welt. Auch habe die Organisation durch Zeitzeugen-Aussagen demonstriert, dass solche Waffen nie wieder eingesetzt werden sollten, erklärt das norwegische Nobelkomitee in Oslo. 

Bereits vor sieben Jahren hatte das Komitee den Nobelpreis an eine Organisation vergeben, die sich für nukleare Abrüstung einsetzt, damals die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, kurz Ican. Ican gratulierte den diesjährigen Gewinnern sofort.

Tomoyuki Minomaki, Präsident von Nihon Hidankyo , gehört zu den Zehntausenden Überlebenden der Atombombenabwürfe über Japan.

Tomoyuki Minomaki, Präsident von Nihon Hidankyo , gehört zu den Zehntausenden Überlebenden der Atombombenabwürfe über Japan. © Moe Sasaki/Kyodo News/AP/dpa

Tomoyuki Minomaki, Präsident der japanischen Friedensorganisation, zeigte sich bei einer Pressekonferenz in Hiroshima sehr gerührt über den Preis. "Ein Traum von einem Traum. Es ist unglaublich", rief Minomaki und kniff sich vor Freude weinend in die Wange, als könne er die Nachricht nicht fassen. "Ich möchte weiterhin an die Menschen in der Welt appellieren, die Atomwaffen abzuschaffen und einen dauerhaften Frieden zu erreichen."

Japans neugewählter Regierungschef Shigeru Ishiba zeigte sich ebenfalls erfreut über die Verleihung des Nobelpreises an die Organisation der Atombombenabwürfe. Sie sei "extrem bedeutsam", erklärte Ishiba.

Der Vorsitzende des Nobelkomitees, Jørgen Watne Frydnes, zeigt das Logo der Gewinner-Organisation: eine stilisierte Friedenstaube.

Der Vorsitzende des Nobelkomitees, Jørgen Watne Frydnes, zeigt das Logo der Gewinner-Organisation: eine stilisierte Friedenstaube. © Javad Parsa/NTB/dpa

"In diesem Moment der Menschheitsgeschichte lohnt es sich, uns daran zu erinnern, was Atomwaffen sind: die zerstörerischste Waffe, die die Welt je gesehen hat", sagte der neue Vorsitzende des Nobelkomitees, Jørgen Watne Frydnes. Die heutigen Atomwaffen hätten eine noch viel größere Zerstörungskraft als die, die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. "Sie können Millionen töten und hätten katastrophale Auswirkungen auf das Klima. Ein Atomkrieg könnte unsere Zivilisation zerstören", warnte Frydnes.

Zeitzeugen der Atomwaffenabwürfe 1945

Mit der Auszeichnung von Nihon Hidankyo richtet das Nobelkomitee den Blick der Welt auch auf die im nächsten Jahr anstehenden 80. Jahrestage der Atombombenabwürfe über Japan während des Zweiten Weltkriegs. Die USA hatten die vernichtenden Waffen im August 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Schätzungsweise 120.000 Einwohner wurden bei den beiden Abwürfen getötet, eine ähnlich hohe Zahl starb außerdem in den Folgemonaten und -jahren an Verbrennungen und Strahlungsverletzungen. 

Die ersten Atombomben im Krieg wurden 1945 in Japan abgeworfen. (Archivbild)

Die ersten Atombomben im Krieg wurden 1945 in Japan abgeworfen. (Archivbild) © Uncredited/AP/dpa

Bis heute sind es die einzigen Einsätze von Atomwaffen in einem Krieg gewesen. Seit dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte der Kreml zuletzt jedoch immer wieder gedroht, dass Atomwaffen in dem anhaltenden Konflikt Verwendung finden könnten, sollte sich der russische Staat etwa durch die vom Westen gelieferten Waffen in seiner Existenz bedroht sehen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) betrachtet die Ehrung von Nihon Hidankyo vor diesem Hintergrund auch als wichtiges Zeichen in Richtung von Kremlchef Wladimir Putin. "Gerade in Zeiten, wo aggressive Mächte wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen, ist es umso wichtiger, dass die Welt insgesamt deutlich macht: Frieden bedeutet, dass solche Waffen niemals zum Einsatz kommen", sagte sie, ohne Putin beim Namen zu nennen.

Auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki wurden 1945 Atombomben abgeworfen. (Archivbild)

Auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki wurden 1945 Atombomben abgeworfen. (Archivbild) © Uncredited/AP

Beitrag zum "nuklearen Tabu"

Nihon Hidankyo wurde von Überlebenden aus Hiroshima und Nagasaki gegründet. Diese Zeitzeugen, auch Hibakusha genannt, hätten geholfen, eine weit verbreitete Opposition gegen Atomwaffen auf der ganzen Welt zu erzeugen, würdigte Frydnes.

"Die Hibakusha helfen uns, das Unbeschreibliche zu beschreiben, das Undenkbare zu denken und den unbegreiflichen Schmerz und das Leid, das durch Atomwaffen verursacht wird, zu begreifen", sagte der 39-Jährige. 

Das Nobelkomitee wolle dennoch eine ermutigende Tatsache anerkennen: "Seit fast 80 Jahren ist keine Atomwaffe mehr in Kriegen eingesetzt worden", sagte Frydnes. Die außergewöhnlichen Anstrengungen von Nihon Hidankyo hätten dabei dazu beigetragen, ein "nukleares Tabu" zu etablieren. Dieses Tabu stehe heute jedoch unter Druck, warnte er.

Als am 6. August 1945 die Atombombe in Hiroshima explodierte, blieb in der Gegend nur der Genbaku Dome stehen. Heute ist er das Hiroshima-Friedensdenkmal. (Archivfoto)

Als am 6. August 1945 die Atombombe in Hiroshima explodierte, blieb in der Gegend nur der Genbaku Dome stehen. Heute ist er das Hiroshima-Friedensdenkmal. (Archivfoto) © Michael Kappeler/dpa

Atomwaffenarsenale werden modernisiert 

In der Tat sind die Atommächte der Erde nach Angaben von Friedensforschern seit längerem dabei, ihre Atomwaffenarsenale zu modernisieren und aufzurüsten. Zu diesen Mächten werden die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China sowie Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel gezählt. 

Die Gesamtzahl der Atomwaffen sinkt weltweit zwar, weil die USA und Russland nach und nach alte Sprengköpfe aus der Zeit des Kalten Kriegs abbauen. Dafür beschleunigt sich nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri aber der Trend, dass Atomsprengköpfe einsatzbereit gehalten werden. 

Der Gesamtbestand betrug nach Sipri-Angaben Anfang des Jahres schätzungsweise 12.121 atomare Sprengköpfe, von denen sich etwa 9.585 in militärischen Lagerbeständen für den potenziellen Einsatz befanden. Rund 3.904 dieser Sprengköpfe waren auf Raketen und Flugzeugen befestigt - 60 mehr als ein Jahr zuvor.

Eine Interkontinentalrakete vom Typ Topol wird auf einer Rüstungsmesse in Russland präsentiert.

Eine Interkontinentalrakete vom Typ Topol wird auf einer Rüstungsmesse in Russland präsentiert. © -/YNA/dpa

Sipri-Direktor begrüßt Auszeichnung

Atomwaffen seien zuletzt stärker ins Rampenlicht geraten, sagte Sipri-Direktor Dan Smith der Deutschen Presse-Agentur unter anderem mit Blick auf die russischen Drohungen gegen den Westen. Dass das nukleare Tabu mehr und mehr zu verschwinden scheine, sei eine sehr gefährliche Sache, warnte er. "Wenn Sie wissen wollen, warum das gefährlich ist, dann schauen Sie auf Hiroshima und Nagasaki. Und die Hibakusha erinnern uns daran." Die Auszeichnung von Nihon Hidankyo sei daher eine "intelligente, gut informierte und umsichtige Wahl", sagte Smith. 

Ein Preis fehlt noch

Damit stehen fast alle Nobelpreisträger dieses Jahres fest. In dieser Woche sind in Stockholm bereits die diesjährigen Preisträger in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie und Literatur verkündet worden. Am Montag folgt zum Abschluss noch die Auszeichnung in Wirtschaftswissenschaften, die als einzige nicht auf das Testament des Dynamit-Erfinders Alfred Nobel (1833-1896) zurückgeht, sondern seit Ende der 1960er Jahre von der schwedischen Zentralbank gestiftet wird.

Diese Medaillen erhalten die Gewinner des Friedensnobelpreises.

Diese Medaillen erhalten die Gewinner des Friedensnobelpreises. © Steffen Trumpf/dpa

Feierlich überreicht werden die Nobelpreise allesamt traditionell an Nobels Todestag am 10. Dezember, der Friedensnobelpreis dabei als einziger nicht in Stockholm, sondern in Oslo. Dotiert sind die Auszeichnungen mit einem Preisgeld in Höhe von elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) pro Kategorie.

In Zeiten von Nahostkonflikt, Ukraine-Krieg und Dutzenden weiteren Konflikten in der Welt hat sich diesmal vorab kein klarer Favorit herauskristallisiert. Bei einem Wettbüro lagen zuletzt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der chinesisch-uigurische Regierungskritiker Ilham Tohti und die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja ganz vorne. Dahinter folgen die Staaten Irland, Norwegen und Spanien für ihre koordinierte Anerkennung eines Staates Palästina. Diesen Schritt unternahmen die Länder jedoch erst im Frühsommer, während die Nominierungsfrist für den Nobelpreis bereits am 31. Januar abgelaufen war.

Internationale Organisationen unter Favoriten

Der Direktor des Osloer Friedensforschungsinstituts Prio, Henrik Urdal, hat vor allem internationale Institutionen auf seiner Favoritenliste stehen, etwa das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag.

Beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri kann sich der dortige Direktor Dan Smith vorstellen, dass das Komitee mit Blick auf die momentan sehr angespannte Weltlage auf die Vergabe des diesjährigen Preises verzichten könnte. Das gab es in der Geschichte des Friedensnobelpreises bereits 19 Mal, zuletzt allerdings vor mehr als 50 Jahren.

Im vergangenen Jahr war die Auszeichnung an die Frauenrechtsaktivistin Mohammadi gegangen, die in ihrer iranischen Heimat seit längerem im Gefängnis sitzt. Sie wurde damit "für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle" geehrt.

30 Jahre nach Nobelpreis für führende Palästinenser und Israelis

Seit der ersten Preisvergabe 1901 sind bislang 111 Einzelpersonen und 27 unterschiedliche Organisationen mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden, das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR dabei gleich zweimal und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sogar dreimal.

Im Regelfall bekommt den Friedenspreis eine Persönlichkeit oder eine Organisation alleine zugesprochen, manchmal teilen ihn sich aber auch zwei Preisträger. Erst dreimal wurde die Auszeichnung unter drei Auserwählten aufgeteilt, unter anderem bei der Auszeichnung des damaligen Palästinenserführers Jassir Arafat und der damaligen israelischen Spitzenpolitiker Schimon Peres und Izchak Rabin vor 30 Jahren für ihre Bemühungen um eine Lösung des - derzeit wieder eskalierten - Nahostkonflikts.

In dieser Woche sind bereits die diesjährigen Nobelpreisträger in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie und Literatur verkündet worden. Am Montag folgt zum Abschluss noch die Auszeichnung in Wirtschaftswissenschaften. All diese Nobelpreise werden traditionell in Stockholm vergeben, der Friedensnobelpreis als einziger in Oslo.

Feierlich überreicht werden die Auszeichnungen am 10. Dezember, dem Todestag des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896). Dotiert sind sie mit einem Preisgeld in Höhe von elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) pro Kategorie.

Das Logo der japanischen Organisation Nihon Hidankyo zeigt eine stilisierte Friedenstaube.

Das Logo der japanischen Organisation Nihon Hidankyo zeigt eine stilisierte Friedenstaube. © Javad Parsa/NTB Scanpix/AP/dpa