Für den Übertritt genügt ein einziger Satz
13.09.2007, 00:00 Uhr
«Der Verfassungsschutz führt sicher eine Akte über mich.» Halid Bertz spricht diesen Satz so gelassen aus, als würde er übers Wetter reden. Keine Spur von Angst schwingt in der Stimme des 47-Jährigen mit. Es ist, wie es ist. «Ich rede mit jedem über den Islam», sagt Halid ebenso ruhig und blickt dem Gesprächspartner offen ins Gesicht. «Wenn man das Gefühl hat, von der Wahrheit eingenommen zu sein, will man diese Wahrheit weitergeben.»
Halid gehört zu der Gruppe Menschen, die dieser Tage wie aus dem Nichts als Bedrohung in der öffentlichen Wahrnehmung aufgetaucht ist - zu den Konvertiten. Also zu den Menschen, die sich bewusst für den Wechsel vom Christentum zum Islam entschieden haben. Wie groß diese Gruppe ist, kann niemand genau sagen. Schätzungen sprechen jedoch von 4000 Menschen, die in Deutschland jährlich übertreten.
Als Sohn deutscher Christen wurde Halid 1960 in Berlin geboren, siedelte nach dem Tod des Vaters früh mit der Mutter nach Regensburg um, zog nach dem Hauptschulabschluss nach Nürnberg, lernte Metzger, dann Industriekaufmann - und wurde zum gläubigen Moslem. «Als Kind bin ich in die Kirche gegangen, weil das eben dazugehört hat», erinnert er sich. «Hinterfragt habe ich das nicht.» So richtig spannend fand er die Auseinandersetzung mit Religion erst als junger Mann - nachdem er im Fitnessstudio einen Türken kennengelernt hatte, der sein bester Freund wurde.
Zu wenig gewusst
Der Freund kritisierte die Bibel. Halid wollte das nicht akzeptieren und die Bibel verteidigen. Er stellte aber fest, dass er dafür zu wenig wusste. Ein weiterer Türke schloss sich den diskutierenden Freunden an. Halid begann, sich zu informieren - über die Bibel und den Koran. Er fand immer mehr Positives am Islam. Er traf sich in seiner Freizeit nur noch mit Türken. Irgendwann fragten seine Freunde: «Willst du nicht Moslem werden?» Spontan sagte er Ja. Vor den beiden Freunden als Zeugen bekannte er sich zu Allah. Ein einziger formelhafter Satz genügt für den Übertritt.
Es sei ihm, so erzählt Halid, erst danach bewusst geworden, was gerade passiert war. «Ich habe mich hingekniet und gesagt: Gott, lass’ mich den richtigen Weg gehen - ob nun Christentum oder Islam.» Eine Festigung im Islam habe er erst viel später gespürt; als er viel gelesen hatte, zum Beispiel Fachbücher, die er sich aus Universitätsbibliotheken auslieh.
Er war, so versichert der 47-Jährige, «kein Suchender». Dennoch fand er etwas in seinem neuen Glauben. «Mir gibt der Islam die totale Zufriedenheit zu wissen, warum ich auf der Welt bin», sagt er. «Ich bin auf der Welt, um Gott zu dienen. Ich muss niemandem etwas beweisen. Ich muss dem Leben nicht hinterherhetzen, sondern ich gestalte mein Leben selbst.»
Jugendtreff gegründet
Gott zu dienen - das setzt Halid unter anderem in der Jugendarbeit um. In der Südstadt hat er einen Jugendtreff gegründet. Derzeit ist geschlossen, weil die Räume renoviert werden. Doch normalerweise findet dort jeden Abend eine Gebets- und Austauschstunde statt. Schon früh, so sagt Halid, hätten Jugendliche seinen Rat gesucht. Obwohl er eine Türkin geheiratet hat, kann er selbst kaum Türkisch. Es ist ihm sogar wichtig, über den Islam auf Deutsch zu diskutieren. Nicht nur, dass er damit Offenheit und Transparenz belegen will. «Die Jugendlichen möchten gerne mehr über ihren Glauben sprechen. Doch es fehlen ihnen die deutschen Worte.» Also lehrt er sie diese Worte.
Nicht bei allen Türken kommt Halids Reden über den Islam gut an. Er erträgt die kritischen Blicke mit der Ruhe, die ihn durch sein Leben trägt. Die ihm hilft, mit seiner Arbeitslosigkeit klarzukommen. Die ihm hilft auszuhalten, dass Menschen wie er jetzt plötzlich als Bedrohung gelten. «Mir kann nur passieren, was Gott zulässt. Das Leben ist keine glorreiche Blume, sondern es hält Prüfungen bereit.» Er versteht, dass derzeit Ängste wachsen. Ängste auf beiden Seiten: Die Moslems fühlen sich von den neuen Gesetzesvorschlägen in die Ecke gedrängt. Die Christen fühlen sich von den Islamisten gefährdet.
Zum Thema Bedrohung durch islamistische Terroristen vertritt Halid eine eigene Theorie: Er glaubt nicht, was die Medien verbreiten. Er glaubt zum Beispiel nicht, dass sich die Anschläge vom 11. September 2001 so zugetragen haben, wie es derzeit als feststehend gilt. Gewalt jedoch lehnt der vierfache Vater ab - egal, wofür oder wogegen. «Ich finde im Koran nichts, was sagt, ich darf mir eine Bombe umbinden und andere in die Luft sprengen.»