Gesundheitsminister zu Astrazeneca: Ich würde mich sofort impfen lassen

Roland Englisch

Nürnberger Nachrichten

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17.3.2021, 05:54 Uhr
Klaus Holetschek ist seit Januar Staatsminister für Gesundheit und Pflege in Bayern.

© IMAGO / ZUMA Wire Klaus Holetschek ist seit Januar Staatsminister für Gesundheit und Pflege in Bayern.

Herr Holetschek, Sie sind noch nicht geimpft wie der weit überwiegende Teil der bayerischen Bevölkerung. Würden Sie sich aktuell mit Astrazeneca immunisieren lassen?

Klaus Holetschek: Sofort und ohne zu zögern!

Sie halten den Impfstoff also gar nicht für gefährlich?

Holetschek: Ich bin natürlich kein Mediziner. Aber wenn ich das für mich entscheiden und das Risiko gegen den Nutzen abwägen müsste, würde ich den Nutzen für mich deutlich höher einschätzen, weil auch dieser Impfstoff einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf verhindert. Das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden, ich will da niemandem vorgreifen. Deshalb haben wir auch keine Impfpflicht. Aber für mich ist das eindeutig.

Können Sie dann nachvollziehen, warum der Impfstoff überhaupt gestoppt worden ist?

Holetschek: Das Paul–Ehrlich-Institut ist die Instanz in der Frage der Impfstoffbewertung. Wenn das Institut aufgrund neuer Erkenntnisse den Stopp empfiehlt, muss man das akzeptieren. Deshalb ist die Impfung damit erst einmal ausgesetzt. Der Bundesgesundheitsminister konnte gar nicht anders handeln.

Wie wird es nun weitergehen?

Holetschek: Am Donnerstag wird sich die europäische Arzneimittelbehörde damit beschäftigen. Nach meinem Kenntnisstand schätzt sie den Impfstoff immer noch als gut ein. Das muss jetzt alles vernünftig bewertet und sauber analysiert werden. Aber wir müssen schnell wissen, wie es weitergeht. Die Menschen sind verunsichert. Wir haben in Bayern schon über 270.000 mit Astrazeneca geimpft, wie wir alle wollen natürlich auch sie wissen, wie weitergeht. Zumal dies der Impfstoff nach Biontech ist, von dem wir die größte Menge haben.


EMA vorerst weiter von Astrazeneca überzeugt


Wie viel liegt auf Lager?

Holetschek: Nicht viel, weil wir ihn zügig verimpft haben. Viele haben ihn akzeptiert. Astrazeneca war schon vor dem Stopp nicht hoch angesehen. Das dürfte sich jetzt kaum verbessert.

Wie wollen Sie mit diesem Imageschaden umgehen?

Holetschek: Wir wollen die Hausärzte einbeziehen. Wenn der Impfstoff wieder freigegeben worden sein sollte, könnten die Hausärzte insbesondere Astrazeneca verimpfen. Sie haben ein Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten und können besser erklären und Ängste nehmen.

Viele werden nun sagen, dass sie diesen Impfstoff nicht haben wollen. Gilt die Prämisse noch, dass niemand wählen darf, welches Produkt er bekommt?

Holetschek: Der Impfstoff ist weiter ein knappes Gut. Das hat sich nicht geändert. Diese Prämisse hat sich nicht aufgelöst. Alle drei schützen zuverlässig vor schweren Verläufen.

Warum hat sich Bayern nicht mehr Impfstoff gesichert? Andere Staaten tun das durchaus im Alleingang und kommen besser durch die Krise.

Holetschek: Die Frage ist, warum sich Deutschland nicht mehr gesichert hat. Die Bundesländer verlassen sich hierbei ja auf den Bund. Europa wollte solidarisch sein, das ist zunächst auch vernünftig. Die EU hätte das nur anders aussteuern müssen. Jetzt hängen wir im Folgefehler fest. Der Impfstoff ist knapp, weil zu wenig geordert worden ist. Und wenn er schon knapp ist, wird es nicht einfacher, wenn auch noch einer ausfällt.

Ein verheerendes Bild der Politik.

Holetschek: Die Menschen erwarten, dass die Politik und der Staat das im Griff haben, das stimmt. Wir müssen und werden liefern. Aber in einer komplexen Situation geht das nie ohne Fehler, weil die Aufgabe gewaltig ist. Trotzdem verstehe ich, dass die Menschen sich ärgern, wenn ihr Termin platzt, weil der Impfstoff fehlt.

Was bedeutet das nun für die bayerische Impfstrategie? In zwei Wochen sollten die Hausärzte eigentlich mit einsteigen. Geht das jetzt überhaupt?

Holetschek: Das hängt davon ab, ab wann der Bund den Großhandel bedient. Was über bestimmte Mengen für die Impfzentren geht, kommt über den Großhandel und die Apotheken zu den niedergelassenen Ärzten. Natürlich ist der Impfstoff noch rar. Aber wir wollen in der ersten Aprilwoche mit dem Einstieg beginnen.

Warum halten Sie beide Strukturen überhaupt nebeneinander aufrecht? In den Zentren warten oft Hunderte zugleich auf eine Impfung. Das ist kaum im Sinne der Pandemiebekämpfung. Warum nicht komplett zu den Hausärzten?

Holetschek: Beides hat seine Berechtigung. Wir haben ja schon über 1,6 Millionen Impfdosen verabreicht, vor allem mit Impfstoffen, die nur schwer zu transportieren und zu lagern waren. Das ändert sich mit den neuen Anbietern. Aber wir brauchen alle Säulen, die Impfzentren, die mobilen Teams und jetzt die Ärzte.

Die Klage über die Bürokratie ist groß. Dazu passt, dass sich viele fragen, ob sie sich im Impfzentrum oder beim Arzt anmelden dürfen oder ist beides zulässig?

Holetschek: Wir werden die Ärzte bei der Bürokratie entlasten. Für sie wird es zwei kurze Datenstränge geben, den einen zur kassenärztlichen Vereinigung und den anderen zum Robert-Koch-Institut. Und wer sich beim Arzt impfen lässt, kann jederzeit seine Anmeldung im Impfzentrum zurücknehmen.

Im Moment gilt die Priorisierung. Sie soll in eine Empfehlung umgewandelt werden. Was heißt das genau? Wer entscheidet dann, wer die Impfung bekommt?

Holetschek: Die Priorisierung ist wichtig, so lange der Impfstoff knapp ist. Wir haben die vulnerablen Gruppen in der Prio 1 weitgehend geschützt. Das können wir etwas lockern und fließend in die Prio 2 übergehen. Natürlich gelten für den Arzt die Regeln weiter. Aber wir überlegen, ob wir für Astrazeneca die Beschränkungen ganz aufheben. Dann könnten sich auch jene impfen lassen, die noch nicht an der Reihe wären.

Aus der Lehrerschaft und von den Eltern kommt die Klage, es gebe zu wenig Tests, zu wenig Lehrkräfte seien geimpft. Was ist da dran?

Holetschek: Beim Impfen haben wir die Grund-, Förder- und Sonderschullehrkräfte wie das Personal an den Kitas in die Priorisierung 2 aufgenommen. Das läuft. Und beim Thema Testen - wir haben 65 Millionen Selbsttests bestellt und jede Menge Tests an die Schulen weitergegeben.

Im Moment steigen die Infektionszahlen deutlich, Wir testen aber auch deutlich mehr. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Holetschek: Wir wissen aus den Laboren, dass die Positivrate überdurchschnittlich steigt. Das zeigt, dass sich wieder mehr Menschen mit dem Virus infizieren.

Trotzdem geht doch ein Teil darauf zurück, dass wir das Dunkelfeld besser ausleuchten. Worin liegt da der Vorteil, wenn deshalb nur die Zahlen steigen und wir wieder schließen müssen?

Holetschek: Wenn wir das Dunkelfeld ausleuchten, können wir versteckte Infektionsketten aufdecken und unterbrechen. Wir können mit einem engen Testregime besser gegen die Pandemie angehen. Dazu gehören auch die neuen, schnelleren und einfacheren Tests.

Söder hat erklärt, er sei pessimistisch, was Ostern angeht. Steuern wir gerade auf den dritten Lockdown zu?

Holetschek: Wenn ich mir die Zahlen anschaue, sehen wir deutlich den Anstieg der Fallzahlen. Das müssen wir natürlich im Auge behalten und vorsichtig agieren. Wir erleben mit der Mutante gerade die Pandemie in der Pandemie. Das ist kritisch, durchaus.

Woraus speist sich dann sein Optimismus, dass wir Pfingsten über den Berg sind?

Holetschek: Der Ministerpräsident hat das auf Urlaub und ähnliches bezogen. Aber wir werden mit dem Impfen weiterkommen, auch wenn es im Moment stockt. Es werden weitere Impfstoffe zugelassen, andere liefern mehr. Wir sehen unser Ziel als erreichbar an.

Also ist das mit Astrazeneca ein Rückschlag aber nicht das Ende aller Tage?

Holetschek: Nein, das wäre schlimm. Wir haben Johnson und Johnson, wir haben weitere Impfstoffe, die in der Prüfung sind. Es gibt sehr gute Perspektiven. Wir denken in alle Richtungen weiter. Und wir kommen voran.

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