Hat Christian Wulff den Ehrensold verdient?
2.3.2012, 08:00 Uhr199.000 Euro jährlich, bis ans Lebensende. Der Ehrensold für den zurückgetretenen Bundespräsidenten sorgt bei Bürgern, Politikern und Medien für hitzige Diskussionen: Ist so viel Geld für Christian Wulff wirklich gerecht? Die NZ fragte nach bei Dr. Rudolf Kötter, leitender akademischer Direktor des Zentralinstituts für Angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation der Friedrich-Alexander Universität Erlangen.
NZ: Laut Umfragen findet die große Mehrheit der Deutschen den Ehrensold für Christian Wulff nicht gerechtfertigt. Können Sie die Ablehnung nachvollziehen?
Rudolf Kötter: Bedingt. Die noch frische Erinnerung an die Skandale sorgt für eine gewisse emotionale Aufwallung. Man sieht, dass Christian Wulff nach relativ kurzer Zeit aus dem Amt scheidet – und daran nicht ganz unschuldig ist – und eine ansehnliche Abfindung bekommt. Grundsätzlich ist die Bewilligung des Ehrensoldes eine politische Entscheidung. Dahinter steht die Frage, was uns das Amt des Bundespräsidenten wert ist. Diese Wertschätzung schlägt sich dann auch in Fragen des finanziellen Ausgleichs nieder.
NZ: Viele Kritiker beklagen die Unverhältnismäßigkeit der erbrachten Leistung und der gewährten Versoldung.
Kötter: Fast 200.000 Euro sind für jemanden mit einem Einkommen von Tausend Euro viel Geld, aber der Bundespräsident ist eben kein Lagerarbeiter und muss anders behandelt werden. Die Frage der Verhältnismäßigkeit entscheidet sich nicht bei den Einkommensunterschieden von Herrn Wulff und „Otto Normalverbraucher“, sondern danach, ob das Entgelt der Tätigkeit angemessen ist oder nicht. Diejenigen, die jetzt Bedenken äußern, haben wahrscheinlich nichts dagegen, dass ihre Lieblingsfußballspieler Beträge einstreichen, die sie auch nie erreichen werden.
NZ: Muss die Regelung zum Ehrensold überarbeitet werden?
Kötter: Es kann sein, dass man ursprünglich an solche Fälle wie bei Christian Wulff nicht gedacht hat. Dann muss man jetzt eben zahlen. Der Zeitpunkt ist gekommen, die Bedingungen, unter denen der Ehrensold ausgezahlt wird, schärfer zu fassen.
NZ: Die gesetzliche Verpflichtung, für den Bundespräsidenten zu sorgen, ist gegeben. Existiert auch eine moralische Verpflichtung?
Kötter: Eine Art Alimentationsverpflichtung ist gegeben, wenn jemand das Amt im Interesse der Allgemeinheit so lange ausgeführt hat, dass er im Anschluss keine adäquate Tätigkeit ausüben kann. Im Fall Wulff sieht es anders aus. Für die Übergangszeit, die er braucht, um einen Job zu finden, sollte er versorgt werden. Danach sollte er seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten können.
NZ: Ist es vorstellbar, dass der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff ins Arbeitsleben zurückkehrt?
Kötter: Warum nicht? Wulff ist Jurist, kann in einer Kanzlei oder in einem Unternehmen unterkommen.
NZ: Christian Wulff hängt jetzt der Ruf eines Schnäppchenjägers nach. Altbundespräsident Walter Scheel fordert sogar einen Verzicht auf den Ehrensold.
Kötter: Das ist eine Frage der Ethik. Es geht darum, wie Christian Wulff sich selbst sieht und wahrgenommen werden will. Wenn er es recht bedenkt, könnte er meiner Meinung nach zu dem Urteil kommen, dass er aufgrund der Begleitumstände keinen Anspruch auf den Ehrensold hat. Selbst wenn ihm ein Verzicht nach den Buchstaben des Gesetzes nicht möglich sein sollte, gäbe es symbolische Lösungen, beispielsweise durch die Unterstützung einer Stiftung.
NZ: Hat das Amt des Bundespräsidenten als moralische Instanz durch die Affäre Wulff Schaden genommen?
Kötter: Nein, das Amt als solches nicht. Wenn etwas beschädigt ist, dann das Ansehen von Christian Wulff.
NZ: Die Bewilligung des Ehrensoldes durch Wulffs Vertrauten und ehemaligen Mitarbeiter Lothar Hagebölling hinterlässt bei vielen ein „Geschmäckle“.
Kötter: Dem Betroffenen obliegt diese Entscheidung, er musste sie daher treffen. Er konnte sie nicht aus Befangenheit abgeben. Es wird sicherlich geprüft, ob die Beurteilung juristisch korrekt getroffen wurde.
NZ: Hätte Christian Wulff Berufliches und Privates besser trennen können und müssen?
Kötter: Auf jeden Fall. Es gibt überhaupt keinen Zwang, sich so hofieren zu lassen, auch wenn man im politischen Umfeld viel mit Leuten aus der Wirtschaft zu tun hat. Die meisten Politiker kennen diese Grenze und halten sie hoffentlich ein.
NZ: Was erwarten Sie sich vom designierten Bundespräsidenten Joachim Gauck?
Kötter: Ich kann nur hoffen, dass er gegen solche Anfechtungen gefeit ist und solchen Versuchungen zu widerstehen weiß.
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