Hebamme – ein Beruf ohne Zukunft?

23.07.2010, 00:00 Uhr
Hebamme – ein Beruf ohne Zukunft?

© Harald Sippel

Die Eltern nicken dankbar, von Studnitz lächelt, macht einen Eintrag in ihr Notizheft. Ab und an wandert ihr Blick unauffällig zu ihrem Handy, das in Sichtweite liegt. Eine ihrer Gebärenden ist schon seit zehn Tagen überfällig, von Studnitz muss jederzeit rufbereit sein. „In so einer Phase geht man abends auch nicht ins Kino oder ins Theater. Aber das gehört eben auch dazu.“

Kristina von Studnitz ist Hebamme mit Leib und Seele. Sie war schon fasziniert von diesem Beruf, seit sie als Kind in der Sesamstraße mal einen Beitrag über eine Geburt gesehen hat. Sie ist Mitarbeiterin des Hebammenhauses Nürnberg. Die 1990 gegründete Einrichtung war das erste Hebammenhaus Bayerns: Frauen können hier ambulant entbinden, auch Hausgeburten führen von Studnitz und die Kolleginnen – allesamt freiberufliche Hebammen – durch.

Die Frage ist nur, wie lange noch. Denn die 43-Jährige muss kämpfen – um den Fortbestand ihrer Berufsgruppe, und um ihre Existenz als freiberufliche Geburtshelferin. Zum

1. Juli sind die Beiträge der Haftpflichtversicherung in der Geburtsmedizin von 2370 auf 3689 Euro pro Jahr erhöht worden. Und das bei einem durchschnittlichen Monatsverdienst, der bei selbständigen Hebammen gerade mal bei 1180 Euro liegt.

„Was die Schadenssummen angeht, haben wir fast schon amerikanische Verhältnisse erreicht“, meint von Studnitz. Hinzu komme die lange Haftbarkeit. 30 Jahre muss eine Hebamme für etwaige Folgeschäden einer Geburt aufkommen.

Kristina von Studnitz betreut fünf bis zehn Geburten pro Jahr, mehr schafft die Nürnbergerin, die selbst vierfache Mutter ist, zeitlich einfach nicht. „Dafür gibt es insgesamt 2000 Euro, das deckt die Haftpflicht also noch lange nicht“, sagt sie. Zum Glück könne sie sich mit den Vor- und Nachsorgemaßnahmen über Wasser halten.

Von Studnitz kann es durchaus nachvollziehen, dass sich viele ihrer Kolleginnen allmählich aus der Geburtshilfe verabschieden. Schon jetzt bietet nur noch ein Drittel der rund 18000 Hebammen in Deutschland Geburtshilfe an. „Und viele weitere werden in den kommenden Monaten aussteigen“, glaubt Nitya Runte. Sie ist Mitbegründerin der neuen Initiative „Hebammen für Deutschland“. Wenn sich künftig weder an den hohen Versicherungsprämien noch an den geringen Gebührensätzen für ihre Zunft etwas ändert, sieht sie schlimme Folgen: „Das ist das Aus für die freie Wahl des Geburtsortes, eine selbstbestimmte Geburt ist dann nicht mehr gegeben“, sagt sie. Weite Anfahrtswege, nur noch große Geburtszentren, Massenabfertigung im Kreißsaal, das sei dann unausweichlich. „In letzter Konsequenz wird es zu Versorgungsengpässen kommen.“

Hebammen gehörten freilich noch nie zu den Berufen, mit denen sich eine goldene Nase verdienen ließ. Beispiel Beleggeburten: 240 Euro rechnet eine Hebamme pauschal ab, wenn sie die von ihr betreute Frau zur Entbindung in ein Krankenhaus ihrer Wahl begleitet, selbst wenn sie zehn oder mehr Stunden vor Ort ist. „Es ist ein Beruf der Berufung, den die Frauen mit viel Herz ausüben“, sagt Heike Giering, die zweite Landesvorsitzende der bayerischen Hebammen. „Wer sich für den Beruf entscheidet, der tut das vor allem aus Idealismus.“ Doch auch die größte Genügsamkeit stößt irgendwann an Grenzen. So formiert sich seit einiger Zeit ein lauter Protest: Gegen die zunehmende Zentralisierung der Geburten und für eine bessere Anerkennung ihrer Arbeit. Vor allem aber kämpfen die Hebammen für ihre Klientel: „Die Frauen müssen auch weiterhin das Recht haben, selbst zu entscheiden, wo sie entbinden können“, sagt Giering.

Einen ersten Teilerfolg hat es Mitte Juni gegeben. Mehr als 180000 Unterschriften konnten die Hebammen sammeln, und wurden sogar zur Anhörung vor den Petitionsausschuss des Bundestages geladen. Das Ergebnis, das bei anschließenden Gesprächen zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und Hebammenverbänden erzielt wurde, bezeichnen nicht wenige allerdings als „schallende Ohrfeige“: Acht Euro mehr für Beleggeburten und 100 Euro mehr für eine Hausgeburt – für viele ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Beim GKV-Spitzenverband heißt es auf NZ-Nachfrage dazu: „Es hat eine Einigung gegeben zwischen den Hebammenverbänden und den Kassen. Daher konnte man davon ausgehen, dass die Hebammen mit der vereinbarten Lösung zufrieden sind.“

Sind sie jedoch bei weitem nicht. Deshalb wollen sie weiterkämpfen, wollen politische Entscheidungsträger erreichen, wollen um mehr Unterstützung auch bei den Beleg-Häusern werben, wollen mit Mahnwachen auf ihre Situation aufmerksam machen. Es wird noch ein langer Kampf, doch sie wollen ihn bestreiten. „Das ist ein wunderschöner Beruf“, findet Kristina von Studnitz. „Er darf einfach nicht aussterben.“

Die Hebamme erklärt Antoniya Alexandrova gerade die korrekte Handhabung der Milchpumpe. Dann verabschiedet sie sich für heute, fünf Frauen warten noch auf ihren Besuch. Mindestens – denn jeden Moment kann das Handy klingeln, dann ist der Zeitplan erst einmal über den Haufen geworfen.

Von Studnitz und ihre Kolleginnen vom Hebammenhaus wollen alles versuchen, um auch künftig Geburtshilfe anbieten zu können. Allein, ob sie es auf lange Sicht schaffen werden, bleibt in der Schwebe. „Wir haben eben keine Lobby“, sagt von Studnitz. „Jeder braucht uns, aber nur ein- bis zweimal im Leben.“