Immer mehr Radfahrer: Städte müssen umplanen
4.2.2021, 11:59 UhrFahrradlobbyisten, Verkehrsplaner und Kommunalpolitiker sehen das Thema unterschiedlich. Für den Verkehrswissenschaftler Klaus Bogenberger von der TU München hat nicht nur die Corona-Pandemie alles verändert. Der stetig wachsende Anteil an Elektrorädern sorgt seiner Ansicht nach dafür, das auch längere Strecken im Alltag kein Problem mehr sind. Noch sei das Fahrrad "saisonal und wetterabhängig". Würden die Städte im Winter auch die Radwege räumen und pflegen, ließe sich der Anteil der Räder am Verkehr in der Stadt schnell steigern. "Nur wenn wir in die Infrastruktur investieren", sagt Bogenberger, "kommen wir voran."
Dankmar Alrutz stimmt zu. Der Hannoveraner hat sich auf Verkehrsplanung spezialisiert. In den Ballungsräumen, sagt er, fehle es an Parkplätzen für Räder und an geeigneten Radwegen. Der Trend gehe zu E-Bikes und zu Lastenrädern; die einen sind schneller, die anderen breiter als das, was bisher unterwegs war. "Die Gefahr von Fehlinvestitionen ist groß, wenn wir die alten Maßstäbe ansetzen." Wollen Städte und Gemeinden die Fahrradmobilität fördern, gibt er ihnen eine Rechnung an die Hand: "10 bis 20 Euro pro Einwohner und Jahr, dann wird die Stadt tatsächlich fahrradfreundlich."
Doch was in den Städten einigermaßen funktioniert, die immerhin über ein Radwegenetz verfügen, lässt am Land zu wünschen übrig. Noch immer sei mehr als die Hälfte der Bundesstraßen im Freistaat ohne Radweg, sagt Bernadette Felsch vom ADFC Bayern. Bei den Staatsstraßen sind es nach ihren Angaben drei viertel. Oft genug behelfen sich Gemeinden, indem sie die Fußwege für Radfahrer freigeben. "Da sind die Konflikte programmiert", sagt Felsch.
Zu kompliziert
Dass Bayern ein Radwegeprogramm 2025 aufgelegt hat mit dem Ziel, den Anteil des Fahrrads am Verkehr zu verdoppeln, findet Felsch im Prinzip gut, "nur steht da nirgendwo, wie das gelingen soll". Aus ihrer Sicht fehlt es an vielen Stellen. So gebe es im Bahnsystem "mehr als tausend Personenhalte", sagt sie. "Aber nicht einmal zehn sind mit Radparkhäusern ausgestattet." Das liegt weniger an den Kommunen. 83 haben sich bereits der AG fahrradfreundliche Kommunen angeschlossen. "Das ist angekommen als Thema", sagt Geschäftsführerin Sarah Guttenberger. Oft genug scheiterten sie aber an den komplizierten Regularien, etwa im Kampf um Fahrradparkplätze auf dem Bahngelände. "Andere Bundesländer sind da wesentlich weiter", sagt Guttenberger.
Andere Bundesländer geben dem Thema mehr Gewicht mit eigenen Radbeauftragten und Koordinatoren. In Bayern, sagt Ulrich Siberg, Bundesvorsitzender des ADFC, gebe es beim Verkehrsministerium "nur drei Stellen für ganz Bayern. Das ist zu wenig." Siberg fürchtet, dass sich die Diskussion zu sehr verengt. Im Moment konzentriere sich alles auf die radfahrende Mitte. "Wir müssen aber alle im Blick haben, den Achtjährigen ebenso wie die 88-Jährige."
Im Alltag zeigt sich nach Meinung der Fachleute, dass gut gemeint nicht zwingend gut gemacht ist. Zwar weisen Städte und Gemeinden immer mehr Radwege aus. Doch dabei verlieren sie wesentliche Dinge aus dem Blick. Häufig geraten Auto- und Radfahrer aneinander, weil sich ihre Wege überschneiden, Kreuzungen unübersichtlich sind, Parkplätze hinter den Radwegen liegen oder Autos den Blick auf die Radwege verstellen.
Hier können Erlanger Radler ihr Fahrrad sicher parken.
Ein Konflikt, der sich verschärfen dürfte. "Wir erleben einen Verteilungskampf um die Flächen", sagt Wissenschaftler Klaus Bogenberger. "Der Platz in den Städten ist begrenzt." Nicht nur er fordert eine Grundsatzentscheidung, wohin die Reise gehen soll. Mahner wie Georg Etscheit sind da in der Minderheit. Der Münchner Autor und passionierte Radler hält von einem Ausbau der Infrastruktur wenig. "Wir dürfen den Fehler der 60er Jahre nicht wiederholen", sagt er. Damals sei die autogerechte Stadt das absolute Ziel gewesen. "Jetzt wollen wir die fahrradgerechte Stadt." Auch das sei falsch.
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