Nahost
Israel stoppt nach Waffenruhe-Ende Einfuhren in Gazastreifen
02.03.2025, 00:43 Uhr
Israel setzt nach Ablauf der ersten Phase einer Waffenruhe die islamistische Hamas mit einem vollständigen Stopp der Hilfslieferungen in den Gazastreifen unter Druck. Regierungschef Benjamin Netanjahu bekräftigte bei einer Kabinettssitzung, er habe dies angesichts der Weigerung der Hamas beschlossen, einen US-Vorschlag zur Verlängerung der ersten Phase bis in den nächsten Monat zu akzeptieren. Die Hamas warf Netanjahu "Erpressung" vor.
"Von heute Morgen an wird jegliche Einfuhr von Waren und Lieferungen in den Gazastreifen gestoppt", hieß es zuvor in einer Mitteilung von Netanjahus Büro. "Es wird keine kostenlosen Mahlzeiten geben", sagte Netanjahu dann bei der Sitzung seiner Regierung. "Wenn die Hamas glaubt, es sei möglich, die Waffenruhe fortzusetzen oder die Bedingungen der ersten Phase zu genießen, ohne dass wir Geiseln zurückbekommen, irrt sie sich gewaltig", sagte der Regierungschef. Sollte die Hamas auf ihrer Position beharren, werde dies "weitere Konsequenzen" haben.
Die Hamas hat nach israelischen Informationen noch 24 Geiseln und 35 Leichen von Verschleppten in ihrer Gewalt.
Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich lobte Netanjanhus Entscheidung. Er forderte, man müsse die "Tore zur Hölle" nun "so schnell und tödlich wie möglich für unseren grausamen Feind öffnen, bis zum totalen Sieg".
Die rund zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens leben bereits unter prekären Umständen. Zum Lieferstopp sagte Norwegens Außenminister Espen Barth Eide im Rundfunksender NRK: "Das wird enorme Folgen haben, denn auch wenn in Gaza nicht mehr bombardiert wird, ist die humanitäre Lage immer noch sehr schwierig."
Die Hamas spricht von "skrupelloser Erpressung"
Der Einfuhrstopp erfolgt zum Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan. Die Hamas warf Netanjahu vor, gegen die Waffenruhe-Vereinbarung zu verstoßen. Der Stopp humanitärer Hilfslieferungen sei "skrupellose Erpressung, ein Kriegsverbrechen und ein schwerwiegender Bruch des Abkommens", hieß es in einer Telegram-Mitteilung der Terrororganisation.
Die Vermittler - neben Katar und Ägypten auch die USA - und die internationale Gemeinschaft müssten Druck auf Israel ausüben, um seine "repressiven und unmoralischen Maßnahmen" gegen die Menschen im Gazastreifen zu beenden. Die israelischen Geiseln könnten nur durch die sofortige Aufnahme von Verhandlungen über die zweite Phase der Vereinbarung freikommen, hieß es.
Diese zweite Phase des dreistufigen Abkommens sieht eine Freilassung der verbliebenen Geiseln im Gegenzug für ein dauerhaftes Ende des Krieges vor. Israel beharrt jedoch auf dem Kriegsziel einer völligen Zerstörung der Hamas. Laut israelischen Medienberichten trainiert die Armee des Landes bereits intensiv für einen möglichen Wiederbeginn des Krieges im Gazastreifen.
Bei neuen israelischen Angriffen im Gazastreifen wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde vier Menschen getötet. Die israelische Armee teilte mit, mehrere verdächtige Personen hätten sich israelischen Truppen im Norden des Gazastreifens genähert. Sie seien dabei beobachtet worden, wie sie einen Sprengsatz in dem Gebiet gelegt hätten. "Um die Bedrohung zu beseitigen, hat die israelische Luftwaffe die Verdächtigen angegriffen", hieß es weiter.

Israel stimmt US-Vorschlag für weitere Waffenruhe zu
In der Nacht hatte Israel laut eigenen Angaben einen Vorschlag des US-Sondergesandten Steve Witkoff zur Fortsetzung der Waffenruhe bis Mitte April im Gegenzug für die Übergabe potenziell aller verbliebenen Geiseln gebilligt. Die Hamas lehne den Plan bislang ab, hieß es in einer nächtlichen Mitteilung von Netanjahus Büro. Sollte die Hamas ihre Position ändern, werde Israel unverzüglich Verhandlungen über alle Einzelheiten des Plans aufnehmen.
Witkoff habe den Rahmen für eine Verlängerung der Waffenruhe vorgeschlagen, nachdem er den Eindruck gewonnen habe, dass es derzeit keine Möglichkeit gebe, die Positionen beider Seiten zur Beendigung des Krieges zu überbrücken, hieß es in der Mitteilung von Netanjahus Büro. Es sei mehr Zeit für Gespräche über einen dauerhaften Waffenstillstand notwendig.
Angehörige von Geiseln kritisieren Netanjahu
Die Mutter zweier entführter Brüder, von denen einer freigelassen worden war, kritisierte die Entscheidung Netanjahus. "Jedes Mal, wenn man die Hilfslieferungen stoppt, stoppt man das Wenige, was die Geiseln bekommen", sagte sie dem israelischen Nachrichtenportal "ynet".
Seit Beginn der Waffenruhe am 19. Januar waren wieder mehr Hilfsgüter in den abgeriegelten Küstenstreifen gekommen. Der von Israel jetzt verhängte Einfuhrstopp könnte dramatische Folgen nicht nur für die palästinensische Zivilbevölkerung, sondern auch für die israelischen Geiseln haben.
Auslöser des Krieges war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen am 7. Oktober 2023 in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt hatten. Auf israelischer Seite wurden dabei mehr als 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt. Seither wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 48.300 Menschen im Gazastreifen getötet. Die unabhängig nicht überprüfbaren Zahlen unterscheiden nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.
