Kampf um Stromautobahn: Punktsieg für die Trassen-Gegner

5.2.2014, 06:00 Uhr
Im Kampf um die Stromautobahn haben die Gegner der "Monster-Trassen" einen ersten Punktsieg eingefahren.

© dpa Im Kampf um die Stromautobahn haben die Gegner der "Monster-Trassen" einen ersten Punktsieg eingefahren.

„Diese Trasse wird nicht gebaut.“ Helmut Himmler (SPD), Bürgermeister der Gemeinde Berg, spricht diesen Satz nicht mit einem Ausrufezeichen, sondern mit tiefer Überzeugung. „Ich war damals in Wackersdorf dabei“: Himmler erinnert an den Widerstand der Bevölkerung gegen die Wiederaufbereitungsanlage. Er sieht Parallelen zu diesem Konflikt und verweist auf den Stolz der Oberpfälzer, die sich nicht überrumpeln lassen. Tatsächlich wurde auch der Protest auf der Info-Veranstaltung des Netzbetreibers in Nürnberg von einer Initiative aus der Oberpfalz angeführt; die Gruppe „Trassenwahn“ stammt aus Berg und den Nachbargemeinden.

„Diese Obrigkeitsstaatlichkeit, das läuft nicht mehr“, sagt Himmler. „Eine Freilandleitung ist der Bevölkerung nicht vermittelbar.“ Er setzt deshalb auf eine Erdverkabelung – falls die Stromleitung denn überhaupt gebraucht werde. „Bislang habe ich nur Behauptungen gehört. Die Politik muss zweifelsfrei erklären, warum die Passage erforderlich ist.“ Gemeinsam mit anderen Kommunen aus dem Landkreis Neumarkt wurde eine Interessengemeinschaft gegründet, die sich bereits an den Ministerpräsidenten und die zuständigen Abgeordneten gewandt hat: „Wir haben den Druck aus der Bevölkerung weitergegeben. Politiker sind Hasenfüße, wenn die Bürger selbstbewusst auftreten.“ Dies gilt besonders in Wahlkampfzeiten.

Kampf um Stromautobahn: Punktsieg für die Trassen-Gegner

© NN-Infografik

Seehofers Reaktion auf die Proteste nennt er ein Stück aus dem Tollhaus: Zuerst habe die Bayerische Regierung allen Planungen zugestimmt. „In Kreuth hat Ilse Aigner gesagt, dass die Trasse für die Energiewende unverzichtbar sei – und einen Tag später meint Seehofer, er will die Notwendigkeit überprüfen.“ Nun fordert der Regierungschef sogar, die Planungen solange auf Eis zu legen.

Himmler befürchtet, dass die Energiewende bei diesem Chaos an die Wand gefahren werde und dann die Forderung nach längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke komme. Er sieht „gewaltige Kapitalinteressen“ im Spiel und misstraut auch der bisherigen Begründung, die Trasse solle Windenergie aus dem Norden nach Bayern bringen: „Das wird nur marginal der Fall sein, es geht wahrscheinlich eher um billige Braunkohle aus dem Osten!“

Lurche haben eine bessere Lobby

Auch Armin Kroder (FW), Landrat im Nürnberger Land, meint, dass es „im doppelten Sinne“ um die Kohle geht, also um Profite und um Kohlestrom. Er fordert, die Gleichstrompassage durch regional erzeugte Energie überflüssig zu machen. Für diesen Weg sah er im Energiekonzept des Freistaates von 2011 gute Ansätze – die auch Seehofer wiederzuentdecken scheint. Falls die Trasse doch nicht zu verhindern sei, wünscht sich Kroder einen unterirdischen Verlauf. Und wo auch dies nicht möglich sei, müsse es einen angemessenen Abstand zur Wohnbebauung geben – bislang existiert dazu gar keine Vorschrift. Der Bürgermeister von Pegnitz, Uwe Raab (SPD), hat einen Vorschlag parat: Der Abstand solle das Zehnfache der Höhe der Masten betragen – wie Seehofer es bei Windrädern vorschreibt. Raab lehnt aber eine Leitung ab, von der die Region überhaupt nicht profitiert: „Der Strom geht ja direkt in den Süden. Nordbayern hat bei der regenerativen Energie seine Hausaufgaben gemacht, Südbayern nicht. Damit die Landschaft im reichen Süden nicht mit Windrädern verspargelt wird, wird unsere Landschaft mit Strommasten verdrahtet.“

Raab regt an, insbesondere die Gaskraftwerke in Südbayern auszubauen, um die Strompassage überflüssig zu machen. In einem offenen Brief an die Abgeordneten in Bund und Land bezeichnet er die geplante Trasse als Damoklessschwert und kündigt im Namen der betroffenen Bürger und Kommunen an: „Wir ziehen den Kopf nicht ein!“

Raab stellt zudem die Kriterien für den Trassenverlauf in Frage. Bei den sogenannten Raumwiderständen scheinen Vogelschutzgebiete und Truppenübungsplätze einen höheren Schutz zu genießen als der Mensch. Auch der Altdorfer Bürgermeister Erich Odörfer (CSU) kritisiert, dass der Reichswald offenbar schützenswerter sei als Wohngebiete. „Was ist denn wichtiger, ein Mensch oder ein Lurch?“

Mit ihrem Eindruck, dass die Natur eine bessere Lobby habe, stehen die Bürgermeister nicht alleine da: Dies findet auch Dirk Uther, Projektleiter des mit dem Trassenbau beauftragten Netzbetreibers Amprion. Immer wieder komme man mit Stromleitungen näher an Wohngebiete heran, als man eigentlich wolle – weil das mitunter leichter durchsetzbar sei als eine Passage durch unberührte Landschaften.

„Es ist aber in Deutschland überall schwer, eine Stromtrasse zu bauen“, sagt Uther. Er bittet darum, beim aktuellen Trassenkorridorvorschlag das Wort Vorschlag zu beachten. „Ich gehe immer gerne Wetten ein – aber auf diesen Verlauf würde ich noch nicht setzen. Das ist eine sehr grobe Erhebung, wir haben eine Fülle von Arbeit vor uns.“ Überall können Hindernisse auftreten. Er berichtet von einer anderen Trasse, auf deren Route einige Teiche lagen; sie entpuppten sich als jahrtausendealte Wasseranlage, die zum Weltkulturerbe ernannt werden könnte.

Zudem wurden laut Uther noch nicht alle kommunalen Planungen entlang der Route berücksichtigt. Wenn eine Stadt gerade dabei sei, dort ein Neubaugebiet auszuweisen, könnte es ein Wettrennen geben: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Die Pläne müssten aber schon auf dem Tisch liegen und dürften keine Reaktion auf die Trasse sein – reine Verhinderungsprojekte sind unzulässig. Eine unterirdische Leitung kann er sich grundsätzlich vorstellen: „Wenn sich die Bürgermeister in Berlin dafür stark machen, kann die gesetzliche Regelung dafür kommen.“

Die Bürgermeister wollen die Strompassage aber lieber komplett verhindern, denn die Bevölkerung läuft Sturm. Diese Wut und Wucht hat nicht nur Seehofer überrascht, sondern auch die Netzbetreiber. So sagt Amprion-Sprecherin Joëlle Bouillon, dass sie Widerstand gewohnt sei – aber die Heftigkeit, mit der hier protestiert werde, habe sie noch nie erlebt. Am Bau der Trasse hält Amprion dennoch fest, ungeachtet der Proteste und der von Bayerns Staatsregierung gewünschten Planungspause.

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