Stiftung Warentest
Katastrophen-Warn-Apps: Eine reicht nicht aus - gefährliche Lücke beim iPhone
05.08.2021, 11:41 Uhr
Extreme Regenfälle, Sturzfluten, Explosionen, Großbrände, Bombenfunde, Amokläufe – die Liste möglicher Gefahren für die Bevölkerung ist lang. Hochwasser-Katastrophen wie die im Ahrtal lassen sich vor ihrem Eintritt voraussagen, andere Ereignisse wie die Explosion in einer Leverkusener Müllverbrennungsanlage Ende Juli erfordern eine schnelle Information der Bevölkerung im Nachhinein.
Bislang setzt man für die Warnung der Bevölkerung in Deutschland unter anderem auf Medien sowie freiwillige Apps. Doch was können die im Extremfall wirklich leisten? Stiftung Warentest hat dazu fünf Apps jeweils in der Android- und iOS-Variante untersucht. "Ein vollständiger Test der Apps ist nicht möglich, da wir Warnungen, die die Sicherheit der Bevölkerung betreffen, weder produzieren wollen noch dürfen", heißt es dazu aber einschränkend in der veröffentlichten Mitteilung.
Nina: Was kann die offizielle Warn-App des Bundes?
Die App Nina wird vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) seit 2015 angeboten und wird derzeit laut BBK von rund zehn Millionen Menschen genutzt. Da in Deutschland der Katastrophenschutz aber Aufgabe der Länder und nicht des Bundes ist, hat das BBK nicht die Oberhand, sondern ist nur unterstützend tätigt.
Deswegen verschicken zunächst die Behörden vor Ort Warnmeldungen über das Modulare Warnsystem (MoWaS), die dann aber in der Nina-App angezeigt werden. "Auch Warnungen anderer App-Betreiber wie Biwapp und Katwarn würden, so sei es vertraglich geregelt, ebenfalls in Nina angezeigt", teilte eine BBK-Sprecherin laut Stiftung Warentest mit.
Zudem würden ab einer gewissen Warnstufe auch Wettermeldungen des Deutschen Wetterdienstes sowie Hochwassermeldungen der Bundesländer übernommen. Zusätzlich zeigt Nina aktuelle Corona-Regeln sowie Verhaltenstipps für den Katastrophenfall an, heißt es in der Mitteilung der deutschen Verbraucherorganisation.
Katwarn: Was kann die Pionier-App?
Katwarn ist bereits seit 2011 verfügbar und war damit die erste Katastrophen-Warn-App in Deutschland. Entwickelt wurde sie vom Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme im Auftrag der Versicherungswirtschaft.
Kommunen können die App und das dahinterliegende System lizenzieren und auf diese Weise ihre Meldungen verbreiten, schreibt Stiftung Warentest. Neben diesen Meldungen zeigt Katwarn zudem die Meldungen aus dem BBK-System MoWaS an. Laut eigenen Angaben hat die App 3,8 Millionen aktive Nutzer.
Biwapp: Die noch unbekanntere App
Biwapp stammt ebenfalls von einem privaten Anbieter, der Agentur Marktplatz GmbH. Seit 2016 bietet sie Kommunen die Möglichkeit, gegen eine Lizenzgebühr Meldungen an die Bevölkerung zu verschicken.
Der Fokus von Biwapp liegt auf lokalen Informationen wie Hinweisen zu geschlossenen Schulen, gesperrten Straßen und Fahndungsaufrufen der Polizei. Biwapp übernimmt ebenfalls die Warnungen aus dem BBK-System MoWaS.
Über eine Notruf-Funktion kann die App laut Stiftung Warentest die ungefähre Adresse oder die Koordinaten des aktuellen Standorts anzeigen lassen. Dies könne, so die Warentester, beispielsweise in einer unbekannten Stadt hilfreich sein, um den Rettungsdienst zu dem Ort lotsen zu können.
WarnWetter: Die App des Deutschen Wetterdienstes
Wer möglichst genau über Starkregen, Orkane und Sturmfluten informiert werden möchte, kann laut Stiftung Warentest auch zur WarnWetter greifen. Die App wird vom Deutschen Wetterdienst bereit gestellt und ist Bundesbehörde und gesetzlich für die Forschung und Information im Bereich Meteorologie zuständig.
Neben Wetterwarnungen aller Warnstufen zeigt das Programm laut dem Test auch stundengenaue Wettervorhersagen für ganz Deutschland. Zusätzlich gibt es animierte Wetterkarten, Einschätzungen der Waldbrand- und Lawinengefahr sowie spezielle Vorhersagen für die Küstenregionen. Die Warnungen sind kostenlos, sonstige Vorhersagen müssen einmalig für 1,99 Euro freigeschaltet werden.
Mein Pegel: Die App für Hochwasser
Hochwasserwarnungen bieten laut Stiftung Warentest alle bisher genannten Warn-Apps. Diese würden jedoch nur nach Bundesländern differenziert, weshalb man auch Benachrichtigungen für weit entfernte Gewässer bekommen kann.
Laut dem Test liefert die App "Mein Pegel" örtlich feiner differenzierte Informationen zu Seen und Flüssen. Mit der App des länderübergreifenden Hochwasserportals, das von allen 16 Bundesländern gemeinsam betrieben wird, würden sich einzelne Pegel auswählen und Benachrichtigungen bei der Über- oder Unterschreitung eines bestimmten Wasserstands aktivieren lassen. Das Hochwasserportal weist darauf hin, dass die Daten der Messstellen in der Regel mit 5 bis 20 Minuten Verzögerung in der App angezeigt werden. Die Detailtiefe der Informationen variiert je nach Region, schreibt Stiftung Warentest.
Welche Probleme haben die Apps?
Damit alle Bürgerinnen und Bürger, die per App gewarnt werden wollen, nicht mehrere Programme installieren müssen, ist vertraglich zwischen Katwarn und Nina sowie Biwapp und Nina eigentlich vereinbart, dass Warnungen jeweils in beide Richtungen ausgetauscht werden, fasst die Stiftung Warentest zusammen. Nina-Nutzer sollten also alle Warnungen erhalten.
Doch in der Praxis ging das erst kürzlich schief: Demnach erhielten bei der Flutkatastrophe im Juli im Landkreis Ahrweiler die Nutzer von Katwarn die Warnungen der App Nina nicht. Doch was genau schief ging, das ist offenbar unklar, schreib Stiftung Warentest in der Mitteilung weiter: "Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz antwortet auf Anfrage ausweichend und verweist für Fragen zur Funktionsweise des Katwarn-Systems auf dessen Betreiberin, die Combirisk GmbH. Deren Geschäftsführer Arno Vetter erklärt, Katwarn habe eine Warnung der höchsten Stufe des örtlichen Hochwasserdienstes im Landkreis Ahrweiler automatisiert an Nina weitergegeben."
Woran der Datenaustausch in diesem Fall dennoch scheiterte und ob das in Zukunft wieder passieren kann, könnten die Warentester deswegen nicht sagen. Ihr Rat ist deswegen deutlich: "Es kann daher sinnvoll sein, neben Nina zumindest eine weitere App zu installieren, etwa Katwarn oder Biwapp, sofern sie von der örtlichen Kommune genutzt wird."
Apps haben Probleme beim iOS-System:
Zudem gibt es ein weiteres Problem: Sowohl Android als auch das Apple-Betriebssystem iOS haben eine Funktion namens "Nicht stören". Das Handy bleibt dann stumm, wenn Apps Benachrichtigungen senden. "Viele Menschen nutzen diese Funktion beispielsweise nachts beim Schlafen. Warnmeldungen einer hohen Stufe sollten aber dennoch durchdringen und mit einem lauten Ton den Schlaf unterbrechen", schreibt die Stiftung Warentest.
Technisch wäre eine Warnung jedoch möglich, wenn die App-Entwickler die Funktion namens "Critical Alerts" bei Apple beantragt hätten, schreibt die gemeinnützige deutsche Verbraucherorganisation weiter. Das können sie seit 2018 tun, für eine Katastrophen-Warn-App sollte die entsprechende Begründung kein Problem sein.
Umgesetzt hat das bislang kein Betreiber. Außer Katwarn teilten laut der Verbraucherorganisation aber alle App-Betreiber mit, die Critical-Alerts-Funktion nun implementieren zu wollen - oder sich zumindest darüber Gedanken zu machen.
Unter Android gibt es diese Lücke nicht. Hier kann man für jede App in den Einstellungen festlegen, ob sie auch im Modus "Nicht stören" akustische Warnungen ausgeben darf.
1 Kommentar
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen