Im Faktencheck

Kein „großer Bundeskanzler“: Söder legt gegen Ampel nach - seine Aussagen im Faktencheck

Georgios Tsakiridis

E-Mail zur Autorenseite

8.11.2024, 04:55 Uhr
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder äußert sich am Donnerstagmittag in München zum am Vortag verkündeten aus der Ampelregierung.

© NEWS5 / Sebastian Pieknik/NEWS5 Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder äußert sich am Donnerstagmittag in München zum am Vortag verkündeten aus der Ampelregierung.

Der Mittwoch, 6. November 2024 wird wohl nicht so schnell vergessen werden - auch weil er in die Politikgeschichte eingehen wird. Am Morgen beschäftigt der Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl die Welt, am Abend die Entlassung von Bundesfinanzminister Christian Lindner durch Deutschlands Kanzler Olaf Scholz und damit das Ampel-Aus. Während Teile der Bundesrepublik in Schockstarre verharrten, wusste einer die spontan gebotene Bühne einmal mehr öffentlichkeitswirksam für sich zu nutzen: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.

Beim ersten Ereignis schickte er Glückwünsche an Trump, nahm aber ebenso die Gelegenheit wahr, äußerst scharf Richtung Bundesregierung zu feuern. Eine Regierung, die den ganzen Tag über nur "kämpfe, den nächsten Tag zu überleben", habe "null Chance, auf Augenhöhe mit Amerika zu agieren", erklärte Söder. Nur Stunden später trudelten die Eilmeldungen zum Beben in Berlin ein. Gefolgt von einer denkwürdigen Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz, in der er seinen geschassten Finanzminister Lindner regelrecht abwatschte. Einmal mehr meldete sich der CSU-Chef via X (ehemals Twitter) zu Wort. "Die Ampel ist Geschichte". Die Vertrauensfrage müsse sofort gestellt werden. Erklärtes Ziel: Neuwahlen noch im Januar.

Einen Tag später legt Söder bei einer überlegt orchestrierten Live-Pressekonferenz aus München nach. "Es sind denkwürdige Stunden", leitet er seine Rede pathetisch ein. Die Menschen seien tief verunsichert, die Regierung ein einziger "Scherbenhaufen". Es folgt eine minutenlange Abrechnung mit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Scholz, Habeck und Lindner seien "komplett gescheitert". Dann folgt die Schelte: "Scholz wird nicht als großer Bundeskanzler in die Geschichte eingehen", wettert Söder. Die CSU empfinde weder Jubel noch Häme, "sondern wir sorgen uns um das Land."

Söder-Aussagen im Faktencheck

Eine handlungsunfähige Regierung sei in Zeiten von Krisen und Krieg eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Um den Abwärtstrend zu stoppen, brauche es einen Mentalitätswechsel für das ganze Land. "Fleiß, Leistung, Pünktlichkeit, klassische deutsche Tugenden. Eine Art geistlich moralische Wende" sei notwendig. Zudem kündigt er an, im Wahlkampf keine "Schlammschlacht" zulassen zu wollen, sowie "Anstand und Seriosität in den Mittelpunkt" zu rücken. Söder kritisiert: Der Ton, der Stil, mit dem Scholz über seinen bisherigen Finanzminister Lindner spreche, sei "zumindest singulär". Die etwa 13 Minuten Redezeit nutzt der CSU-Chef für Vorwürfe, Eigenwerbung und prominente Nebenschauplätze. Drei zentrale Söder-Aussagen im Faktencheck:

"Deutschland ist ein Land im Abstieg, mit Rezession, politischer Depression und Deindustrialisierung" (Markus Söder, CSU, am 07.11.2024)

Fakt ist: Die deutsche Industrie steckt im Jahr 2024 tatsächlich in einer Rezession. Die Bundesregierung geht in ihrer Konjunkturprognose von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent in diesem Jahr aus. Es wäre das zweite Rezessionsjahr in Deutschland in Folge. Zuletzt gab es das für die deutsche Wirtschaft 2002 und 2003. Ein Trend, den auch das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) bestätigt: Die Industrieproduktion lag im ersten Halbjahr um rund 5 Prozent unter ihrem entsprechenden Vorjahreswert. Doch das allein der Ampel in die Schuhe zu schieben, ist zu einfach. So listet das IW mehrere Faktoren auf, die die Rezession in der Industrie erklären. Darunter eine schwache Weltwirtschaft, die schwache Inlandsnachfrage und geopolitische Verunsicherung.

"Die Lage für Land und die Demokratie ist ernst wie nie - so etwas gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie" (Markus Söder, CSU, am 07.11.2024)

Fakt ist: In der europäischen Politik ist ein klarer Rechtsruck vernehmbar, geopolitische Spannungen - unter anderem in Form des Kriegs gegen die Ukraine oder im Gazastreifen - stellen demokratische Gesellschaften und Systeme vor immense Herausforderungen. Doch komplett neu ist eine bröckelnde Regierung auch hierzulande nicht. In der Geschichte der BRD wurde insgesamt fünfmal die Vertrauensfrage gestellt. Dreimal endete die Abstimmung mit der Auflösung des Bundestags, zuletzt im Jahr 2005 unter dem damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder.

"Wir beenden die Benachteiligung Bayerns" (Markus Söder, CSU, am 07.11.2024)

Fakt ist: Immer wieder spricht der Bayerische Ministerpräsident von einer systematischen Benachteiligung des Freistaats durch die Ampel - belegen lässt sich diese Behauptung aber nicht. Schon im Fall des Streits um Hilfen für das Flugtaxi-Startup Volocopter hatte der Bund beispielsweise signalisiert, dass er sich mit 50 Millionen Euro an einem Darlehen zur Hälfte beteiligen würde. Auch bei der Förderung des Bundesklimaschutzministeriums ist Bayern nicht - wie Söder behauptet - benachteiligt worden. Zu der Anschuldigung schreibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf "#Faktenfuchs-Anfrage": "Das Bundesland, in dem ein Unternehmen seinen Sitz hat oder in dem ein geförderter Standort liegt, spielt keine Rolle. Das wäre auch rechtlich gar nicht zulässig." Neben Bayern erhielten auch acht andere Bundesländer keine direkten Fördergelder.

Wie geht es nun weiter?

Wenn der Kanzler die Vertrauensfrage stellt und keine Mehrheit bekommt, wird er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat der Präsident nach Artikel 68 des Grundgesetzes maximal 21 Tage Zeit. Er ist allerdings dazu nicht verpflichtet. Macht er es, muss binnen 60 Tagen gewählt werden.

Söder machte übrigens deutlich, dass er selbst für eine Beteiligung an einer neuen Bundesregierung als Minister nicht zur Verfügung stehe. Es werde auch kein anderes CSU-Mitglied des bayerischen Kabinetts auf der Landesliste kandidieren, kündigte er an.