Kommentar: Der AfD-"Flügel" löst sich nicht in Luft auf

Alexander Jungkunz

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22.3.2020, 11:54 Uhr

Es sah so aus, als reagiere die AfD als Gesamtpartei - endlich - auf die rechtsnationalen bis -extremen Positionen ihres "Flügels", jener Gruppierung mit den Protagonisten Björn Höcke und Andreas Kalbitz, dessen Beobachtung der Verfassungsschutz vor einer Woche angekündigt hat. Weil der "Flügel" rechtsextremistisch einzustufen sei, so die Behörde.

Damit war die AfD unter Zugzwang. Denn das kann folgenschwere Konsequenzen für "Flügel"-Mitglieder im Staatsdienst haben - und davon gibt es nicht wenige. Sie müssen um ihre Jobs bangen, wenn der "Flügel" als verfassungsfeindlich gilt.

Höcke: Gegner müssen "ausgeschwitzt" werden

Daher beschloss der AfD-Vorstand am Freitag, der "Flügel" solle sich auflösen, bis spätestens 30. April. Auflösen - wohin? In Luft? Die Frontmänner sind ja noch da, und sie gehören laut den Spitzen der AfD sogar mitten hinein in diese Partei. Das sagten Alexander Gauland, Jörg Meuthen und Alice Weidel allen Ernstes über einen Zündler wie Höcke, der vor ein paar Tagen nachlegte mit seinen Provokationen: Parteiinterne Gegner müssten "ausgeschwitzt" werden, rief er. Ein obszönes Wortspiel mit dem KZ Auschwitz.

Höcke, den man laut Gerichtsurteil einen "Faschisten" nennen kann, deutet in Reden und Büchern erschreckend klar an, dass er ein anderes, kein freiheitliches Land will. Und dabei mit Gegnern inner- und außerhalb der AfD nicht zimperlich umgehen werde. Andreas Kalbitz, AfD-Landeschef in Brandenburg, verschwieg lange seine rechtsextreme Vergangenheit in radikalen Organisationen.

Mit Trennungsstrichen tut die AfD sich schwer

Warum eine Partei, die sich gern das Mäntelchen des Bürgerlichen umhängen würde, nicht schon längst einen Trennungsstrich zu solchen Männern gezogen hat, ist ein Rätsel. Aber dafür braucht die AfD stets lange. Erst jetzt, nach Jahren der Kritik, warf sie den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon aus der Partei, der immer wieder mit antisemitischen Aussagen für Proteste gesorgt hatte.

Warum die AfD-Spitze so zögert? Das hat ein ganz klares Motiv: Höcke, Kalbitz und andere liefern ihr vor allem im Osten die Stimmen, die sie dort so stark machten. Wer die AfD in Thüringen (mit Höcke) oder Brandenburg (mit Kalbitz) wählt, der wählt nicht nur eine vermeintliche Alternative oder Protest. Er wählt auch - und oft bewusst - rechtsextrem.

"Peinlich berührt" gibt sich Höcke - und will weitermachen

Mal sehen, wie die AfD-Spitze nun auf das Interview reagiert, das Höcke dem selbsternannten Vordenker der rechtsradikalen Szene gegeben hat, Götz Kubitschek. Da war von Auflösung des "Flügel" nie die Rede. "Peinlich berührt" sei er von dieser Debatte, sagte Höcke larmoyant. "Andreas Kalbitz, ich selbst und alle anderen politikfähigen 'Flügler' werden ihren politischen Kurs im Sinne der AfD weiterführen", droht Höcke an.

Wie soll man das deuten? Bisher nur so: Der "Flügel" will dorthin, wo ihn die AfD-Spitze selbst verortet hat - in die Mitte der Partei. Wenn diese Gruppierung aufgeht in der AfD, dann übernähme der "Flügel" das Kommando in der Partei. Was insofern ehrlich und logisch wäre, weil er gar nicht so insgeheim schon den immer rechteren Auftritt der gesamten AfD prägt.

Erfreulich: In der Krise schrumpft die AfD zusammen

Mal schauen, wie die AfD-Spitze auf die erneuten Provokationen Höckes reagiert. Lässt sie ihn gewähren, gerät sie unter Druck. Denn dann dürfte der Verfassungsschutz bald die gesamte Partei in den Blick nehmen. Weil die dann ganz offen eine Höcke-Partei rechtsradikalen Typs wird.

Eine Partei, deren Marktwert in der Corona-Krise rapide schwindet: Alle Umfragen sehen die AfD im Sinkflug. Weil ihre Protagonisten bisher Stimmen sammelten mit dem Unmut über "die in Berlin", allen voran Angela Merkel. Und weil nun viele Menschen sehen, dass "die" ihren Job in der Krise durchaus ordentlich machen. Da laufen Dauer-Schwadronierer ohne eigene Rezepte schnell ins Leere. Gut so.

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