Kommentar: Die Fleischindustrie muss sich wandeln
18.5.2020, 13:20 UhrDamit hatte niemand gerechnet: Das Coronavirus sorgt dafür, dass die zum Himmel schreienden Arbeitsbedingungen von Arbeitern in deutschen Schlachtbetrieben ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Als es darum ging, Saisonarbeiter für die Spargelernte nach Deutschland zu bekommen, galten höchste Sicherheitsstandards, es gab rigide Regeln für die Unterkünfte, strenge Kontrollen. Im Akkord schuftende Lohnschlachter aus Bulgarien, Polen oder Rumänien durften derweil weiter in Massenunterkünften schlafen. Wie konnte die Politik das übersehen?
Die Antwort: Weil sie es gewohnt ist, in der Fleischindustrie wegzuschauen. Die Branche selbst spricht von „Verantwortung gegenüber unseren Arbeitnehmern“. Doch davon gibt es kaum welche, der Löwenanteil der Arbeit wird über Werkverträge an Subunternehmer abgedrückt. Und bei denen gelten andere Standards. Weil sich die Sache sonst nicht rechnete und es im Supermarkt kein Schnitzel für 99 Cent gäbe.
Das Ganze hat Methode. Deutschland ist weltweit einer der größten Exporteure von Billigfleisch. Das System wurde derart perfektioniert, dass sich sogar die Verschiffung von Schlachtware nach China rentiert. Selbst afrikanische Kleinbauern bleiben auf ihrer Ware sitzen, weil deutsches Fleisch ihre lokalen Märkte überschwemmt und kaputt macht. Möglich ist das nur durch den massiven Einsatz von Antibiotika in der Mast.
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Da schließt sich auf erschreckende Weise der Kreis zum Coronavirus: Je mehr Antibiotika ins Grundwasser und damit in die Umwelt und den Nahrungskreislauf gelangen, desto schneller entstehen resistente Bakterien. Durch sie sterben in Europa jedes Jahr bereits mehr als 30.000 Menschen – viermal so viele wie noch vor zehn Jahren. Was, wenn die nächste Pandemie von solch einem multiresistenten Keim ausgelöst würde?
Man muss den Bogen sogar noch weiter schlagen: Die deutsche Fleischindustrie übt Druck auf die Erzeuger aus, da sie billigen Nachschub braucht. Die Bauern sehen sich dadurch gezwungen, Mastschweine auf engen Stallflächen zu halten und ihnen Arznei zu verabreichen, damit die Tiere bei diesen erbärmlichen Lebensbedingungen nicht krank werden. Das Futter ist oft Soja oder Mais aus Südamerika; für dessen Anbau gigantische Flächen an Urwald gerodet werden, was den Klimawandel beschleunigt. Das ist der hohe Preis, den wir für billiges Fleisch bezahlen.
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Es ist kein Geheimnis, wie man gegensteuern könnte. Schluss mit dem System des Outsourcens des Schlachtens an Subunternehmer, ordentliche Löhne in der Branche, Förderung von biologisch wirtschaftenden Mastbetrieben und ein Verbot prophylaktischer Verabreichung von Antibiotika in der Tiermast. Das senkt die Fleischexportquote, mindert Steuereinnahmen für den Staat und macht Kotelett, Bratwurst und Hühnerbrust teurer. Sicherlich unpopulär. Aber es wäre verantwortungsvolle Politik im Sinne aller Verbraucher.
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