Kommentar: Ein Schlingerkurs in der Coronakrise hilft nicht weiter
20.4.2020, 17:56 UhrEs fällt zunehmend schwer, das Tempo der Coronakrise mitzugehen. Ging es anfangs klar in Richtung Verschärfung der Maßnahmen, also — auf den Straßenverkehr übertragen — immer geradeaus, befinden wir uns längst auf einem Schlingerkurs. Vor und zurück, wie es geradeso passt.
Oder verstehen Sie, warum Gartencenter und Autohäuser öffnen dürfen, Möbelhäuser in Bayern aber geschlossen bleiben? In Nordrhein-Westfalen sind sie übrigens geöffnet, schließlich ist NRW das "Land der Küchenbauer", wie Ministerpräsident Armin Laschet den Schritt begründet.
Geht‘s noch?
Die Logik, zu Beginn der Krise streng-wissenschaftlich von den Virologen vorgegeben, hat als Maßstab des politischen Handelns offenbar ausgedient. Der Lobbyismus hält stattdessen Einzug. Zumindest kann dieser Eindruck derzeit leicht entstehen.
Wer solche tatsächlichen oder vermeintlichen Missstände anspricht, muss mit harscher Kritik rechnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich beim Verteidigen ihres eigenen Kurses sogar als kreative Wortschöpferin erwiesen — indem sie sich "Öffnungsdiskussionsorgien" ein für allemal verbat.
Eine ungewöhnlich scharf formulierte Botschaft an diejenigen Länder, die sich intensiver als andere mit der Lockerung der teils massiven Grundrechteeinschränkungen befassen.
Auch Markus Söder (CSU) versteht keinen Spaß, wenn Zweifel an der Fortsetzung seines strammen Corona-Kurses geht. Mit dem Argument, es gehe um die Gesundheit, werden die Zweifler sofort in die Ecke gedrängt — auch solche aus den Reihen des eigenen Koalitionspartners.
Kritik zu üben, kommt derzeit nicht gut an. Rasch begibt man sich auch als Journalist in den Verdacht, die Dinge zu verharmlosen, die Lage nicht Ernst genug zu nehmen.
Doch darum geht es gar nicht. Vielmehr haben die Bürger das Recht auf nachvollziehbare Entscheidungen. Diese einzufordern ist nicht unanständig, sondern die Pflicht unabhängiger Medien
Konsequenz geht anders
Warum müssen die Kitas monatelang dicht bleiben, mit unabsehbaren Folgen für die Eltern kleiner Kinder? Weil das Infektionsrisiko zu hoch ist? Warum werden — sinnvollerweise — gleichzeitig Notbetreuungen etwa für Alleinerziehende hochgefahren? Weil es dort kein Infektionsrisiko gibt?
Fast wünschte man sich eine Opposition in den Parlamenten, die lautstärker als das bislang der Fall war, das Regierungshandeln hinterfragt. Nicht, um am Ende Menschenleben zu gefährden. Sondern um die besten Entscheidungen, die in einer solchen Ausnahmesituation möglich sind, vorzubereiten. Gerne darf dabei auch nachjustiert werden: Die massive (und völlig berechtigte) Kritik an einem Ende der Telefon-Krankschreibungen hat gezeigt, dass die Politik lernfähig ist. Und vom Schlingerkurs sogar wieder abgebracht werden kann.
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