Kommentar: Es geht um Grundrechte, nicht um "Privilegien" für Geimpfte

Alexander Jungkunz

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5.4.2021, 11:45 Uhr
Gesundheitsminister Jens Spahn plädiert nun - anders als Ende 2020 - dafür, dass Geimpfte mehr Rechte bekommen.

© Christian Thiel via www.imago-images.de, imago images/Christian Thiel Gesundheitsminister Jens Spahn plädiert nun - anders als Ende 2020 - dafür, dass Geimpfte mehr Rechte bekommen.

Ende Dezember klang der Gesundheitsminister noch ganz anders. Da lehnte Jens Spahn Vorrechte für bereits Geimpfte ab - denn die noch nicht Geimpften würden erwarten, dass sich Geimpfte "solidarisch gedulden" mit Restaurantbesuchen, Reisen oder anderen Angeboten, die für Geimpfte leichter zugänglich sind als für andere.

Kehrtwende eingeleitet

Nun leitet auch er eine Kehrtwende ein - und unterstützt die wachsende Zahl derjenigen, die es durchaus befürworten, dass Menschen mit zwei Impfungen Dinge tun dürfen, die anderen noch nicht erlaubt sind. Das lässt sich gut begründen.

Unter einer entscheidenden Bedingung, die auch der Ethikrat als Voraussetzung genannt hatte: dass Geimpfte andere nicht infizieren können. Das aber scheint laut RKI inzwischen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit festzustehen.

Schrittweise Rückgabe von Grundrechten

Sollte sich diese Erkenntnis erhärten, dann muss der Weg frei sein - nicht zu "Privilegien", sondern zur schrittweisen Rückgabe von Grundrechten, auf die wir während der Pandemie verzichten müssen. Der Staat hat sie vorübergehend eingeschränkt - mit der Vorgabe, dass sie wieder in Kraft gesetzt werden, wenn die Gefahr der Pandemie überwunden ist.

Diesem Zustand kommen wir näher, je mehr Menschen geimpft werden. Wenn 70 bis 80 Prozent der Bürger die Impfung erhalten haben, dann erreichen wir jene Herdenimmunität, mit der Covid-19 überwunden sein könnte. Es ist zu hoffen, dass mit dem beginnenden Einsatz der Hausärzte nun Tempo in die Impfkampagne kommt.

Wenn Geimpfte zum Beispiel mehr Reisefreiheit haben, auf Konzerte gehen oder Restaurants besuchen können - ist das dann die Einführung einer "Impfpflicht durch die Hintertür", wie vor allem Impf-Skeptiker behaupten?

Unternehmen können Bedingungen vorgeben

Nein, ist es nicht: Unternehmen haben mit der Vertragsfreiheit das Recht, solche Vorgaben zu machen. Einige Fluglinien tun dies schon. Zudem bekommen auch Nicht-Geimpfte vermutlich spätestens dann alle Freiheiten zurück, wenn sich die erwähnte Herdenimmunität eingestellt hat.

Die Rückgabe der auf Zeit eingeschränkten Grundrechte ist nicht nur nach Einschätzung von Verfassungsrechtlern zwingend. Sie ist auch elementar für die vom Lockdown besonders betroffenen Branchen, die zu Recht auf Lockerungen pochen. Je früher Gaststätten, Theater und Museen öffnen dürfen, je mehr Menschen reisen können, desto wichtiger ist das fürs Wiederhochfahren der gesamten Wirtschaft. Und für die so lang ersehnte Rückkehr zu so etwas wie Normalität.

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