Kommentar: Rassismus ist in Deutschland nach wie vor alltäglich

Armin Jelenik

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8.6.2020, 08:44 Uhr

Schon richtig, Alltagsrassismus tötet nicht, jedenfalls nicht sofort und unmittelbar. Aber er verändert etwas: in den Herzen der Betroffenen und in der Gesellschaft, die diese Formen der Diskriminierung zulässt. Er setzt eine Spirale in Gang — erst langsam, dann immer schneller — die irgendwann in Gewalt und Inhumanität endet.

Deutschland steckt bereits mitten drin in diesem Abwärtssog: Fast 8000 rassistische Straftaten hat das Bundesinnenministerium 2019 gezählt, drei Prozent mehr als 2018. Und natürlich kann der Rassismus in Deutschland ebenso tödlich sein wie jener in den USA. Die Anschläge von Halle und Hanau oder der Mord am CDU-Politiker Lübcke belegen das neben vielen anderen Taten leider nur zu deutlich.

Bei Demos wurde nicht nur Polizeigewalt in USA kritisiert

Zehntausende haben jetzt gegen die weltweit, aber eben auch in Deutschland voranschreitende rassistische Verrohung demonstriert. Auch wenn man Kritik an nicht eingehaltenen Abstandsregeln und Randalen wie in Berlin üben muss, war das ein wichtiges Signal. Denn bei den Demos wurde nicht nur die Polizeigewalt in den USA kritisiert, sondern auch die deutsche Illusion, dass der hiesige Rassismus nach dem Zweiten Weltkrieg ausreichend und vorbildlich aufgearbeitet worden wäre.

Das Bekenntnis zur deutschen Schuld am Holocaust gehört zwar zur Staatsräson und es gibt viele gute Initiativen, die sich für Versöhnung und Verständigung einsetzen. Aber geholfen hat das nur bedingt: Gerade im vergangenen Jahr stiegen die antisemitischen Straftaten massiv an, und nach wie vor werten etwa sieben Prozent der Bevölkerung andere Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft ab. Juden, Muslime und Menschen, die irgendwie anders wirken als die Mehrheit, bekommen das zu spüren, teilweise täglich.

Rassismus hat leider noch immer festen Platz in Gesellschaft

Man muss es so deutlich sagen: Der Rassismus hat noch immer einen festen Platz in dieser Gesellschaft — leider weit über den rechten Rand hinaus. Und viele Bemühungen, dies zu ändern, verfangen inzwischen nicht mehr, nachdem die AfD rassistische Provokationen wenigstens in Teilen der Bevölkerung salonfähig gemacht hat.

Daran wird sich erst dann etwas ändern, wenn wir den Kampf gegen den Rassismus endlich als dauerhafte Herausforderung begreifen, die weder durch ritualisierte Gedenktage, noch durch gelegentliche Demonstrationen gemeistert werden kann.


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