Terroranschläge aus persönlicher Perspektive
Kommentar zu 9/11: Ein Nein zum Kampf gegen den Terror war undenkbar
11.9.2021, 10:44 UhrIn meiner journalistischen Laufbahn bin ich mit mehreren Flugzeugunglücken konfrontiert worden. Daher hatte ich zumindest eine vage Vorstellung davon, wie groß ein Loch in einem Hochhaus sein würde, in das ein kleines Privatflugzeug gekracht ist. Denn das glaubten wir am Morgen des 11. September 2001, als die ersten Nachrichten über ein Flugzeug kamen, das ins World Trade Center geflogen war, und wir einen Blick auf den in unserem Berliner Associated-Press-Büro stets laufenden CNN-Monitor warfen. Der US-Nachrichtensender hatte unmittelbar nach der ersten Meldung über den Zwischenfall eine Kamera in Manhattan auf die Zwillingstürme gerichtet, in deren einem nun ein für eine Cessna viel zu großes Loch klaffte.
Da krachte eine Verkehrsmaschine ungebremst in den zweiten Tower. Es folgten die inzwischen weltbekannten Bilder der Katastrophe mit vielen tausend Toten. Aber der Horror hielt an; wenig später liefen die Meldungen über das dritte Flugzeug, das Teile des Pentagons zerstörte, und das vierte Flugzeug ein, in dem mutige Passagiere die Terroristen überwältigten und den Absturz auf freiem Feld herbeiführten.
In den ersten Stunden waren wohl viele so bleich und sprachlos wie US-Präsident George W. Bush, als ihm die Nachricht übermittelt wurde. War das ein neuer Krieg? Wer reagiert wie und was hat das für Konsequenzen? In der Nachrichtenagentur versuchten Korrespondenten weltweit, sich und ihren Kunden Übersicht zu verschaffen. In freien Minuten dazwischen versuchte ich meinen Cousin zu erreichen, der an der New York University unterrichtete, unweit – jedenfalls aus Berliner Sicht – der Twin Towers. Ich scheiterte natürlich, sodass die Sorge eine Weile anhielt, aber ihm war nichts passiert.
Die Vereinigten Staaten verlangten von der NATO erstmals, den Bündnisfall auszurufen. Praktisch war das eine Kriegserklärung, eine Verpflichtung für die anderen Mitglieder des Verteidigungspaktes, den Amerikanern beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus militärisch beizustehen. Dieser Kampf sollte in Afghanistan stattfinden, der Brutstätte des Al-Kaida-Terrorismus.
Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer reisten an den Ort des Terrors, bekundeten Hinterbliebenen Beileid und der Feuerwehr Hochachtung. Im Weißen Haus berieten sie über Konsequenzen. Lebenslang wird mir eine abendliche Bootsfahrt mit Schröder auf dem Hudson River zum Ground Zero in Erinnerung bleiben. Um das Schiff herum, an Anlegern, auf Straßen und Plätzen herrschten schärfste Sicherheitsvorkehrungen. Dicht über uns aber flog ein Flugzeug nach dem anderen mit gleißenden Scheinwerfern nordwärts zum LaGuardia Airport – alles Maschinen, wie sie die Terroristen am 11. September gekapert hatten. Auf der immer noch rauchenden und unangenehm riechenden Unglücksstelle arbeiteten sich in gespenstischem Licht Bagger durch die Trümmer, Politiker hielten Reden. Mir, der ich darüber schreiben musste, kamen die Tränen.
Zurück in Deutschland verlangten Innen- und Außenpolitik ihren Tribut. Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft. Nie mehr würde es lockere Prozesse beim Zugang zu kritischer Infrastruktur geben. Nie wieder würde ein Verkehrspilot einem kleinen Jungen den Wunsch erfüllen dürfen, während des Fluges für ein paar Minuten ins Cockpit zu kommen.
Außenpolitisch hätte ein Nein zur Beteiligung am Afghanistan-Krieg Deutschland unglaubwürdig gemacht, erst recht, weil die 9/11-Terroristen sich hierzulande vorbereitet hatten. Schröder hatte keine Alternative. Er musste ein Bundestagsmandat herbeiführen. In Teilen der grünen Koalitionsfraktion gab es Widerstand. Daher war unklar, ob er nicht Stimmen aus der Opposition brauchte. Um das Regierungsbündnis nicht dem Vorwurf der Handlungsunfähigkeit auszusetzen, verband er die Abstimmung mit der Vertrauensfrage und gewann. Union und FDP machten trotz ihrer Gegenstimmen klar, dass sie voll hinter dem Einsatz standen, und stimmten später den Verlängerungen des Mandats stets zu. Dass sich dabei alle zu wenig Gedanken über die Frage machten, ob man überhaupt militärisch einem religiös, kulturell und geographisch völlig fremden Staat so etwas wie „Nation building“ beibringen kann, lernen die Afghanen und wir jetzt bitter.
In der Nacht zum 12. September, nach einem 17-Stunden-Tag als Chef vom Dienst, fuhr ich heim. Ich stieg in ein Taxi, das ein schwarzhaariger, vollbärtiger junger Mann steuerte. Über dem Innenspiegel hing eine islamische Gebetskette. Ich kämpfte gegen Vorurteile, aber ganz angstfrei verlief die Fahrt für mich nicht.
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