Kommentar zu Hanau: So gefährlich können Wahn und Hass sein

Alexander Jungkunz

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20.2.2020, 16:11 Uhr
Am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt ereignete sich die grausame Bluttat.

© Thomas Lohnes / AFP Am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt ereignete sich die grausame Bluttat.

Es ist ein Muster, das sich in alamierender Weise häuft: In Kassel wird ein Regierungspräsident getötet, der sich dafür engagiert hatte, Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln. In Halle versucht ein Mann mit rechtsradikalem Weltbild, eine Synagoge zu stürmen, um möglichst viele Juden zu töten. Schon diese Taten hatten Vorbilder: das Massaker von Christchurch in Neuseeland, vom Täter live gefilmt und ins Netz gestellt - Opfer: Muslime. Und vor allem den Massenmord, den Anders Breivik 2011 in Norwegen verübte - 77 junge Menschen waren seine willkürliche Opfer. Menschen, die für all das standen, was Breivik und seine Gesinnungsgenossen hassen: für die offene, liberale Gesellschaft.


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Der mutmaßliche Täter von Hanau hatte ein ähnliches Weltbild wie seine Vorgänger. Klar eingeteilt in Gut und Böse. In Schubladen. Zu den Feinden zählen Muslime, Juden, Nicht-Deutsche im Falle des Hanauer Massenmörders. Herbeigeschossen wird eine national(istisch)e Homogenität, die es so nie gab: Nationen waren und sind stets geprägt von Migration. Das gilt gerade für Deutschland, seit Jahrtausenden ein Schmelztiegel von Zuwanderern, die freiwillig, als Glaubens-Flüchtlinge oder Vertriebene ins Land kamen. Die Reinheit der "Rasse", wie sie rechtsradikale Täter propagieren - es hat sie nie gegeben, zumal die "Rasse" selbst ein Konstrukt ist.

Gewaltfantasien verbreiten sich schnell

Der Hass in den Köpfen ist leider nichts Neues. Vor hundert Jahren stieß ein gescheiterter Gefreiter aus dem Ersten Weltkrieg in den Wirren der Münchner Räterepublik auf rechtsradikale Gruppen, in denen er eine Heimat fand. Er wurde mit antisemitischen Hetztiraden zum Bierkeller-Helden. Und 13 Jahre später zum Kanzler eines sehr bald sehr rassistisch agierenden Regimes: Adolf Hitler setzte seine Verschwörungstheorie vom Weltjudentum, das an allem schuld sei, radikal mörderisch um - und hinterließ das ihm angeblich so wichtige Vaterland zerbombt und verwüstet.

Heute verbreiten sich Hass- und Gewaltfantasien viel schneller als damals. Im Internet wuchern Verschwörungstheorien - und sie finden Anhänger. Alles, was da von Seiten des Staates geäußert wird oder von "den" Medien - die alle über einen Kamm geschert werden -, gilt dort als verdächtig und falsch. Jede noch so irre Lüge wird geteilt, geliked und kommentiert. Dagegen ist mit Vernunft, mit Argumenten nur sehr schwer anzugehen. Fake News mit ihren schlichten, einfachen "Wahrheiten" kommen bei nicht wenigen besser an als die komplizierte, komplexe Annäherung an die Realität, um die sich Medien mühen.


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Auch Gesetze wie das in dieser Woche auf den Weg gebrachte zur Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet werden da nur begrenzt Wirkung zeigen können. Dennoch ist es wichtig, dass die wehrhafte Demokratie sich hier ganz klar und entschieden positioniert: Meinungsfreiheit bedeutet gerade im Rahmen des Grundgesetzes mit seinem strikten Eintreten für die Würde aller Menschen eben nicht, dass man ohne Risiken jede Form von Hass äußern darf.


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Interessant, wie nun manche auf den Massenmord von Hanau reagieren. Wer - wie viele in der AfD - dieses Verbrechen als Tat eines verwirrten Einzelnen ohne politisches Motiv einordnet, der macht es sich wohl doch zu leicht. Es besteht schon ein Zusammenhang zwischen Ausgrenzung, Rassismus und Hass, der "nur" in Worten oder Facebook-Posts geäußert wird und den entsetzlichen Taten, in die dieser geschürte und massenweise Hass dann bei manchen mündet.

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