830.000 Unterschriften gesammelt

Kontroverse Petition: Könnten Björn Höcke die Grundrechte entzogen werden?

dpa

Alina Boger

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15.1.2024, 17:08 Uhr
Björn Höcke während des Landesparteitags der AfD im thüringischen Pfiffelbach.

© Martin Schutt/dpa Björn Höcke während des Landesparteitags der AfD im thüringischen Pfiffelbach.

Angesichts des Erstarkens der AfD wird neben einem Verbotsverfahren nun eine weitere Möglichkeit diskutiert: ein Antrag auf Entzug der Grundrechte für herausragende Verfassungsfeinde. Dazu ist inzwischen eine Petition gestartet worden, die sich namentlich gegen den Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke richtet, dessen Landesverband der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft. Die Petition appelliert an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen, FDP sowie den Oppositionsfraktionen CDU/CSU und Linke, die Bundesregierung zu einem entsprechenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht zu bewegen.

Bereits 830.000 von 900.000 Unterschriften gesammelt

Bis Montagnachmittag waren auf der Petitionsplattform des Kampagnen-Netzwerks Campact bereits mehr als 830.000 Unterschriften eingegangen für den Vorstoß unter dem Titel "Stoppen Sie den Faschisten Björn Höcke: Veranlassen Sie, dass die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz stellt". Damit ist das Quorum weit übererfüllt: Ab 50 000 Unterstützern muss sich der Petitionsausschuss des Bundestags mit einer öffentlichen Petition befassen und Gelegenheit zur Anhörung geben.

In Thüringen steht im September eine Landtagswahl an. Höckes AfD liegt in den Umfragen mit großem Abstand vorn: derzeit bei 34 bis 36 Prozent.

Ein Grundrechte-Entzug ist tatsächlich möglich

Die Möglichkeit des Grundrechte-Entzugs ist im Grundgesetz geregelt: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht "zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte", heißt es in Artikel 18. "Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen." Dafür ist ein Antrag des Bundestags, der Bundesregierung oder einer Landesregierung nötig.

Nach dem Verfassungsgerichtsgesetz beinhaltet das auch die Möglichkeit, jemandem das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen. Dabei kann Karlsruhe auch nur einzelne Grundrechte entziehen und dies außerdem zeitlich befristen, jedoch auf mindestens ein Jahr.

Die Petition ist bereits vor zwei Monaten gestartet worden und hat seitdem regen Zulauf. Nach Bekanntwerden des Potsdamer Treffens radikal rechter Aktivisten und Extremisten mit einigen AfD-Funktionären und auch CDU-Mitgliedern hat der Zuspruch in den vergangenen Tagen stark zugenommen.

Linken-Politiker unterstützt Petition

Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte der Deutschen Presse-Agentur bestätigt, dass er bei dem Treffen im November über "Remigration" gesprochen hatte. Rechtsextremisten meinen damit in der Regel, dass eine große Zahl Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. Laut dem Medienhaus Correctiv nannte Sellner drei Gruppen: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht - und "nicht assimilierte Staatsbürger".

Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch rief zur Unterzeichnung der Petition auf, verlangte von den Parteien aber eine politische Auseinandersetzung. "Diese Petition aus der Mitte der Gesellschaft ist begrüßens- und unterstützenswert, und ich wünsche mir, dass viele Bürgerinnen und Bürger diese unterzeichnen", sagte der Bundestagsabgeordnete am Montag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er habe sie aber nicht unterschrieben, denn: "Wir Politiker müssen die politische Auseinandersetzung führen."

Vier Fälle in der Geschichte der Bundesrepublik

Laut "Frankfurter Rundschau" gab es bis jetzt nur vier Fälle, bei denen versucht wurde, einzelnen Bürgern die Grundrechte zu entziehen. 1960 gab es ein Verfahren gegen den Vizechef der Sozialistischen Reichspartei, Otto Ernst Remer. Die Partei sah sich selbst in der Tradition der NSDAP. 1952 stufte das Bundesverfassungsgericht sie als verfassungswidrig ein, daher wurde sie verboten. Die Bundesregierung forderte im Nachtrag Remer das aktive und passive Wahlrecht zu entziehen. Der Antrag wurde abgelehnt, da der ehemalige Vizechef sich nach dem Verbot der Partei aus der Politik zurückgezogen hatte.

1974 wurde ein weiterer Antrag gegen den früheren Herausgeber der Deutschen Nationalzeitung, Gerhard Frey, abgelehnt. Die Bundesregierung wollte ihm ebenfalls das Wahlrecht nehmen und die Zeitung auflösen. Das Bundesverfassungsgericht stufte den Einfluss der Zeitung als zu gering ein.

Nach den Mordanschlägen von Mölln forderte 1992 der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters, die Grundrechte der Neonazis Thomas Dienel und Heinz Reisz zu entziehen. Die Anträge wurden abgelehnt, da beide Männer wegen positiver Prognose eine Freiheitsstrafe auf Bewährung bekommen hatten.

Die "Frankfurter Rundschau" erklärt außerdem, dass in den vier Beispielen aus der Geschichte jeweils mindestens vier Jahre zwischen Antragstellung und Entscheidung lagen. Die Thüringer Landtagswahlen finden aber schon im September dieses Jahres statt.