Ohne Reformen wird es schwierig

Kurschus-Rücktritt, Mitgliederstudie: Ist das genug, um die Kirchen wachzurütteln?

Alexander Jungkunz

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20.11.2023, 14:55 Uhr
Sie erklärte ihren Rücktritt: EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus.

© IMAGO/Detlef Heese, IMAGO/epd Sie erklärte ihren Rücktritt: EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus.

Hat Annette Kurschus Missbrauch vertuscht? Das steht nicht fest. Über den Fall, der nun zum Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden führte, ist noch zu wenig bekannt. Fest aber steht: Sie hat sich widersprüchlich dazu geäußert, hat auch in der Kirche Zweifel über ihr Verhalten aufkommen lassen.

Wie kann so etwas überhaupt noch passieren?

Dass sie dies bei einem Thema tut, das die 60-Jährige bei ihrem Amtsantritt selbst zur "Chefinnensache" erklärt hat, eben beim Missbrauch, das macht ihren Rücktritt nun zwingend. Und man fragt sich, wie das heute noch sein kann: dass da ein Mensch, der leitende Funktionen übernimmt, nicht zuvor alles tut, um so einen Fall aufzuklären. Es ist doch inzwischen angesichts immer neuer Skandale hinreichend bekannt: Alles, zumindest vieles, kommt irgendwann auch ans Licht.

Nun also braucht die evangelische Kirche in Deutschland wieder eine neue Spitze. Das wird nicht leicht, Namen fallen auch Kirchennahen nicht auf Anhieb ein. Ein Symptom für die schwindende Bedeutung der Organisation. Schon Annette Kurschus war weit weniger bekannt, keine so öffentliche Figur wie Heinrich Bedford-Strohm.

Ohne Reformen verschärft sich der Niedergang

Ihr Fall ist ein weiterer Warnruf, der den Amtskirchen eigentlich zeigen muss: Wenn sie sich nicht verändern, verschärft sich ihre Krise. Das bedeutet nicht, dass auch für sie jener Spruch gilt: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht (also verschwindet) mit der Zeit. Nein, Kirchen wären wohl falsch beraten, dem Zeitgeist - wenn sie ihn denn kennen - nachzulaufen.

Aber was bei ihnen zumindest nach Einschätzung ihrer Noch-Mitglieder schief läuft, das wurde ebenfalls dieser Tage publik: Auf der EKD-Synode, die auch den Fall Kurschus verfolgte, wurde eine neue Mitgliederstudie vorgestellt, erstmals nicht nur für Protestanten, sondern auch für Katholiken. Die Ergebnisse sind letztlich nicht überraschend, zeigen aber, wie gewaltig die Distanz zwischen den Amtskirchen und den verbliebenen Mitgliedern inzwischen geworden ist.

Gleichgültig oder wütend

Drei Viertel aller Katholiken, zwei Drittel aller Protestanten wollen nicht ausschließen, dass sie austreten. Bei den Evangelischen ist es manchmal Gleichgültigkeit, die sie gegenüber ihrer Kirche empfinden; sie lässt sie offenbar kalt - wohl das Schlimmste, was man über Kirche sagen kann. Bei den Katholiken ist es oft Wut gegenüber einer zumindest aus deutscher Sicht weltfremd agierende Kirchenleitung.

Und: 96 (!) Prozent der Katholiken in Deutschland sowie 80 Prozent der Protestanten sagen, die Kirche müsse sich ändern, um Zukunft zu haben. Sie wollen Reformen. Da geht es bei den Katholiken um die Rolle der Frau und mehr Demokratie, aber auch Protestanten spüren zu wenig Wandel, offenbar auch zu wenig Nähe. Wen diese Zahlen nicht aufrütteln, der muss weit, weit weg sein von den Menschen.

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